Der Tod steht Hamlets Vater gut

Andrè Schuen (Hamlet), Jochen Kowalski (Der tote Hamlet)
Andrè Schuen (Hamlet), Jochen Kowalski (Der tote Hamlet)(c) Monika Rittershaus/Theater an der Wien
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Uraufführung eines „Hamlet“ von Thomas Jonigk und Anno Schreier: Viel Opernprominenz im Einsatz für ein eher geschickt gemachtes als inspiriertes Werk.

Alles tot“, stellt die Prostituierte Ophelia einmal hellsichtig fest. Sie muss es wissen, immerhin hat sie in den Betten von drei Herren der Königsfamilie gearbeitet. Dabei türmen sich die Leichen keineswegs so hoch wie bei Shakespeare in dieser neuen Opernversion des „Hamlet“ – ganz im Gegenteil, will es scheinen: Ja, der Prinz mag zwar am Schluss in seinem Blute liegen, von Claudius erstochen, der zuvor schon Ophelia aus dem Weg geräumt hat.

Doch in Thomas Jonigks Libretto dürfen viele überleben. Da formiert sich zuletzt Claudius, dem Bo Skovhus die Konturen eines Getriebenen verleiht, mit seiner schwangeren Gemahlin, Gertrud, und seinem immer noch herumgeisternden Bruder zum staatstragenden Familienbild, lässt nochmals die im Stück mehrfach gehaltene Allzweckansprache vom Stapel und stellt dem Volk als Ersatz für den verstorbenen Kronprinzen den noch ungeborenen Nachwuchs vor, den man der Einfachheit halber auch Hamlet taufen werde. Sowohl Anno Schreiers Musik als auch Christof Loys Inszenierung ironisieren den royalen, aber doch recht kleinbürgerlich anmutenden Triumph. Der Kreislauf politischer Pragmatik geht weiter, die Figuren betreiben Machterhaltung um jeden Preis – faszinieren dabei aber nicht etwa durch leidenschaftliche Durchtriebenheit, sondern verkörpern eher blutleere Banalität: alles tot.

Kein Wunder, dass da just der gemeuchelte Hamlet senior die Bühne beherrscht. Ein bisschen ist es um Jochen Kowalski in der Rolle des Geistes wie um Gustav Renner bestellt, die „beste Kraft am Toggenburger Stadttheater“, aus Erich Kästners Gedicht „Hamlets Vater“: Auch er ist aufgetreten, „wo er absolut nicht hingehörte“. Aber alkoholisiert ist er nicht: Der Tod steht ihm gut, lässt ihn die Dinge klarer noch als zu Lebzeiten sehen, zu denen bereits die Devise gelautet habe: „Möglichst tot sein“. Kowalski schafft in dieser (fast) reinen Sprechrolle das Kunststück, sowohl eine äußerliche Durchschnittlichkeit zu transportieren, als auch den süffisanten, allwissenden Conférencier zu mimen, der das Publikum kumpelhaft ins Vertrauen zieht, zu seinem Komplizen macht.

Pathos und grüblerischer Tiefsinn traditioneller Lesarten haben im geschäftsmäßig-bourgeoisen Ambiente (Ausstattung: Johannes Leiacker) nur noch ausnahmsweise ihren Platz, etwa wenn der Schoenberg-Chor in historischen Kostümen oder modern bürgerlicher Kleidung in Einschüben über die Geschehnisse reflektiert, das „Sein oder Nichtsein“ (in Schlegels Übersetzung) aus Büchern rezitiert. Das kommt Schreiers kompositorischen Fähigkeiten entgegen. Vor seiner unverblümt eklektischen Musik brauchen auch Abonnenten mit wenig Erfahrung in avancierteren Klangwelten keine Angst zu haben. Was er kann? Die Stimmen biegsam und wortdeutlich führen, eine komische Figur wie Kurt Streits markanten Pastor in Slapstick-Klänge kleiden, einer Bühnentigerin wie Marlis Petersen als gefährlicher Gertrud belcanteske Exaltationen auf den Leib schreiben, formale Beziehungen schaffen.

„Alles ist Oberfläche“

Kaum gelingt ihm jedoch, manche Flachheiten des Textes zu überhöhen oder zu untergraben, die Musik mehr erzählen zu lassen als das, was man ohnehin sieht: „Alles ist Oberfläche“, heißt es sogar im Libretto. Daran leidet vor allem die Figur Hamlet, den Andrè Schuen mit noblem Bariton als braven Protestjugendlichen gibt, der sich doch nicht aus dem inzestuösen Griff der Mama befreien kann, und seine Beziehung zur desillusionierten Ophelia Theresa Kronthaler: Sie rücken über Gebühr an den Rand. Da kann auch die Regie keine Wunder wirken. Hindemith, Schostakowitsch, Britten, Glass u. a. sind die Vorbilder, deren Methoden Schreier sich zweckdienlich, aber letztlich konventionell und mehr geschickt als inspiriert bedient. Unter Michael Boder fächert das ORF-Radio-Symphonieorchester Wien dieses Kaleidoskop freilich gewissenhaft auf.

Bringt man „Hamlet“ auf die Bühne, werde es immer einer sein, „der ärmer ist als der Shakespearesche, aber es kann auch einer sein, der reicher ist, reicher um unsere Zeit“, schrieb der Shakespeare-Experte Jan Kott. Für eine Neufassung des Stoffs müsste das erst recht gelten. Doch so ganz wollte es mit dem Reichtum diesmal nicht klappen. Das Publikum schien dennoch hochzufrieden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2016)

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