Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jörg Landsberg

Aktuelle Aufführungen

Einfach schön

MANON LESCAUT
(Giacomo Puccini)

Besuch am
10. September 2016
(Premiere)

 

 

Staatsoper Hannover

Mit Manon Lescaut gelang Giacomo Puccini 1893 sein internationaler Durchbruch, obwohl bereits Jules Massenet gut zehn Jahre zuvor den Roman des Abbé Prévost erfolgreich als Opernstoff nutzte.

Olivier Tambosi erzählt die Geschichte mehrerer Beziehungen, die beherrscht sind von Macht, Geld und Liebe. Die schildert er unaufgeregt, beinahe schön. Es gibt keine Nacktszenen oder sonstige moderne Interpretationen – oder erkennt der Zuschauer im letzten Bild, in dem Manon und Des Grieux in einer Asphaltwüste ums Überleben kämpfen, etwa doch den Großstadtdschungel, in welchem man sich nur allzu leicht verliert – nichts, an dem sich das Publikum reiben könnte. Die Oper bleibt im Frankreich des 18. Jahrhunderts, der Zeit des Rokokos, verhaftet.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Das ist der Oper aber nicht abträglich, im Gegenteil. Genussvoll, fast schwelgerisch geht das gesamte Team mit dem Werk um.

Foto © Jörg Landsberg

Frank Philipp Schlößmann zaubert gleich zu Beginn einen bunten Marktplatz, auf dem sich Studenten und Bürger bei Spiel, Trank und Gesang vergnügen. Das bunte Szenario mit fahrbaren Blumen- und Bücherlädchen vor der Kulisse einer hell erleuchteten Häuserwand steht gegenteilig zum Schlafzimmer Gerontes: Das ist mit schwarz-silber glitzernden Vorhängen ausgestattet, vor denen mittig, auf einer Empore aufgerichtet, ein Bett thront – der Mittelpunkt der von Manons Seite sicherlich kalten Beziehung zum lüsternen Geldgeber Geronte. Geld und Liebe sind im Werk eng miteinander verknüpft, so dass bei Vorhangfall auch die Illusion einer auf Reichtum basierenden Beziehung in sich zusammenfällt. Der Weg Manons hinter Schloss und Riegel und der Tausch eines herrlich ausladenden, gelb blitzenden Kleides gegen eine Gefängnisuniform ist die logische Konsequenz von Manons Geldgier.

Gesine Völlm hat sich eines wahrlich üppigen Kostümfundus bedient – denn nicht nur Manon ist prächtig gekleidet. Auch die gepuderten Bürger und Freunde Gerontes mit ihren hochtoupierten Frisuren in Kniehosen und Dreispitz oder glitzernden Fracks muten pompös, aber stilvoll und herrlich in der Zeit verhaftet, an.

Manons Absicht, durch eine ganz eigene, bisweilen sehr egozentrische Art aus der Masse zu stechen, wird kostümtechnisch ebenfalls betont. Stimmlich präsentiert Darstellerin Karine Babajanyan die Manon ebenso als selbstsichere, kokette, aber genauso als schüchterne, verliebte junge Frau mit vielfarbigem, leuchtendem Sopran. Es mag nun also der Tatsache geschuldet sein, dass sieben Librettisten an der Arbeit waren, die es dem Zuschauer schwermacht, mit dem Charakter der Manon warm zu werden. Sie durchlebt in kurzer Zeit viele Szenarien: (Selbst-)Verliebtheit, Geldgier, Neugier, Freude, Schmach. Leider kann Babajanyan diese wechselnden Charakteristika darstellerisch nicht überzeugend präsentieren. Ihr Charakter bleibt so schauspielerisch – im Gegensatz zum Stimmlichen – unter den Entfaltungsmöglichkeiten. Ähnliches gilt für Ricardo Tamura als Des Grieux, dessen Tenor zwar kraftvoll und strahlend ist und sich in schüchternen Momenten zurückhaltend, in hingebungsvollen dagegen voll präsent und überzeugend gibt. Nichtsdestotrotz bleibt auch er in Gestik und Mimik hinter seinen Möglichkeiten zurück, der Figur ein markantes Profil zu verleihen. Umso beeindruckender ist sein emotionaler Ausbruch beim Anblick seiner Manon, die nicht von den Geldschätzen lassen kann. Ein schönes Zusammenspiel ist bei den Hauptfiguren in ihren Duetten zu erleben, auch wenn sie meistens neben- und nicht miteinander singen und agieren. Auch Michael Dries als alternder, lüsterner Geronte könnte seine maskenhaften Gesichtszüge sicherlich noch stärker einsetzen. Mit vollem Bass glänzt der junge Darsteller als reicher Alter, der sich seine junge Geliebte vor seinen Freunden tänzerisch auf voyeuristische Weise vorführen lässt. Spannend angelegt ist die Figur des Lescaut: Brian Davis gibt diesen von Wein, Weib und Spiel angetanen, leicht zwielichtigen Bruder überzeugend, der sich trotzdem gut um seine Schwester kümmert. Mit sattem Bariton lässt er ihn Manons liebestrunkene Abenteuer halb schmerzlich, halb keck mit erleiden.

Beeindruckend untermalt das Orchester unter Leitung von Alexander Drcar die Szenen. Mal tänzerisch-verspielt, dann wieder leidenschaftlich und kraftvoll bringt der für den erkrankten neuen Generalmusikdirektor Ivan Repušić eingesprungene Dirigent die Musik zum Erklingen. Die wenigen wirklich emotionalen Momente bekommen durch Drcar eine atemberaubend schöne, durchdringende Tiefe.

Nicht minder trägt Dan Ratiu mit dem Chor und Extrachor der Staatsoper Hannover zum großartigen Opernauftakt der neuen Saison bei. Keck verspotten die Sänger den verliebten Des Grieux, freudig singend geben sie sich beim Kartenspiel Lescaut, dramatisch intonieren sie die bevorstehende Zwangsreise Manons in die Strafkolonie.

So gibt es auch bereits nach wenigen Minuten den ersten Zwischenapplaus für die Hauptdarsteller, wenig später auch für die großartige Orchesterleitung. Das Publikum zeigt sich von der Premiere sehr angetan. Auch, wenn die Oper nicht für Schlagzeilen sorgen wird, wird sie dennoch als sehr schöner Regieeinfall Olivier Tambosis in Erinnerung bleiben.

Agnes Beckmann