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Liebling der QueenVon Thomas Molke / Fotos: © Herwig PrammerDie Geschichten um den feisten Ritter Falstaff verbindet man im Musiktheater meistens mit Giuseppe Verdi, vielleicht auch noch mit Otto Nicolais Die lustigen Weiber von Windsor. Dass Antonio Salieri fast 100 Jahre vor Verdi dem Schwerenöter mit großem Erfolg ein musikalisches Denkmal in Wien gesetzt hat, gerät dabei leicht in Vergessenheit. Dabei ist festzuhalten, dass diese Fassung in den letzten Jahrzehnten wenigstens in vereinzelten Produktionen auf den Opernbühnen zu erleben war und es sogar eine DVD-Aufnahme aus Schwetzingen gibt, während Salieri ansonsten nur noch als missgünstiger Rivale Mozarts ein Begriff ist, der den Gerüchten nach auch an dessen Ableben nicht unbeteiligt gewesen sein soll. So schlummern Salieris restliche Opern, mit denen er bis in die Mitte der 1820er Jahre große Erfolge in ganz Europa feiern konnte, heute größtenteils in den Archiven. Das Theater an der Wien beschäftigt sich zu Beginn dieser Spielzeit nicht nur mit Opern, deren Sujet auf den vor 400 Jahren verstorbenen William Shakespeare zurückgehen, sondern setzt im Oktober auch noch gewissermaßen einen Salieri-Schwerpunkt mit einer konzertanten Aufführung seiner französischen Tragédie lyrique Les Horaces (siehe auch unsere Rezension) und der szenischen Produktion des Falstaff. Gruppenbild mit Queen (Heidelinde Sedlecky, Mitte): links: Alice Ford (Anett Fritsch) und "Prinz Philip" (Rudolf Karasek), rechts: Mr Slender (Arttu Kataja) und Mrs Slender (Alex Penda) (im Hintergrund: Arnold Schoenberg Chor als High Society) Während sich das deutsche Singspiel Die lustigen Weiber von Windsor, das Carl Ditters von Dittersdorf zwei Jahre vor Salieri für den Hof in Oels im heutigen Polen komponiert hatte, noch sehr eng an Shakespeares Vorlage hält, geht Salieris Librettist Carlo Prospero Defranceschi mit der Geschichte etwas freier um. Falstaffs Diener werden in einer Person, Bardolf, gebündelt. Auf das junge Liebespaar Anne Page und Fenton wird verzichtet, um das Geschehen ganz auf die Streiche zu konzentrieren, die die "lustigen Weiber" dem dicken Ritter spielen. Das Ehepaar Page erhält den Namen Slender. Slender ist bei Shakespeare eigentlich ein weiterer junger Mann, den Page als Gatten für seine Tochter Anne im Visier hat. An die Stelle von Mrs Quickley tritt Alice Fords Dienstmädchen Betty, die als Botin zwischen den Damen von Windsor und Falstaff vermittelt. Des Weiteren wird der Mode der damaligen Zeit entsprechend eine radebrechende deutsche Jungfer eingeführt, die Falstaff zum Rendezvous mit Alice Ford überreden will, hinter der sich allerdings niemand anderes als Alice selbst verbirgt. Anders als Verdis spätere Version enthält Salieris Fassung allerdings auch den zweiten Streich, in dem Falstaff ein weiteres Mal von Ford in dessen Haus überrascht wird und dieses Mal in die Kleider einer alten Tante schlüpft, die Ford dann unter Prügel aus dem Haus jagt. Falstaff (Christoph Pohl) macht Mrs Ford (Anett Fritsch, rechts) und Mrs Slender (Alex Penda, links) gleichzeitig den Hof (im Hintergrund: Betty (Mirella Hagen)). Das Regie-Team um Torsten Fischer lässt sich wohl von der Legende lenken, dass Shakespeare seine Komödie The Merry Wives of Windsor auf Wunsch von Königin Elizabeth I. verfasst habe, da sie an der Figur des Sir John Falstaff im Königsdrama Henry IV. so großen Gefallen gefunden haben soll, dass sie bei Shakespeare eine neue Geschichte über das Liebesleben des Ritters in Auftrag gegeben habe. Jedenfalls verlegt Fischer die Geschichte an den Hof von Queen Elizabeth II., die von der Statistin Heidelinde Sedlecky in ihrem gelben Kostüm mit ihrer Mimik und Gestik sehr gut getroffen wird. Bei der Ouvertüre befinden wir uns auf einer exklusiven High-Society-Party in Windsor, wobei Mrs Slender mit ihrer blonden Perücke und dem Hut wohl Camilla Parker-Bowles und Alice Ford die bezaubernde Kate Middleton darstellen sollen. Ford und Slender stehen dann selbstverständlich für Prinz William und Prinz Charles. Auch die rasende Eifersucht Fords wird direkt zu Beginn des Stückes aus seinem eigenen lüsternen Verhalten motiviert, verführt er doch sein Dienstmädchen Betty auf der Seitenbühne, bis "Opa Philip" und "Oma Elizabeth" dem Treiben Einhalt gebieten. Der hohe weiße Raum erinnert mit den königlichen Gästen, die zunächst auf Stühlen an den drei Wänden sitzen, ein wenig an ein Bild aus Pina Bauschs Tanztheaterstück Kontakthof, vor allem wenn die Gäste die Stühle in die Mitte stellen und in scheinbarer Unordnung dort Platz nehmen, um die königliche Familie zu empfangen. Alice Ford (Anett Fritsch) lädt als verkleidete "deutsche Jungfer" Falstaff (Christoph Pohl, links) zum Rendezvous mit Mrs Ford ein (rechts in der Hängematte: Bardolf (Robert Gleadow)) In diese vornehme Gesellschaft platzt nun Falstaff mit seinem Diener herein, und um zu zeigen, dass dieses Duo hier völlig fehl am Platz ist, lässt Fischer die beiden zunächst als Komiker-Paar Dick (Falstaff als Oliver Hardy) und Doof (Bardolf als Stan Laurel) auftreten. Doch während Falstaff relativ lange in dieser Rolle verweilt, verwandelt sich Bardolf sehr schnell in einen mephistophelischen Drahtzieher, der die Figuren im ganzen Spiel zu manipulieren scheint. Ganz plausibel wird das nicht an jeder Stelle, aber Robert Gleadow setzt als Bardolf diesen Regie-Einfall mit großem körperlichen Einsatz um. Im Laufe des Stückes legt Christoph Pohl als Falstaff auch den angelegten Fatsuit und die aufgedunsene Gesichtsmaske ab und verwandelt sich beim zweiten Rendezvous mit Alice in einen recht ansehnlichen Kavalier, bei dem sich Alice durchaus überlegen muss, ob sie diesem Mann nun wirklich einen Streich spielen will oder sich vielleicht doch auf eine Affäre mit ihm einlässt. Doch das Auftauchen ihres Mannes nimmt ihr diese Entscheidung ab. Ob dessen Verkleidung bei den Gesprächen mit Falstaff nun unbedingt die des Geheimagenten James Bond sein muss, ist sicherlich diskutabel, wird vom Publikum aber mit großem Gefallen goutiert. Eine weitere witzige, wenn auch plakative Idee ist es, Falstaff beim zweiten Treffen als Drag Queen Dame Edna auszustaffieren, um ihn vor dem eifersüchtigen Ehemann zu verstecken. Letzter Streich um Mitternacht: der gehörnte Falstaff (Christoph Pohl, vorne links in der Mitte) zwischen (von links) Mr Ford (Maxim Mironov), Alice Ford (Anett Fritsch), Bardolf (Robert Gleadow), Betty (Mirella Hagen), Mrs Slender (Alex Penda) und Mr Slender (Arttu Kataja) (im "Pool": Arnold Schoenberg Chor) Großen Spaß bereitet auch der riesige Pool, der am Ende des ersten Aktes mit aus dem Schnürboden herabfallenden durchsichtigen Plastikbällen gefüllt wird. Hier gehen im zweiten Akt der Chor und einige der Hauptakteure buchstäblich baden. Die Solisten lassen sich nicht nur darstellerisch auf diesen Spaß ein, sondern überzeugen auch musikalisch auf ganzer Linie. Christoph Pohl begeistert als Falstaff mit markantem Bariton und beweglichen Läufen in den Parlando-Stellen und stattet den Ritter mit großartiger Komik aus. Dabei gelingt es ihm auch, der zunächst sehr unsympathischen Figur im Verlauf des Stückes positive Züge zu geben, so dass man am Ende sogar etwas Mitleid mit ihm empfindet. Robert Gleadow überzeugt als sein Gehilfe Bardolf mit dunklen Tönen und diabolischem Spiel. Man fragt sich zwar, wieso er erst Fords Dienstmädchen Betty vernascht und sie anschließend, nachdem sie seinen Auftrag zu vollster Zufriedenheit ausgeführt hat, recht unsanft in den Pool wirft, aber das stört eigentlich nur am Rande. Am Ende darf er dann sogar noch als Magier seinen Herrn Falstaff auf der Bühne in zwei Teile zersägen. Annett Fritsch punktet optisch als sehr ansehnliche Alice Ford, bei der man gut nachvollziehen kann, dass sich die Männer nach ihr verzehren, und überzeugt stimmlich mit strahlenden Höhen, wobei sie in der Mittellage stellenweise etwas heiser klingt. Großartiges komisches Talent entfaltet sie auch als verkleidete deutsche Jungfer, die dem Ritter Falstaff zum Rendezvous mit Alice rät. Maxim Mironov gestaltet die Partie ihres Gatten mit schlankem Tenor, der in den Höhen enorme Strahlkraft entwickelt. Darstellerisch macht er deutlich, dass er trotz (oder gerade wegen?) seiner Eifersucht selbst auch kein Kostverächter ist. Ihm hat Salieri die anspruchsvollsten Arien in der Oper gewidmet. Als James Bond zeigt sich Mironov von seiner komödiantischen Seite. Alex Penda gestaltet die Mrs Slender ebenfalls mit großem Spielwitz, bleibt in der Mittellage mit ihrem Mezzo stellenweise allerdings etwas blass, was sie aber durch sauber intonierte Höhen wieder ausgleicht. Arttu Kataja überzeugt als ihr Gatte mit weichem Bariton und witzigen Ausflügen ins Falsett, wenn er seine Frau als treue Gattin imitiert. Mirella Hagen gefällt als Dienstmädchen Betty mit kokettem Spiel und mädchenhaftem Sopran. Der Arnold Schoenberg Chor findet sich darstellerisch als königliche Gesellschaft gut in das Regie-Konzept ein und überzeugt auch stimmlich. René Jacobs findet mit der Akademie für Alte Musik Berlin einen frischen Zugang zu Salieris Musik, so dass es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten gibt. Eine vereinzelte Unmutsbekundung beim Auftritt des Dirigenten ist nicht nachzuvollziehen und wohl als Irrläufer zu bezeichnen. FAZIT Das Theater an der Wien stellt mit einer kurzweiligen Inszenierung unter Beweis, dass Salieris Falstaff sich nicht hinter der übermächtigen Fassung von Verdi verstecken muss. Es bleibt zu hoffen, dass noch weitere Bühnen das Potenzial dieses Stückes erkennen und damit Salieri wieder zu mehr Aufmerksamkeit im Opernrepertoire verhelfen. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Licht
Ausstattung
Licht Chor Dramaturgie
Statisterie des Theater an der Wien Solisten
Sir John Falstaff
Bardolf
Mrs Alice Ford
Mr Ford
Mrs Slender
Mr Slender
Betty
Royals
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- Fine -