Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum


Tosca

Melodramma in drei Akten
Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach dem Drama La Tosca von Victorien Sardou
Musik von Giacomo Puccini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (zwei Pausen)

Premiere am 10. September 2016 im Großen Haus des Staatstheaters Braunschweig
(besuchte Aufführung: 30. September 2016)

 



Staatstheater Braunschweig
(Homepage)

Credo und Offenbarungseid

Von Bernd Stopka / Fotos von Volker Beinhorn

Wenn es eine „Oper der Opern“ gäbe, hätte Giacomo Puccinis Tosca allerbeste Chancen, dieses Ranking zu gewinnen. Die Handlung ist spannend und nachvollziehbar, Gute und Bösewichter sind klar erkennbar, es gibt eine grandiose Chorszene und keine weibliche Nebenrolle stiehlt der Primadonna die Schau. Die einfach geniale, emotional tiefgehende und dramatisch mitreißende Musik mit drei großen Arien und einem dramatischen Finale bietet alles, was spannendes italienisches Musiktheater aufzubieten hat. Das Staatstheater Braunschweig eröffnet die neue Spielzeit mit diesem ebenso viel gespielten wie heiß geliebten Werk in einer Inszenierung von Roland Schwab, der sich zu dieser Oper seine sehr eigenen Gedanken gemacht hat, die man im Programmheft nachlesen kann.

„Man hat […] Druck, der vom Stück selber ausgeht, das einem als Regisseur nicht genug Freiheiten lässt“„ Alles ist festgelegt, alle Themen sind als massive Pfeiler unverrückbar vor einem aufgepflanzt und schränken den kreativen Freiraum ein.“ „Sich vom Diktat der allzu konkreten Vorgaben zu emanzipieren, bedeutet Abenteuer mit ungewissem Ausgang.“ „Eine Oper, die alle zu Opfern macht. Den Regisseur zuerst.“  Dann folgen geradezu vernichtende Aussagen über die Trivialität dieser Oper, ihre Funktion als „eine Art Legitimierung von Blutrausch“ und die Klage, dass auf physische Folter „sentimentale Duettmusik“ folge. Auch stecke in der Musik so viel Naturalismus, dass man ihn nicht auch noch auf der Bühne sehen dürfe, denn sonst würde die Musik „unappetitlich“. Was er zeigen will, sind „Scheinmaterialisierungen, nie Setzungen“ und so möchte er „Außenräume zu Innenräumen“ machen. Dieses Interview ist ausgesprochen lesenswert, weil es einerseits dringend benötigte Hinweise zum Umgang mit dem gibt, was auf der Bühne zu sehen ist – sich dort aber nicht erschließt – und andererseits, weil es sehr deutlich die Hierarchie zwischen Werk und Regisseur aus Sicht desselben bestimmt. Kurz gesagt: Es liest sich wie das Credo des modernen Regietheaters. Das Ergebnis, das da letztendlich auf der Bühne zu sehen ist, entpuppt sich dann aber als der dazugehörige Offenbarungseid.

Bild zum Vergrößern

Angelotti (Rossen Krastev), Statisterie

Denn Schwab scheitert nicht nur daran, seinen Regiegedanken überzeugend umzusetzen, er nimmt dieser Oper szenisch auch fast alles, was ihre Reize ausmacht und fügt dem aus seiner Sicht so Trivialem noch mehr Triviales bei. „Mal ihr schwarze Augen!“ singt Tosca und setzt der Maria eine Sonnenbrille auf. Der Fächer wird zum bunt leuchtenden Handventilator. (Als Modernisierungsidee nachvollziehbar, dass im Übertext aber auch „Ventilator“ statt „Fächer“ zu lesen ist, geht zu weit). Dass Scarpia Tosca im ersten Akt einen Schluck eines schwarzen amerikanischen kalorienreduzierten Erfrischungsgetränkes statt des Weihwassers anbietet und Tosca ihm eine Flasche desselben, die sie zuvor aus einem Getränkeautomaten auf der Bühne gezogen hat, in die Hand drückt, anstatt ihm ein Kreuz auf die tote Brust zu legen, nachdem sie ihm mit zwei Essstäbchen die Halsschlagader zerfetzt hat, ist ein Gag – vielleicht auch ein fragwürdiger Hinweis auf einen anderen Kult als die Religion. Cavaradossi arbeitet an einer Pietà (aus lebenden Figuren), die sich wie eine Blüte entfaltet, wenn er die Plastikfolie herunterzieht und die, wenn sie sich wieder zusammenzieht, auch erotische Ansätze zeigt. Cavaradossi gießt vorsichtig rote Farbe als Blut an die Seitenwunde Christi – Scarpia  wird die Skulptur später mit roter Farbe zerstörend überschütten und Maria das Kleid aufreißen, so dass sie mit blankem Busen dasitzt. Der Mesner ist eine durchgeknallte Figur, die Angelotti als plastikumhüllte Skulptur den Schlüssel reicht, im „Te Deum“ als skurril deformierte Papstkarikatur erscheint und als Folterknecht in Scarpias Diensten steht. Cavaradossi ist dort auf einen Tisch gefesselt und wird in den Bühnenboden versenkt. Wenn sich die Versenkung wieder hebt, sieht man eine geradezu dionysische Festmahltafel, auf der Folteropfer mit Schweineköpfen drapiert sind. Auf der Brust tragen sie Buchstaben, die zusammengesetzt das Wort „BEAUTY“ ergeben. Immer und überall liegen Matratzen mit Bettzeug auf der Bühne und im Hintergrund liegt ein schräges Kreuz mit Leuchtbuchstaben, die die Worte „will, sin, find, you, out“ zur Situation passend aufleuchten lassen. Wie war das mit der Trivialität…?

Bild zum Vergrößern

Mesner (Patrick Ruyters), Cavaradossi (Arthur Shen), Scarpia (Oleksandr Pushniak)

Trotzdem sind solche plakativen Modernisierungsmätzchen besser zu verkraften als die Demontage der Finessen, die diese Oper bietet. Es wirkt schon befremdlich, wenn sich jemand über Mängel beklagt und dann noch mehr Mängel hinzufügt und man stutzt, wenn jemand über den Einsatz der typischen Mittel einer Oper stöhnt, wenn man sich doch in einer Oper befindet. Tosca ist kein Tatsachenbericht und keine wissenschaftliche Dokumentation. Tosca ist eine Oper – und was für eine! Auch eine Oper transportiert Geschichten, Situationen, Emotionen usw. in vielfältiger Form und hat ihre eigenen Mittel, sie herauszuarbeiten.

Doch Schwab beschränkt sich ganz auf das Äußerliche, Körperliche, zumeist Brutale, wenn er Scarpia und seine Schergen zeichnet. Dem Baron fehlt jeder Stil, jede Haltung, jede Grandezza. Doch genau das muss er haben, um seine perfiden, psychoterroristischen Machenschaften kontrastierend noch bedrohlicher, noch grausamer erscheinen zu lassen. Die Figur wird hier zu einem schmierigen, widerlichen aktiven Täter, der beispielsweise seinem Schergen Spoleta das Knie zerschießt. Für solche Arbeiten hat der eigentliche Scarpia seine Handlanger, damit macht er sich die Finger nicht schmutzig. Abgesehen davon: Unter seinen Leuten verbreitet er durchaus Angst und Schrecken – aber warum sollte er seine willfährigen Bediensteten „unbrauchbar“ machen? In dieser Charakterzeichnung geht aber vor allem der psychische Terror, mit dem Scarpia Tosca unter Druck setzt, gänzlich verloren, zumal er sie bedrängt und begrabbelt, aber nicht subtil bedroht. Das ist keine feingezeichnete Psychologie, das ist einfach nur flach und widerlich, aber nicht unter die Haut gehend.

Bild zum Vergrößern

Tosca (Yannick-Muriel Noah)

Aber unter die Haut geht an diesem Abend eh fast gar nichts. Obwohl Regisseur und Bühnenbildner erklärtermaßen die Innenwelten der handelnden Personen Raum werden lassen wollen und keine Räume materialisieren, in denen sich eine Handlung abspielt. Das lässt reichlich Spielraum, denn in Gedanken, Träumen und Ängsten geht ja immer irgendwie fast alles… Das Scheinwerferlicht, in dem Tosca als Sängerin lebt, stand für den Hauptgedanken der Visualisierungen Pate, die Bühnenbildner Piero Vinciguerra erarbeitet hat. Unmengen von Scheinwerfern und Lichtquellen umschließen die Bühne und werden bedeutungsvoll eingesetzt. Zu blitzenden Stroboskopen zuckt Angelotti in Erinnerung an seine Folterschmerzen. Die Gottesmutter in der Pietà trägt eine Neonröhre als Heiligenschein. Tosca wird im zweiten Akt mit Scheinwerfern umstellt von Scarpia verhört.
Am Ende des dritten Aktes schweben die Scheinwerfer in den Schnürboden und Tosca bleibt verzweifelt allein auf der Bühne zurück. Zuvor dachte man, dass der dritte Akt ein Traum Cavaradossis sein könnte, denn außer eines schaukelnden Engelskindes bleibt er bis zu Toscas Auftritt allein und auch die Erschießung bleibt im blendenden Scheinwerferlicht unsichtbar. Das ist durchaus eine Idee und der dritte Akt hat denn auch die einzigen ansatzweise berührenden Momente dieser Produktion.

Als Tosca hat Yannick-Muriel Noah in der Höhe blühende, vollklingende Töne, die Mittellage klingt zuweilen rau und nicht immer angenehm, die Tiefe schon im Mezzoforte schwach. Arthur Shen war in der von mir besuchten Aufführung angesagt und deutlich hörbar indisponiert, sang den Cavaradossi aber dennoch, um die Aufführung zu retten. Da er die Rolle sehr überzeugend gespielt hat, hätte man sich einen Kollegen gewünscht, der die Partie von der Seite einsingt. Oleksandr Pushniak gestaltet den Scarpia wie oben beschrieben auch gesanglich und scheint zusätzlich zu versuchen, seine Stimme größer klingen zu lassen als sie ist, was der Figur noch eine weitere Dimension verleiht. Als Angelotti kann Rossen Krastev ebenso überzeugen wie Patrick Ruyters als Mesner. Schade, dass die liebliche Stimme von Ekaterina Kudryatseva als Hirt nur über Lautsprecher durch den Zuschauerraum hallte. Mit Michael Ha als Spoletta, Selçuk Hakan Tiraşoğlu als Sciarrone und Tadeusz Nowakowski als Schließer sind die kleineren Partien klangvoll besetzt.
Als Nachdirigent steht Christopher Hein am Pult des sauber und konzentriert spielenden Staatsorchesters und bildet einen  gewissen Gegenpol zum Bühnengeschehen, auch wenn die musikalische Raffinesse und die emotionale Spannkraft der Musik – etwa in der Scarpia/Tosca-Szene des zweiten Aktes – deutlicher spürbar sein könnten. Aber es ist schwer genug, gegen dieses Regiedesaster anzudirigieren. Der Chor klingt im „Te Deum“ prachtvoll, nachdem er sich – regiebedingt – widerstrebend und ebenso trotzig klingend auf die Bühne begeben hat. Der Kinderchor darf in  überschwänglicher Fröhlichkeit wohleinstudiert und kultiviert singen und springen.

FAZIT

Der Regisseur hat ebenso Großes wie Fragwürdiges vor und scheitert schmerzend mit der Umsetzung seiner im Programmheft abgedruckten Ideen auf der Bühne. Auch musikalisch hat die Produktion kein Wiederholungsbesuchspotential.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Georg Menskes /
*Christopher Hein

Inszenierung
Roland Schwab

Bühne
Piero Vinciguerra

Kostüme 
Sabine Blickenstorfer

Chor & Extrachor
Johanna Motter

Kinderchor
Tadeusz Nowakowski

Dramaturgie
Sarah Grahneis

 
 

Niedersächsisches
Staatsorchester Braunschweig

Chor, Extrachor
und Kinderchor
des Staatstheaters Braunschweig

Statisterie des
Staatstheaters Braunschweig

Solisten

*rezensierte Aufführung

Floria Tosca
Yannick-Muriel Noah

Mario Cavaradossi
Arthur Shen

Scarpia
Oleksandr Pushniak

Cesare Angelotti
Rossen Krastev

Der Mesner
Patrick Ruyters

Spoletta
*Michael Ha /
Matthias Stier

Sciarrone
Selçuk Hakan Tiraşoğlu

Schließer
Tadeusz Nowakowski

Hirt
Mirella Hagen /
*Ekaterina Kudryavtseva



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Braunschweig
(Homepage)




Da capo al Fine

Zur OMM-HomepageMusiktheater-StartseiteE-MailImpressum
© 2016 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -