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Bühne und Konzert Bayreuther „Ring“

Nie wieder Castorf!

Regisseur Frank Castorf nach dem Schlussvorhang der Inszenierung der „Götterdämmerung“ Regisseur Frank Castorf nach dem Schlussvorhang der Inszenierung der „Götterdämmerung“
Regisseur Frank Castorf nach dem Schlussvorhang der Inszenierung der „Götterdämmerung“
Quelle: picture alliance / dpa
Marek Janowskis „Rheingold“ bei den Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth war ein Triumph. Gelingen konnte ihm das nur, weil er Castorfs abgestandene Ideen ignoriert hat und wieder Musik macht.

No risk no fun, das weiß man ja. Und trotzdem: Am Ende wollte man um keinen Preis der Welt mit ihm getauscht haben. In diesen Sekunden, bevor sich Marek Janowski langsam vor den Vorhang schob. In denen die Sänger abgefeiert waren und es im Festspielhaus so unglaublich still wurde. Da muss sich Marek Janowski gefragt haben, warum er sich das mit 77 noch angetan hat. Als dann der Applaus losbrach, ließ er ihn staunend auf sich herabregnen und stand bei den anschließenden Verbeugungsreigen kerzengerade da und sog den Moment in sich auf.

Es war ein Triumph. Janowski hat dem „Rheingold“ zurückgegeben, was Kirill Petrenko dem „Ring“ in den vergangenen Jahren genommen hatte: die Sinnlichkeit, den großen Bogen und, ja, auch das Majestätische. Er hat sich nach vorsichtig zurückhaltendem Beginn mit der ersten Verwandlungsmusik frei dirigiert. Hat sich, und das war die Voraussetzung, über den Castorf’schen Wagner-Zerstörungsfuror hinweggesetzt und den Primat der Musik wiederhergestellt. Um den Preis, dass das, was auf der Bühne stattfindet, und das, was aus dem Orchestergraben zu hören ist, im nunmehr vierten Castorf-Jahr diametral aufeinanderprallt.

Ausgerechnet Janowski. Der Mann, der seit dreißig Jahren sogar privat kaum noch ein Opernhaus betritt. Der Mitte der Achtziger einen „Holländer“ in Paris hinwarf und dem Regietheaterbetrieb seitdem konsequent und ausnahmslos den Rücken kehrte. Was vor allem die Wagnerianer betrauerten, die den „Ring“, den Janowski Anfang der Achtziger mit der Dresdner Staatskapelle und einer fantastischen Sängerriege – Kollo, Altmeyer, Adam, Norman, Moll, Salminen, Schreier, Studer – aufgenommen hat, bis heute für einen der drei besten ever halten. Den man, und das muss ausgesprochen kränkend gewesen sein, dennoch nicht nach Bayreuth einlud.

Was scheren Janowski schon Wotan, Woglinge und Wellgunde?

Wie sehr er sich nach Wagner-Dirigaten gesehnt hatte, bewies die Aufführung der zehn zum Bayreuther Kanon gehörenden Opern durch Janowski und sein Rundfunkorchester in der Berliner Philharmonie im Jubiläumsjahr 2013. Das war, trotz einiger Abstriche im Sängerensemble, ein Paukenschlag. Und als dann der Anruf aus Bayreuth kam, wurde der Maestro weich. Trotz Castorf, der alles in Hochpotenz verkörpert, was Janowski hasst.

Als Zuschauer kann man die Augen zumachen, als Dirigent nicht. Er sieht, wie die Rheintöchter die Push-up-BHs von der Wäschespinne pflücken, während er das Es-Dur-Vorspiel gestaltet, und muss ertragen, dass Alberich an der Motelwand Fußball spielt, während Woglinde, Wellgunde und Floßhilde (hinreißend: Alexandra Steiner, Stephanie Houtzeel und Wiebke Lehmkuhl) das Rheingold in strahlendem C-Dur besingen. Das kann den stärksten Dirigenten aus dem Konzept bringen. Gar nicht zu reden von dem Schwachsinn, dass Wotan (Iain Paterson) sich unter den Augen Frickas (Sarah Connolly) mit Freia (Caroline Wenborne) im Bett wälzt oder die Riesen (Günther Groissböck als Fasolt ist der Sänger des Abends) den Motelmanager vermöbeln.

Und jetzt die Walküre, Siegried und die Götterdämmerung!

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Mit „Black Mountain“ will Sponsor Audi auch jüngere Zielgruppen für die Bayreuther Festspiele gewinnen. Gedreht wurde das, durch Richard Wagners „Parsifal“ inspirierte Filmexperiment, im Berliner Kultclub Berghain.

Quelle: Die Welt

Petrenko hat versucht, diesem Mumpitz musikalisch Sinn zu verleihen. Janowski hat das nicht vor. Spätestens mit der ersten Verwandlungsmusik ist er ganz bei sich. Treibend geht’s runter nach Nibelheim, und trotzdem haben sogar das Hammerschlag-Stakkato und das gewaltige Crescendo noch etwas leuchtend-leicht Transparentes. Überhaupt zeigt sich in den sinfonischen Passagen, die für andere Dirigenten so schwierig sind, weil sie sich vor dem Überwältigungspotenzial Wagners fürchten, Janowskis Größe. Und die Inspiration durch den besonderen Ort.

Was sich bei den konzertanten Aufführungen in Berlin noch zurückgenommen anhörte, entfaltet sich in Bayreuth in großer Sinnlichkeit. Janowski lässt das Orchester atmen, dehnt die Spannungsbögen aus – den „Rheingold“-Schluss, die Regenbogenmusik, hat man seit Thielemanns „Ring“ in Bayreuth nicht mehr so betörend gehört, und man freut sich schon auf das „Walküre“-Ende, Siegfrieds Trauermarsch und den „Götterdämmerung“-Schluss.

Es wird Janowskis „Ring“ werden. Janowski wird sich über Castorfs spießig wirkende Bebilderung hinwegsetzen – die Großaufnahmen der permanent mit Handkamera gefilmten Bühnenaktivitäten konfrontieren den Zuschauer mit halb garen Vergewaltigungsversuchen und Plastikgrillwürsten – und die Hierarchie zurechtrücken: Erst kommt die Musik, dann kommt lange nichts und dann kommt Frank Castorf mit seinen abgestandenen Ideen, die bei näherer Betrachtung keine sind.

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