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Kritik - "Lucia di Lammermoor" in Leipzig Opulentes Highland-Spektakel

Die Titelpartie sitzt im Rollstuhl und Regisseurin Katharina Thalbach wandelt als böser Geist auf der Bühne: Das Leipziger Publikum erlebte am 26. November vor prächtiger Schottland-Kulisse eine höchst ereignisreiche Premiere von Donizettis Belcanto-Klassiker "Lucia di Lammermoor".

Szene aus "Lucia die Lammermoor" Oper Leipzig | Bildquelle: Kirsten Nijhof

Bildquelle: Kirsten Nijhof

Das kommt inzwischen selten vor, dass Zuschauer vor lauter Begeisterung vor, während und nach der Vorstellung das Bühnenbild fotografieren. Die romantische Theatermalerei ist ja längst aus der Mode gekommen und allenfalls in Museen zu bewundern. Umso überraschender war die Ausstattung von Momme Röhrbein an der Oper Leipzig für Gaetano Donizettis "Lucia di Lammermoor". Eine prächtige Aussicht über das schottische Hochland war auf dem Vorhang zu sehen, einschließlich nebelverhangenem Moor, imposantem Gletscher und halb verfallener Burg.

Sehnsucht nach historischem Glanz

Das wollten viele auf ihr Smartphone bannen, und so folkloristisch ging es über knapp drei Stunden weiter. Schottenröcke, Gespensterreigen, heiße Emotionen, kalte Grabsteine und blutiger Dolch - alles wie in einer Märchenverfilmung, zumal lauter ungewöhnlich gutaussehende Sänger und Statisten auf der Bühne standen. Prächtige Hochlandhelden mit wallender Mähne, hohen Stiefeln und engem Wams. Da durfte das Publikum schwelgen, und Intendant Ulf Schirmer wird mit dieser Inszenierung seine skeptischen Leipziger wohl ein weiteres Mal mit der Oper versöhnt haben. Das alles muss man nicht mögen, aber die stehenden Ovationen am Ende zeigten: Es gibt nicht nur in Leipzig eine große Sehnsucht des Publikums nach Realismus, nach Schauwert, nach historischem Glanz.

Titelpartie im Rollstuhl

Die prominente Regisseurin Katharina Thalbach spielte unerwartet selbst mit, denn Anna Virovlansky in der Titelpartie hatte sich einen Bänderriss zugezogen und musste im Rollstuhl und auf Krücken auftreten. Die Thalbach sprang als böser Geist ein, um der gehandicappten Lucia hier und da über die Bühne zu helfen. Was unfallbedingt und eigentlich sehr bedauerlich war, passte überraschend gut zum Stück, denn was könnte mitleiderregender sein als eine hilflose Rollstuhlfahrerin im schottischen Hochland, gepeinigt von Verwandten und bösen Erinnerungen? Optisch war das in jeder Hinsicht überzeugend, unterhaltsam, kurzweilig - für die Zuschauer, die mit dieser Art Retrolook etwas anfangen können, und das schienen fast alle zu sein.

Lucia die Lammermoor in Leipzig - die Premiere in Bildern.

Optisch mehrheitsfähige Regiesprache

Katharina Thalbach spielt ja viel im gehobenen Boulevardtheater und ist eine Regisseurin, die weder Klamauk noch den populären Effekt scheut. Sie macht Volkstheater, ist nah beim Publikum - und das ist dafür dankbar. Immerhin beruht "Lucia di Lammermoor" auf einem Roman von Walter Scott, dem seinerzeit meist gelesenen Autor der Romantik, da ist eine optisch mehrheitsfähige Regiesprache keine Schande. Anna Virovlansky meisterte ihre Partie angesichts der Verletzung mehr als achtbar, mogelte sich allerdings um einige Spitzentöne herum. Hervorragend überzeugte der italienische Tenor Antonio Poli als Liebhaber Edgardo: maskulin, jugendfrisch, energisch. Auch Mathias Hausmann als grimmiger Gegenspieler Lord Ashton trumpfte herrlich auf. Der Chor hatte sichtlich Spaß an diesem Schottland-Spektakel. Dirigent Anthony Bramall steuerte dazu das nötige Klangbild bei, "schön schaurig", mal dramatisch vorwärts treibend im krachenden Gewitter, mal nervenaufreibend zerdehnt in der Wahnsinnsszene. Insgesamt zu Herzen gehend, ein Lob, das viele Regisseure vermutlich entsetzlich fänden.

"Lucia die Lammermoor" in Leipzig

Premiere war 26. November, Weitere Termine und Informationen unter oper-leipzig.de.
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