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Hier blickt vor allem der Tote durchVon Roberto Becker / Fotos: © Monika RittershausEs ist natürlich längst nicht die erste Hamlet-Oper der Geschichte, die das Theater an der Wien da in Auftrag gegeben hat. Aber was Librettist Thomas Jonigk und der Komponist Anno Schreier (37) aus dem Auftrag gemacht haben, gehört zu den originelleren Nachverwertungen von Shakespeares Drama. Jonigk hat mit seinen 25 Szenen nicht einfach die Story auf ein operntaugliches Zweieinhalb-Stunden-Maß eingedampft und nacherzählt. Er hat schon etwas eigenes daraus gemacht, wenngleich mit einem kleinen Teil des von der Schauspiel-Bühne bekannten Personals. Damit hat sich Jonigk auf die Kernfamilie und den Sprengstoff konzentriert, der eben zu explodieren droht, wenn der Vater vom eigenen Bruder ermordet wird und der dann ziemlich schnell die Schwägerin bzw. Witwe heiratet. Hinzu kommt ein geradezu inzestuöses Verhältnis zwischen Mutter und Sohn. Dessen Eifersuchtsausbrüche und Versuche, die Hochzeit von Gertrud mit Claudius zu verhindern, gehen schon deutlich über das Maß hinaus, das wohl immer in einer für die Kinder so problematischen Situation auftritt.
Aus dem Shakespearschen Personaltableau hat es noch Ophelia in die Oper geschafft. Allerdings nicht als unschuldig in den Dunstkreis des Prinzen geratendes junges Mädchen, das dem Wahnsinn verfällt. Bei der mezzosatt auftrumpfenden, mit ihrem Sexappeal kalkulierenden Theresa Kronthaler ist sie eine mit allen Wassern gewaschene Edelkurtisane, die ihre einschlägigen Erfahrungen schon mit dem alten (Vater) Hamlet und mit Claudius gesammelt hat. Die soll sie jetzt auf ausdrücklichen Wunsch Gertruds auch beim jungen Hamlet ausspielen, damit der die Familienplanung nicht weiter stört. Marlis Petersen als Gertrud und Bo Skovhus als Claudius können voneinander nicht lassen Hinzu kommt noch ein protestantischer Pastor, der in Gestalt von Kurt Streit rollenadäquat als etwas naiver Mitspieler quasi als Scharnier zwischen Familie und Hofstaat fungiert. Diese Gesellschaft, der Jonigk gleich einem antiken Chor, Shakespeare-Zitate bis hin zum "Sein oder Nichtsein" in den Mund legt, ist mal historisch kostümiert in der Hamlet-Zeit verwurzelt, dann wieder die Reflexionsebene der exemplarischen Familienhandlung, die genauso in der Gegenwart verortet ist. Der theatralische Clou dieser Konstellation ist ein dauerpräsenter Hamlet senior. Der Geist von Hamlets Vater als durchaus witzig selbstkritischer Kommentator des Gewesenen, Moderator des Geschehens und Vermittler zwischen Bühne und Zuschauerraum. Jochen Kowalski gibt diesen höchst lebendigen Geist als souveränen Entertainer. Fast ausschließlich als Sprecher mit dem Sinn für die Melodie der Sprache, die der Pionier der deutschen Countertenöre natürlich hat. Leider nur einmal (bei einer Warnung an Ophelia) ertönt auch seine Singstimme.
Dass der jungenhafte, wohltimbrierte Andrè Schuen als sein Sohn in Jeans und T-Shirt auftritt, gehört sicher zur Dauerrevolte gegen den unverhohlen verachteten Vater und dessen Nachfolger an der Seite seiner Mutter. Die katastrophenaffine Aura dieser beiden wird durch das starke Charisma beglaubigt, das Marlis Petersen und Bo Skovhus ausstrahlen. Zwei Sängerdarsteller, die im Vollbesitz ihrer enormen vokalen Möglichkeiten sind und das mit gestalterischer Glaubwürdigkeit verbinden. Das ist höchstes Niveau und in beiden Fällen eine nochmaliger Steigerung bei den ohnehin schon zu bewundernden Fähigkeiten dieser beiden Spitzenkünstler. Allein schon mit dieser Besetzung verweist das Theater an der Wien die große Schwester am Ring, auch was die Sängerqualität betrifft, wieder einmal auf die Plätze. Zwischen den großgemustert tapezierten Wänden, mit denen Johannes Leiacker eine deutlich geneigte Schräge begrenzt hat (schließlich ist die Welt ja aus den Fugen), erleben wir also die finale Zuspitzung länger schwelender Konflikte, die vor der geplanten Hochzeit von Gertrud und Claudius eskalieren und aufbrechen. Das geht so weit, dass Claudius in eine Art nihilistisches Credo getrieben wird, bei dem er Hamlet gegenüber bekennt, dass ihn keine seiner Untaten um den Schlaf bringt, ihm sogar die Waffe reicht, mit der er den Mord an seinem Vater rächen könne. Als Hamlet das verweigert, sticht Claudius ohne Skrupel zu. Zumal Gertrud "seinen" Thronfolger schon in sich trägt. Auf einen mehr kommt's nicht mehr an: Claudius ersticht Hamlet All das entfaltet sich zu einer ausgesprochen theaterwirksamen, großorchestrierten Musik, die darauf aus ist, mit der Anmutung vieler Zitate beim Publikum anzukommen. Bis hin zu Walzerklängen oder einem verordneten staatlichen Jubel, der sich bei Beethoven aufgeladen hat. Diese Art von amalgamierendem Zitieren hat bei Schreier einigen Witz und keine Angst vor Wohlklang. Auch sein komponiertes Parlando schreckt nicht ab, sondern dient dem durchweg gutverständlichen Text. Dass Michael Boder und das ORF Radio-Symphonieorchester in den instrumentalen Passage geradezu schwelgen, bei denen Richard Strauss durchklingt, und aus dem Wechsel vom Lyrischen zum ausbrechenden Schlagzeug Funken schlagen, versteht sich von selbst. Das Wiener Premierenpublikum quittierte das mit ungeteilter, begeisterter Zustimmung.
Das Theater an der Wien landet mit der neuen Hamlet Oper einen Uraufführungserfolg, der zum Nachspielen anregt. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Licht
Chor
Solisten
Hamlet
Der tote Hamlet, ehemaliger König
Gertrud, Königin
Claudius, König
Ophelia
Ein Pastor
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- Fine -