Theater an der Wien: Falstaff darf abspecken

(C) Theater an der Wien/ Herwig Prammer
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Salieris Oper „Falstaff“ wird mit René Jacobs musikalisch lebendig. Die Regie lässt Falstaff die Royals aufmischen – und unter den Fuchsschwanz kommen.

Ablenkung lautet das Prinzip der Zauberkünstler: die Aufmerksamkeit des Publikums auf das Blendwerk zu ziehen, hinter dem sich die Handgriffe des eigentlichen Tricks unentdeckt erledigen lassen. So betrachtet, bekommt der Schluss von Torsten Fischers Inszenierung von Antonio Salieris „Falstaff“ etwas Listiges. Da wird nämlich der zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr dickwanstige Schwerenöter in einer letzten Lektion als klassische „zersägte Jungfrau“ vorgeführt. „Mai più, mai più“, beteuert er jammernd, „nie wieder“ wolle er auf dumme Gedanken kommen – jenes „Mai più“, das zuvor in einer Arie des Slender als Echo des Chores durch die Kulissen gehallt ist: Nie wieder könne man seines Lebens froh werden, wenn erst die Eifersucht regiere . . . Seinen Versicherungen zum Trotz wird Falstaff vom teuflischen Bardolfo trotzdem halbiert – zum Gaudium der lustigen Weiber von Windsor, ihrer selbstgerechten Ehemänner und des hernach jubelnden Publikums im Theater an der Wien.

Der ganze Trick ist jedoch auch Camouflage: Er übertüncht, dass Fischer keine überzeugende Auflösung gefunden hat für seine an sich interessante Idee, das Verführungsspiel zwischen Falstaff und Mrs. Ford zu einer lebhaften Eifersuchtsfantasie des Mr. Ford werden zu lassen, der zunehmend den Boden der Realität unter seinen Füßen schwinden fühlt. So vereint seine Regie Realismus mit Physical Comedy sowie symbolhaften und surrealen Elementen zu einem nicht durchwegs homogenen, aber in den Einzelteilen immer wieder unterhaltsamen Ganzen, zu dem der famose Schoenberg-Chor, eine bewegliche Spiegelwand und ein großes, mit vom Schnürboden hagelnden Plastikkugeln gefülltes Schwimmbecken das Ihre beitragen.

„Dick und Doof“ auf Schloss Windsor

In ein Windsor der Gegenwart mit „den Windsors“ selbst (inkl. Queen und Duke of Edinburgh als Statisten) stolpern Falstaff und Bardolfo in der Maske von „Dick und Doof“ – und die Mischung aus fehlender Etikette, Tollpatschigkeit und unbekümmerter Triebbefriedigung im Kreise indignierter Hocharistokratie ist ja ein ewiges Komödienthema. Doch beide wandeln sich. Bardolfo, bald schon gewiefter Doppelagent, der Ford den geplanten Angriff Falstaffs auf Mrs. Ford verrät, wächst sich aus zu einem mit nackter Brust unter dem Sakko mephistophelisch herumtänzelnden, stets präsenten Dämon, den Bassbariton Robert Gleadow mit Totaleinsatz verkörpert: auch klanglich ein schärfer konturierter, finsterer Schatten seines Herrn. Diesem verleiht Christoph Pohl mit eloquent sprudelndem Bariton nicht nur saftige Präsenz, sondern auch psychologische Tiefe. Pohls zwischen Ginflasche, Hängematte und Damenbett ausgelebtes Komödientalent trägt einen Großteil des Abends, wobei er überraschend auf halbem Wege Doppelkinn und Fettwülste abstreifen darf: Falstaff mausert sich – wenn auch vielleicht nur in den Augen einer in ihrer Ehe gelangweilten Mrs. Ford.

Anett Fritsch glänzt als Kate-Double und versprüht mit frischem Sopran nicht zuletzt als ihr eigener Postillon d'Amour (die Quickly gibt es hier nicht) in der Verkleidung einer radebrechenden „Tedesca“ Witz und heitere Laune. Dafür fehlt Ford (William) jeder Anlass. Zunächst selbst außerehelichen Vergnügungen nicht abgeneigt, leidet er dann exaltiert: Eifersucht als Männerschnupfen. Maxim Mironov münzt diese Pein neben den von Salieri vorgesehenen Koloraturen auch in tenorale Höhenflüge um, die schon Rossini erahnen lassen. Arttu Kataja und Alex Penda als Ehepaar Slender sowie Mirella Hagen als Zofe Betty komplettieren das ausgeglichene Ensemble, wobei beide Damen elektrisierende Spitzentöne einwerfen dürfen.

Ein bisschen zusätzlicher Pep schadet Salieris 1799 in Wien uraufgeführter Oper ja nicht, das weiß René Jacobs am besten. Aber er muss sie nicht aufmotzen. Gemeinsam mit der formidablen Akademie für Alte Musik Berlin macht er den einstigen Erfolg plausibel: Knappe Arien (eine sogar mit konzertierender Klarinette!), dramatische Accompagnati, originelle Ensembles und etliche ungewöhnliche Wendungen mit einer trotz großer Transparenz abwechslungsreichen Instrumentierung halten das Interesse aufrecht.

Das Publikum reagierte wie auf der Bühne am Ende die Queen: königlich amüsiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2016)

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