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Rossini in Wildbad
Belcanto Opera Festival
08.07.2016 - 24.07.2016


Demetrio e Polibio

Ernste Oper in zwei Akten
Libretto von Vincenzina Viganò Mombelli
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache mit italienischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 20' (eine Pause)

Premiere im Königlichen Kurtheater am 9. Juli 2016

 

 

 

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Familienoper mit fraglicher Elternliebe

Von Thomas Molke / Fotos: © Patrick Pfeiffer


Rossinis Oper Demetrio e Polibio lässt für die Forschung noch einige Fragen unbeantwortet, was einerseits die Entstehungszeit und andererseits die Urheberschaft der Komposition betrifft. So behauptet Rossini selbst, die Musik bereits im zarten Alter von 13 Jahren komponiert zu haben, ohne dabei zu wissen, dass sie von der Familie Mombelli zu einer Oper zusammengesetzt würde. Er habe nämlich Domenico Mombelli, der mit seinen beiden Töchtern Ester und Anna und dem befreundeten Bass Ludovico Olivieri als vierköpfige Theatertruppe zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf den Bühnen Italiens mit eigens auf sie zurechtgeschnittenen Opern große Erfolge feiern konnte, von seinem Kompositionstalent überzeugen können, als dieser ihm die Herausgabe einer Arie aus Portogallos Oper Omar re di Termagene verweigert habe. Daraufhin habe Rossini nämlich die ganze Partitur nach einem weiteren Besuch der Oper unter Mombellis Augen niedergeschrieben. Anschließend habe Mombelli ihm einzelne Texte, die aus einem Libretto von Mombellis zweiter Ehefrau Vincenzina stammten, zur Komposition gegen Bezahlung vorgelegt, so dass schließlich Rossinis erste Oper entstanden sei. Mittlerweile weiß man allerdings, dass Rossinis Angaben diesbezüglich nicht ganz stimmen können. So kann er der Familie Mombelli eigentlich nicht vor 1808 begegnet sein, da sie sich vorher in Lissabon aufhielt und erst ab 1809 in Bologna auftrat. Die erwähnte Oper von Portogallo wurde sogar erst im Sommer 1810 aufgeführt, so dass fraglich erscheint, ob Rossini Demetrio e Polibio wirklich vor seiner ersten Farsa La cambiale di matrimonio komponiert hat, die im November 1810 in Venedig ihre Uraufführung erlebte.

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Polibio (Luca Dall' Amico, rechts) will seine Tochter Lisinga (Sofia Mchedlishvili) mit Siveno (Victoria Yarovaya, links) vermählen.

Auch ist nicht ganz klar, welche Teile der Oper tatsächlich von Rossini stammen und was Mombelli und eventuell weitere Komponisten zu diesem Werk beigesteuert haben. An einigen Stellen entspricht die Musik nämlich noch den Konventionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts und erinnert in der Ausgestaltung an die Reformopern Glucks. Als nahezu sicher gilt, dass die Ouvertüre von Mombelli selbst ergänzt worden ist, was sich stilistisch und an einer erhaltenen Abschrift belegen lässt. Die Tatsache, dass Mombelli selbst die Partie des Eumene verkörpert hat, legt nahe, dass Mombelli auch die Arie des Eumene am Ende der Oper für sich selbst als Bravourarie komponiert hat. Dennoch hat er Rossinis Urheberschaft an diesem Werk nie abgestritten. Schließlich galt Rossini bei der Uraufführung von Demetrio e Polibio am 18. Mai 1812 in Rom bereits als neuer Shootingstar der Opernszene, was das Interesse an diesem Werk wachsen ließ. Obwohl die Mombellis mit dieser Oper große Erfolge feiern konnte, verschwand sie nach einigen Jahren von den Spielplänen, und bis heute ist aufgrund der verzwickten Sachlage noch keine kritische Ausgabe erstellt worden. In Pesaro war das Werk zuletzt 2010 beim Rossini Opera Festival zu erleben (siehe auch unsere Rezension).

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Eumene / Demetrio (César Arrieta) entführt die schlafende Lisinga (Sofia Mchedlishvili) aus ihrem Brautgemach.

Die Handlung spielt im 2. Jahrhundert vor Christus. Demetrio, der König von Syrien, hat die Macht in seinem Land und seine ganze Familie verloren. Sein Sohn konnte aber von seinem Diener Minteo gerettet werden, indem er ihn zu Polibio, dem König der Parther, brachte. Doch bevor Minteo dem Jungen seine wahre Identität mitteilen konnte, starb er. So wuchs der junge Mann unter dem Namen Siveno am Hof des Königs Polibio auf und verliebte sich in dessen Tochter Lisinga. Kurz vor der Eheschließung taucht aber Demetrio, der die Herrschaft über Syrien zurückerlangt hat, getarnt als Botschafter des Königs unter dem Namen Eumene auf und fordert die Auslieferung Sivenos. Polibio lehnt ab, und Demetrio entführt statt seines Sohnes Lisinga aus dem Brautgemach. Siveno macht sich mit Polibio auf den Weg, um Lisinga zu befreien. Als er Demetrio / Eumene in seinem Versteck aufspürt, droht dieser, Lisinga zu töten, während Polibio im Gegenzug Siveno erdolchen will. Da gibt sich Demetrio / Eumene als Sivenos Vater zu erkennen, und die beiden Kinder werden ausgetauscht. Doch Siveno will auch als Eumenes Sohn nicht ohne Lisinga nach Syrien zurückkehren. Diese mobilisiert inzwischen das Heer der Parther gegen Eumene und ist bereit, ihn zu töten, als sich Siveno schützend vor seinen Vater stellt. So lenkt Demetrio / Eumene schließlich ein, gibt sich als König der Syrer zu erkennen und bietet Polibio ein Bündnis an, das mit Lisingas und Sivenos Hochzeit besiegelt werden soll.

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von links: Eumene / Demetrio (César Arrieta), Siveno (Victoria Yarovaya), Lisinga (Sofia Mchedlishvili) und Polibio (Luca Dall' Amico) beim Quartett

Das Regie-Team um Nicola Berloffa wählt für die verworrene Geschichte einige Ansätze, die man durchaus als fragwürdig bezeichnen kann. Natürlich sind die Bühnenmöglichkeiten im Königlichen Kurtheater beschränkt, und vielleicht sind auch die Erwartungen, die man nach der großartigen Farsa L'inganno felice im letzten Jahr an die Aufführungsstätte stellt, zu hoch. Jedenfalls geht das Konzept bei Berloffa nicht auf. Von dem im Programmheft versprochenen Videodesign, für das der Bühnenbildner Paul Secchi verantwortlich zeichnen soll, ist in der Premiere nichts zu sehen. Dabei hätten die hohen Stellwände, die aus dem letzten Jahr übernommen worden sind, durchaus eine geeignete Projektionsfläche geboten. Stattdessen baut Secchi Stühle und ein Pult mit einem Telefon auf, dessen Sinn sich nicht erschließt. Wieso muss Lisinga, kurz bevor sie von Demetrio und seinen Soldaten entführt wird, telefonieren? Warum greifen auch im zweiten Akt, nachdem das Pult umgestürzt ist, immer wieder die Soldaten zum Telefon? Mag man diese Fragen noch als unwichtige Nebensächlichkeit abtun, bieten die Kostüme von Claudia Möbius den nächsten Reibungspunkt. Dass die Figuren alle in Militäruniformen auftreten, ist sicherlich Geschmacksache und eigentlich noch nicht einmal unbedingt gegen das Libretto inszeniert, da sich die Parther ja mit den Syrern im Krieg befinden. Während man aber zu Beginn die Parther noch durch hellbraune Uniformen von den Syrern in blauen Uniformen unterscheiden kann, werden die beiden Gruppen später am Hofe des Königs bunt gemischt und machen so überhaupt keinen Sinn mehr.

Absolut sinnfrei ist auch Berloffas Interpretation des Endes. Statt einer großen Versöhnung der beiden Familien sind es nun die Kinder, die ihren Vätern die Pistole an die Brust setzen. Man kann natürlich über die Glaubwürdigkeit des lieto fine diskutieren, aber Rossinis Musik spricht hier eine eindeutig andere Sprache und erhöht die Elternliebe. Immerhin geht Berloffa aber nicht so weit, dass er Lisinga und Siveno am Schluss noch abdrücken lässt. Das Premierenpublikum scheint sich allerdings nicht an diesen Ungereimtheiten zu stören und spendet auch dem Regie-Team großen Applaus.

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Lisinga (Sofia Mchedlishvili, mit den Herren des Camerata Bach Chor Poznań) ruft zum Kampf gegen Eumene auf.

Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen und bewegt sich auf absolutem Festspiel-Niveau. Sofia Mchedlishvili, die vor zwei Jahren in Bad Wildbad unter anderem für ihre grandiose Interpretation der Contessa di Folleville in Rossinis Il viaggio a Reims mit dem Internationalen Belcanto Preis ausgezeichnet worden ist, lässt auch als Lisinga die Koloraturen in den höchsten Tönen nur so sprudeln und begeistert in ihrer großen Rache-Arie im zweiten Akt, "Superbo, ah! tu vedrai", in der sie beschließt, Siveno zu befreien und Eumene zu töten. Bei solch klar fokussierten Spitzentönen wirkt selbst Mozarts Königin der Nacht friedfertig. Victoria Yarovaya hält in der Hosenrolle des Siveno mit wohl-timbriertem Mezzo und flexiblen Läufen dagegen und begeistert vor allem in der Arie "Perdon ti chiedo" im zweiten Akt mit warmer Mittellage, wenn sie ihrem Vater erklärt, dass sie nicht ohne Lisinga mit ihm nach Syrien zurückkehren werde. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist das große Liebesduett der beiden im ersten Akt, "Questo cor ti giura amore", in dem sich Lisinga und Siveno ewige Liebe schwören, und Mchedlishvilis Sopran mit Yarovayas Mezzo zu einer Einheit verschmilzt, die unter die Haut geht und den einen oder anderen Besucher sicherlich ein paar Tränen der Rührung verdrücken lassen. Hervorzuheben ist auch das Quartett "Donami omai Siveno" im zweiten Akt, in dem Polibio und Eumene die Kinder austauschen, auch wenn Berloffas szenische Umsetzung der Musik ein bisschen den Zauber nimmt.

Luca Dall' Amico stattet den König Polibio mit markantem Bass aus, und César Arrieta überzeugt als Demetrio mit strahlendem Tenor, auch wenn man sich von der Maske gewünscht hätte, dass er ein bisschen älter zurecht gemacht worden wäre, da er so optisch eher wie ein jugendlicher Liebhaber und keineswegs wie Sivenos Vater wirkt. Die Herren des von Ania Michalak einstudierten Camerata Bach Chor Poznań runden gemeinsam mit den frisch aufspielenden Virtuosi Brunenses unter der Leitung von Luciano Acocello den Abend musikalisch wunderbar ab.

FAZIT

Auch wenn die Oper in weiten Teilen noch nicht das ganze Genie Rossini erkennen lässt, hat sie musikalisch durchaus ihre Meriten und wird in dieser Besetzung zu einem Hörerlebnis. Da kann man auch über die stellenweise fragwürdige Regie hinwegsehen.

Weitere Rezensionen zu Rossini in Wildbad 2016



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Luciano Acocella

Regie
Nicola Berloffa

Bühne, Videodesign
Paul Secchi

Kostüme
Claudia Möbius

Chor
Ania Michalak

 

Camerata Bach Chor Poznań

Virtuosi Brunenses


Solisten

Lisinga, Tochter des Polibio
Sofia Mchedlishvili

Siveno, eigentlich Demetrio, Sohn des
Königs Demetrio

Victoria Yarovaya

Eumene, eigentlich Demetrio, König
von Syrien

César Arrieta

Polibio, König der Parther
Luca Dall' Amico

 


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