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Melodramma in drei Akten
in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (zwei
Pausen)
Premiere
am 10. September 2016 im Großen Haus des Staatstheaters
Braunschweig
„Man hat […] Druck, der vom Stück selber
ausgeht, das einem als Regisseur
nicht genug Freiheiten lässt“„ Alles ist festgelegt, alle Themen
sind als
massive Pfeiler unverrückbar vor einem aufgepflanzt und
schränken den kreativen
Freiraum ein.“ „Sich vom Diktat der allzu konkreten Vorgaben zu
emanzipieren,
bedeutet Abenteuer mit ungewissem Ausgang.“ „Eine Oper, die alle zu
Opfern
macht. Den Regisseur zuerst.“ Dann
folgen geradezu vernichtende Aussagen über die Trivialität
dieser Oper, ihre
Funktion als „eine Art Legitimierung von Blutrausch“ und die Klage,
dass auf
physische Folter „sentimentale Duettmusik“ folge. Auch stecke in der
Musik so
viel Naturalismus, dass man ihn nicht auch noch auf der Bühne
sehen dürfe, denn
sonst würde die Musik „unappetitlich“. Was er zeigen will, sind
„Scheinmaterialisierungen, nie Setzungen“ und so möchte er
„Außenräume zu
Innenräumen“ machen. Dieses
Interview ist ausgesprochen lesenswert, weil es
einerseits dringend benötigte Hinweise zum Umgang mit dem gibt,
was auf der
Bühne zu sehen ist – sich dort aber nicht erschließt – und
andererseits, weil
es sehr deutlich die Hierarchie zwischen Werk und Regisseur aus Sicht
desselben
bestimmt. Kurz gesagt: Es liest sich wie das Credo des modernen
Regietheaters.
Das Ergebnis, das da letztendlich auf der Bühne zu sehen ist,
entpuppt sich
dann aber als der dazugehörige Offenbarungseid.
Angelotti (Rossen Krastev),
Statisterie
Denn Schwab
scheitert nicht nur daran, seinen Regiegedanken
überzeugend umzusetzen, er nimmt dieser Oper szenisch auch fast
alles, was ihre
Reize ausmacht und fügt dem aus seiner Sicht so Trivialem noch
mehr Triviales
bei. „Mal ihr schwarze Augen!“ singt Tosca und setzt der Maria eine
Sonnenbrille
auf. Der Fächer wird zum bunt leuchtenden Handventilator. (Als
Modernisierungsidee
nachvollziehbar, dass im Übertext aber auch „Ventilator“ statt
„Fächer“ zu
lesen ist, geht zu weit). Dass Scarpia Tosca im ersten Akt einen
Schluck eines
schwarzen amerikanischen kalorienreduzierten Erfrischungsgetränkes
statt des
Weihwassers anbietet und Tosca ihm eine Flasche desselben, die sie
zuvor aus
einem Getränkeautomaten auf der Bühne gezogen hat, in die
Hand drückt, anstatt
ihm ein Kreuz auf die tote Brust zu legen, nachdem sie ihm mit zwei
Essstäbchen
die Halsschlagader zerfetzt hat, ist ein Gag – vielleicht auch ein
fragwürdiger
Hinweis auf einen anderen Kult als die Religion. Cavaradossi arbeitet
an einer
Pietà (aus lebenden Figuren), die sich wie eine Blüte
entfaltet, wenn er die
Plastikfolie herunterzieht und die, wenn sie sich wieder zusammenzieht,
auch
erotische Ansätze zeigt. Cavaradossi gießt vorsichtig rote
Farbe als Blut an
die Seitenwunde Christi – Scarpia wird
die Skulptur später mit roter Farbe zerstörend
überschütten und Maria das Kleid
aufreißen, so dass sie mit blankem Busen dasitzt. Der Mesner ist
eine
durchgeknallte Figur, die Angelotti als plastikumhüllte Skulptur
den Schlüssel
reicht, im „Te Deum“ als skurril deformierte Papstkarikatur erscheint
und als
Folterknecht in Scarpias Diensten steht. Cavaradossi ist dort auf einen
Tisch
gefesselt und wird in den Bühnenboden versenkt. Wenn sich die
Versenkung wieder
hebt, sieht man eine geradezu dionysische Festmahltafel, auf der
Folteropfer mit
Schweineköpfen drapiert sind. Auf der Brust tragen sie Buchstaben,
die
zusammengesetzt das Wort „BEAUTY“ ergeben. Immer und überall
liegen Matratzen
mit Bettzeug auf der Bühne und im Hintergrund liegt ein
schräges Kreuz mit
Leuchtbuchstaben, die die Worte „will, sin, find, you, out“ zur
Situation
passend aufleuchten lassen. Wie war das mit der Trivialität…?
Trotzdem sind
solche plakativen Modernisierungsmätzchen
besser zu verkraften als die Demontage der Finessen, die diese Oper
bietet. Es
wirkt schon befremdlich, wenn sich jemand über Mängel beklagt
und dann noch mehr
Mängel hinzufügt und man stutzt, wenn jemand über den
Einsatz der typischen
Mittel einer Oper stöhnt, wenn man sich doch in einer Oper
befindet. Tosca ist kein Tatsachenbericht und
keine wissenschaftliche Dokumentation. Tosca
ist eine Oper – und was für eine! Auch eine Oper transportiert
Geschichten,
Situationen, Emotionen usw. in
vielfältiger Form und hat ihre eigenen Mittel, sie
herauszuarbeiten.
Doch Schwab
beschränkt sich ganz auf das
Äußerliche, Körperliche, zumeist Brutale, wenn er
Scarpia und seine Schergen
zeichnet. Dem Baron fehlt jeder Stil, jede Haltung, jede Grandezza.
Doch genau
das muss er haben, um seine perfiden, psychoterroristischen
Machenschaften
kontrastierend noch bedrohlicher, noch grausamer erscheinen
zu
lassen. Die Figur wird hier zu
einem schmierigen, widerlichen aktiven Täter, der beispielsweise
seinem
Schergen Spoleta das Knie zerschießt. Für solche Arbeiten
hat der eigentliche
Scarpia seine Handlanger, damit macht er sich die Finger nicht
schmutzig.
Abgesehen davon: Unter seinen Leuten verbreitet er durchaus Angst und
Schrecken
– aber warum sollte er seine willfährigen
Bediensteten „unbrauchbar“ machen? In dieser
Charakterzeichnung geht aber vor
allem der psychische Terror, mit dem Scarpia Tosca unter Druck setzt,
gänzlich
verloren, zumal er sie bedrängt und begrabbelt, aber nicht subtil
bedroht. Das
ist keine feingezeichnete Psychologie, das ist einfach nur flach und
widerlich,
aber nicht unter die Haut gehend. Tosca (Yannick-Muriel Noah) Aber unter die Haut geht an
diesem Abend eh fast gar nichts. Obwohl Regisseur und
Bühnenbildner erklärtermaßen die Innenwelten der
handelnden Personen Raum werden lassen wollen und keine Räume
materialisieren, in denen sich eine Handlung abspielt. Das lässt
reichlich Spielraum, denn in Gedanken, Träumen und Ängsten
geht ja immer irgendwie fast alles… Das Scheinwerferlicht, in dem Tosca
als Sängerin lebt, stand für den Hauptgedanken der
Visualisierungen Pate, die Bühnenbildner Piero Vinciguerra
erarbeitet hat. Unmengen von Scheinwerfern und Lichtquellen
umschließen die Bühne und werden bedeutungsvoll eingesetzt.
Zu blitzenden Stroboskopen zuckt Angelotti in Erinnerung an seine
Folterschmerzen. Die Gottesmutter in der Pietà trägt eine
Neonröhre als Heiligenschein. Tosca wird im zweiten Akt mit
Scheinwerfern umstellt von Scarpia verhört. Als Tosca hat Yannick-Muriel
Noah in der Höhe blühende, vollklingende Töne, die
Mittellage klingt zuweilen rau und nicht immer angenehm, die Tiefe
schon im Mezzoforte schwach. Arthur Shen war in der von mir besuchten
Aufführung angesagt und deutlich hörbar indisponiert, sang
den Cavaradossi aber dennoch, um die Aufführung zu retten. Da er
die Rolle sehr überzeugend gespielt hat, hätte man sich einen
Kollegen gewünscht, der die Partie von der Seite einsingt.
Oleksandr Pushniak gestaltet den Scarpia wie oben beschrieben auch
gesanglich und scheint zusätzlich zu versuchen, seine Stimme
größer klingen zu lassen als sie ist, was der Figur noch
eine weitere Dimension verleiht. Als Angelotti kann Rossen Krastev
ebenso überzeugen wie Patrick Ruyters als Mesner. Schade, dass die
liebliche Stimme von Ekaterina Kudryatseva als Hirt nur über
Lautsprecher durch den Zuschauerraum hallte. Mit Michael Ha als
Spoletta, Selçuk Hakan Tiraşoğlu als Sciarrone und Tadeusz
Nowakowski als Schließer sind die kleineren Partien klangvoll
besetzt.
FAZIT Der Regisseur hat ebenso
Großes wie Fragwürdiges vor und scheitert schmerzend mit der
Umsetzung seiner im Programmheft abgedruckten Ideen auf der Bühne.
Auch musikalisch hat die Produktion kein Wiederholungsbesuchspotential.
Musikalische
Leitung
Inszenierung Bühne
Kostüme
Chor &
Extrachor Kinderchor Dramaturgie
Niedersächsisches
Chor, Extrachor Statisterie des
Solisten *rezensierte Aufführung Floria Tosca Mario Cavaradossi Scarpia Cesare Angelotti Der Mesner Spoletta Sciarrone Schließer Hirt
Weitere
Informationen
Tosca
Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach dem Drama La
Tosca von Victorien Sardou
Musik von Giacomo Puccini
(besuchte Aufführung: 30. September 2016)
Staatstheater Braunschweig
(Homepage)
Credo und
Offenbarungseid
Von
Bernd Stopka / Fotos
von
Volker Beinhorn
Wenn es eine
„Oper der Opern“ gäbe,
hätte Giacomo Puccinis Tosca allerbeste Chancen,
dieses Ranking
zu gewinnen. Die Handlung ist spannend und nachvollziehbar, Gute und
Bösewichter sind klar erkennbar, es gibt eine grandiose Chorszene
und keine
weibliche Nebenrolle stiehlt der Primadonna die Schau. Die einfach
geniale,
emotional tiefgehende und dramatisch mitreißende Musik mit drei
großen Arien
und einem dramatischen Finale bietet alles, was spannendes
italienisches
Musiktheater aufzubieten hat. Das Staatstheater Braunschweig
eröffnet die neue
Spielzeit mit diesem ebenso viel gespielten wie heiß geliebten
Werk in einer
Inszenierung von Roland Schwab, der sich zu dieser Oper seine sehr
eigenen
Gedanken gemacht hat, die man im Programmheft nachlesen kann.
Am Ende des dritten Aktes schweben die Scheinwerfer in den
Schnürboden und Tosca bleibt verzweifelt allein auf der Bühne
zurück. Zuvor dachte man, dass der dritte Akt ein Traum
Cavaradossis sein könnte, denn außer eines schaukelnden
Engelskindes bleibt er bis zu Toscas Auftritt allein und auch die
Erschießung bleibt im blendenden Scheinwerferlicht unsichtbar.
Das ist durchaus eine Idee und der dritte Akt hat denn auch die
einzigen ansatzweise berührenden Momente dieser Produktion.
Als Nachdirigent steht Christopher Hein am Pult des sauber und
konzentriert spielenden Staatsorchesters und bildet einen
gewissen Gegenpol zum Bühnengeschehen, auch wenn die musikalische
Raffinesse und die emotionale Spannkraft der Musik – etwa in der
Scarpia/Tosca-Szene des zweiten Aktes – deutlicher spürbar sein
könnten. Aber es ist schwer genug, gegen dieses Regiedesaster
anzudirigieren. Der Chor klingt im „Te Deum“ prachtvoll, nachdem er
sich – regiebedingt – widerstrebend und ebenso trotzig klingend auf die
Bühne begeben hat. Der Kinderchor darf in
überschwänglicher Fröhlichkeit wohleinstudiert und kultiviert
singen und springen.
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(Veröffentlichung vorbehalten)
Produktionsteam
Georg Menskes /
*Christopher Hein
Roland Schwab
Piero Vinciguerra
Sabine Blickenstorfer
Johanna Motter
Tadeusz Nowakowski
Sarah Grahneis
Staatsorchester Braunschweig
und Kinderchor
des Staatstheaters Braunschweig
Staatstheaters Braunschweig
Yannick-Muriel Noah
Arthur Shen
Oleksandr Pushniak
Rossen Krastev
Patrick Ruyters
*Michael Ha /
Matthias Stier
Selçuk Hakan Tiraşoğlu
Tadeusz Nowakowski
Mirella Hagen /
*Ekaterina Kudryavtseva
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Staatstheater
Braunschweig
(Homepage)
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