"Falstaff" mischt die Windsors auf

Anett Fritsch als Mrs. Ford (li.), Heidelinde Sedlecky (Queen), Christoph Pohl (Falstaff)
Die Neuproduktion der Opernrarität von Salieri wurde zum großen Erfolg.

Bei allem Lob, bei allen Einwänden, bei allen Schilderungen und Analysen geht es doch unterm Strich bei jeder Rezension einer Bühnenproduktion nur um die Beantwortung einer Frage: Soll man sich das anschauen?

Im Falle von Antonio Salieris "Falstaff" im Theater an der Wien gibt es diesbezüglich eine eindeutige Antwort: Unbedingt! Es gilt sogar die höchste Empfehlungsstufe.

Diese ist nicht zwingend dem 1799 am Kärntnertortheater uraufgeführten Werk geschuldet, auch wenn dieses fabelhafte Momente enthält und Salieri als großen Komponisten und genialen Instrumentierer ausweist. Man hört schöne ariose Ansätze, die zumeist rasch in Duette oder Ensembles münden. Einige Zwischenspiele – nicht nur die eingefügten Auszüge aus Beethovens Klaviervariationen über "La stessa, la stessissima" aus Salieris Oper – sind traumhaft, zahlreiche Solopartien sehr berührend. Dieser "Falstaff", der mit dem Libretto von Carlo Prospero Defranceschi inhaltlich ganz nahe an Verdis Shakespeare-Version ist, kann musikalisch mit bekannteren Werken mithalten. Die Akademie für Alte Musik Berlin spielt präzise und farbenprächtig, das Dirigat von René Jacobs könnte allerdings differenzierter, frecher, weniger linear sein.

Die szenische Umsetzung durch Regisseur Torsten Fischer, die Ausstatter Vasilis Triantafillopoulos und Herbert Schäfer (sowie das Technikteam des Theaters an der Wien) jedoch ist exemplarisch gelungen, einfallsreich, humorvoll, ohne plakative Gags, voller Geschmack und Fantasie.

Fischer lässt die Geschichte vom alten Ritter Sir John in der heutigen Windsor-Familie spielen, mit der Queen in ihrem berühmten zitronengelben Kleid auf der Bühne, mit Alice Ford im Look von Herzogin Kate und Mrs. Slender als Camilla. Das ergibt – mit dem darstellerisch und sängerisch sehr gut geführten bzw. einstudierten Arnold Schoenberg-Chor – hinreißende Momente.

Oliver Hardy meets Kubrick

Falstaff selbst ist gezeichnet wie Oliver Hardy in "Dick und Doof", also passend zu seiner Leibesfülle. Und sein Diener Bardolf ist mehr Mephisto als Stan Laurel. Er ist als Zeremonienmeister, als Strippenzieher, als Zauberer, als Conférencier wie in "Cabaret" dauerpräsent. Er sieht aus wie Alex in Stanley Kubricks "Clockwork Orange" und ist fast so bösartig. Wie diese Partie vom kanadischen Bassbariton Robert Gleadow gespielt wird, ist grandios. Der Autor dieser Zeilen kann sich nicht erinnern, wann er zuletzt einen darstellerisch derart begabten Opernsänger beobachtet hat.

Falstaff wird von Christoph Pohl gut und ausdrucksstark gesungen und auch famos gespielt. Anett Fritsch ist Alice Ford – ebenfalls eine exzellente Besetzung. Mirella Hagen gibt eine süße Dienerin Betty. Der Rest fällt sängerisch leider ziemlich ab: Maxim Mironov als Mr. Ford, Alex Penda als Mrs. Slender, Arttu Kataja als Mr. Slender.

Was die Inszenierung ausspart, ist eine analytische Auseinandersetzung mit den Figuren. Unklar bleibt, was Falstaff mit der Gesellschaft, in die er wie aus einer anderen Zeit hereinbricht, wirklich bewirkt. Dafür stimmt das Timing bei dieser Komödie, die szenisch viel beschäftigten Schauspieler sind wunderbar geführt.

Ein Effekt, der ausnahmsweise verraten sei, weil es sich ja nicht um die Schlusspointe handelt, ist spektakulär: Der Regisseur lässt, wenn Falstaff in die Themse geworfen wird, transparente Bälle (wie im Kinderland von "Ikea") regnen, die ein riesiges Becken füllen. Insgesamt 165.000 Stück, 1800 kg schwer, mit einem Volumen von 60 Kubikmetern. Man kann sich den logistischen Aufwand, der dahinter steckt, ausmalen. Ein musiktheatralischer Abend, der Freude macht.

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