Hamlet und der schwarze Felsblock der Schuld

BREGENZER FESTSPIELE 2016: FOTOPROBE ´HAMLET´
BREGENZER FESTSPIELE 2016: FOTOPROBE ´HAMLET´(c) APA/DIETMAR STIPLOVSEK (DIETMAR STIPLOVSEK)
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Bregenzer Festspiele. Mit Franco Faccios „Amleto“ gelingt Intendantin Elisabeth Sobotka ein spannender, musikalisch wie szenisch gleichermaßen gelungener Blick in die italienische Operngeschichte neben Verdi.

Hamlet friert. Immer wieder fasst sich der grüblerische Dänenprinz an die Oberarme, als wolle er sich wärmen inmitten der kalten Hofgesellschaft. Viel öfter aber lässt er die Arme einfach hängen. Selbst wenn die musikalische Emphase ihn zum genreüblichen tenoralen Händeringen geradezu zu nötigen scheint, baumelt es kraftlos von seinen Schultern, und nur selten gibt Pavel Černoch in solchen Momenten dem natürlichen Drang nach gestischer Untermauerung nach: Zusammen mit seinem Stieren ins Publikum macht das Hamlets psychische Grenzsituation auf einfache und zugleich leicht unheimliche Weise deutlich.

Dabei heißt Hamlet hier genau genommen Amleto und ist die Titelfigur in einer italienischen Shakespeare-Adaption aus der Zeit Verdis – und wirklich wurde dem neugierigen Opernpublikum im Bregenzer Festspielhaus mehrheitlich warm ums Herz angesichts von Amletos Frösteln.

1865, ein paar Wochen nachdem Giuseppe Verdi seine eigene erste Shakespeare-Oper, „Macbeth“, in Paris herausgebracht hatte, erblickte dieser „Amleto“ in Genua das Licht der Bühne, komponiert vom 25-jährigen Franco Faccio auf ein Libretto von Arrigo Boito, damals erst 23. Beide sind heute eher als wichtige Comprimari der Verdi-Historie bekannt, Boito etwa als Librettist der Shakespeare-Adaptionen „Otello“ und „Falstaff“, Faccio u. a. als Dirigent der „Otello“-Uraufführung. Damals waren die freundschaftlich-künstlerischen Bande zu Verdi noch nicht so eng geknüpft, im Gegenteil: Die beiden gehörten der romantischen Künstlerbewegung der Scapigliatura an und wollten die italienische Oper neu erfinden – auch auf Grundlage der Werke Wagners. Der anfängliche, wenn auch kontroversielle Erfolg des „Amleto“ kam aber 1871 in Mailand zum Erliegen, als der Startenor Mario Tiberini katastrophal indisponiert war. Faccio zog das Stück zurück und verlegte sich ganz aufs Dirigieren.

Der Rest ist düsteres Paukengrollen

Erst 2014 wurde „Amleto“ in Albuquerque reanimiert – und nun also in Bregenz, wo nach dem betont populären Doppelpack mit „Turandot“ auf der Seebühne und Offenbachs „Contes d'Hoffmann“ als sogenannte Hausoper im Einstandsjahr der Intendantin Elisabeth Sobotka nun wieder eine lohnenswerte Rarität im Festspielhaus zu erleben ist.

Warum? Vor allem, weil die Partitur des hochbegabten Faccio auf der Höhe ihrer Zeit steht – nicht mehr, obwohl einem dort und da Leoncavallo oder Cilea in den Sinn kommen, aber auch nicht weniger. Es mag eine Spur ermüden, dass der mit seinem Libretto sehr nah an Shakespeare bleibende Boito bei den Königsszenen auch stets Fanfaren einfordert, die der Komponist stets mit repräsentativem Glanz ausführt, und dass die Fortissimo-Aktschlüsse etwas schematisch wirken – sogar am Ende ist der Rest nicht etwa ein vom Pianissimo vorbereitetes Schweigen, sondern sinkt Amleto mit einem „Ed or t'aspetto o morte!“ unter Paukengrollen zu Boden.

Aber: Faccio zeigt ausgefeiltes Geschick in der melodisch-harmonischen Charakterisierung von Personen und Situationen, er kann in Gesangskantilenen Zustände schildern. Ein auf Verdi und auch ein bisschen Wagner geeichtes Opernpublikum findet sich da spontan zurecht und darf charaktervollen Stimmen lauschen. Pavel Černoch erinnert im Timbre ein bisschen an José Carreras (wenn auch ohne dessen sonnigen Glanz), in der Vortragsweise manchmal an Neil Shicoff (wenn auch ohne dessen Reserven) – und erweist sich in gerade dieser Kombination als eindringlicher Amleto. Gianluca Buratto macht ihm als Geist seines Vaters, hier ein schwarzer Ritter in gleißendem Gegenlicht, mit kernigem Bass seine Enthüllungen. Was manchen Zeitgenossen als Wagnerismo aufgestoßen ist, ist heute entweder kaum noch nachvollziehbar oder entpuppt sich als sensible Erweiterung des Formenkanons: Den großen Monolog „Essere o non essere“ als herkömmliche Arie zu komponieren, wäre Faccio nicht eingefallen. Stattdessen schrieb er eine zwischen rezitativischen und ariosen Abschnitten geschmeidig wechselnde Szene. Am anderen Ende des Spektrums stehen große, herauslösbare Nummern wie der bewegende Trauermarsch für Ofelia, den Regisseur Olivier Tambosi als Prozession im Kerzenschein löst: Schade, dass der passend zarten Iulia Maria Dan in der Höhe etwas die lyrische Reinheit des Tons fehlt.

Immer wieder rückt ein riesiger schwarzer Felsenkubus auf Frank Philipp Schlößmanns Bühne, wohl ein Symbol für Schuld und schlechtes Gewissen. Sonst wird mit Theatervorhängen und großen Augen auf den historisch verspielten Kostümen die Atmosphäre eines Spiels im Spiel betont. In diesem Ambiente erzählt Tambosi die Story, von ein paar Brechungen abgesehen, weitgehend konventionell. Amleto schminkt sich das Gesicht weiß, rückt damit in die Nähe eines traurigen Clowns und liefert sich mit der markanten Gertrude der Dshamilja Kaiser eine starke Konfrontation, während der Claudio von Claudio Sgura auch stimmlich etwas blass bleibt. Aus dem guten restlichen Ensemble nebst dem Prager Philharmonischen Chor ragt Paul Schweinester (Laerte) mit klarem Tenor und darstellerischer Wendigkeit heraus. Paolo Carignani und die Wiener Symphoniker erweisen sich im Graben jedenfalls als die leidenschaftlichsten Anwälte des Werks und finden fast durchwegs die rechte Balance zwischen feinsinnigen Details und dramatischer Schlagkraft.

Weitere Aufführungen: 25. und 28. Juli, 19.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2016)

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