St. Margarethen: Wenn der Liebestrank aus dem Wurlitzer fließt

Oberhippie Dulcamara mischt seinem Liebestrank wohl berauschendes Grünzeug bei.
Oberhippie Dulcamara mischt seinem Liebestrank wohl berauschendes Grünzeug bei. (c) Arenaria
  • Drucken

Da die Naturbühne im Steinbruch besetzt ist, musste Donizettis Meisterwerk ausweichen und wurde auch gleich zeitlich versetzt. Das funktioniert ganz gut, auch gesungen wird recht ordentlich. Die Tontechnik ist noch optimierbar.

Wenn einer Bühnenproduktion der Hauptdarsteller abhandenkommt, kann das unangenehm sein. Am Mittwoch im burgenländischen St. Margarethen war zwar alles angetreten, wie in der Rezeptur des Liebestranks gefordert: ein einfältiger Nemorino, eine durchtriebene Adina, ein vor Testosteron platzender Belcore und ein selbstzufriedener Dulcamara. Aber die wichtigste Rolle im Römersteinbruch spielt eigentlich immer – der Steinbruch selbst.

Heuer musste man die überwältigende Naturbühne den Passionsspielen überlassen und auf eine Nebenbühne ausweichen. Die liegt zwar schon nebenan auf dem Gelände, „Oper im Steinbruch“ ist dann aber doch etwas irreführend. So weit die schlechte Nachricht, denn Donizettis Liebestrank hätte sich auf der Hauptbühne trefflich in Szene setzen lassen. Man denke nur, Belcores Navy Seals hätten sich über die Felswände abgeseilt!

Die gute Nachricht: Die Regie wird so gezwungen, sich etwas mehr Gedanken zu machen und sich nicht auf die Wirkung der Kulisse und banalisierender Projektionen zu verlassen; sie wird gezwungen, sich stärker auf die Personenführung zu konzentrieren. Und auf dieses Handwerk versteht sich Regisseur Philipp Himmelmann ausgezeichnet. Dass er das Geschehen in die Fünfzigerjahre verlegt, ist ein erfrischender Ansatz, der mit verschmerzbaren Kollateralschäden (in puncto Konsistenz mit dem Libretto) erkauft wird. Die Bühne (Raimund Bauer) stellt einen riesenhaften Wurlitzer dar, die Handlung spielt sich meist auf dem Plattenteller ab, und Himmelmann widersteht der Versuchung, diesen zu oft in Schwung zu setzen. Bei anderen Einfällen greift er daneben, wenn etwa Belcores Brutalos sich nicht einfach im Dorf einquartieren, sondern dieses mit automatischen Waffen überfallen. Und dass der arme Dulcamara am Schluss vom Sergeanten erschossen wird, sagt uns genau was? Ach so, ja, Krieg entmenschlicht. Freilich steht Dulcamara für den Schlussapplaus so rasch wieder auf, dass das Vergnügen für die ganze Familie kaum getrübt ist.

Etwas mehr Augenmaß wäre auch bei der Zeichnung der Figuren schön gewesen. Ja, Nemorino ist nicht der Hellste, aber ihn als derartigen Tölpel vorzuführen, raubt der Figur gleich zu Beginn die Würde, ebenso wie Gianetta, die den ganzen Abend lang Nemorino wie verblödet hinterherlechzen muss. Die Rolle aufzuwerten, sie als Pendant Nemorinos zu präsentieren, für das es kein Happy End gibt, ist ein anregender Gedanke, den die Überzeichnung eher konterkariert.

Vokale Daueroffensive

Vokal holt Esther Dierkes aus der kleinen Partie alles heraus. Auch sonst verlief die Premiere vokal (die Besetzungen wechseln ja) weitgehend erfreulich: Wie manch namhafter Tenorkollege kämpft Tamás Tarjányi mit der Auftrittsarie, vermag sich aber rasch zu steigern. Es scheint fast, dass seine Stimme umso verlässlicher wird, je stärker das Selbstvertrauen Nemorinos wächst. Szenisch wie vokal dominiert die Adina von Elena Sancho Pereg, der allerdings bei aller gebotenen Scharfzüngigkeit die zarten Töne fehlen. Andrei Bondarenko wiederum singt den Belcore etwas eindimensional in einer vokalen Daueroffensive, vom „galanten Sergeanten“ ist stimmlich nichts zu hören. Am wenigsten überzeugt Uwe Schenker-Primus als Hippi-Guru Dulcamara bei seiner heiklen Gratwanderung zwischen Singen und Sprechgesang.

Heikel ist auch immer die Tontechnik, und da ist in den Szenen, in denen einzelne Sänger abseits der Bühne agieren, bei der Premiere noch manches im Argen. So hart müssen die Brüche in der Dynamik wirklich nicht sein. Dafür klappte die Koordination zwischen dem hinter der Bühne agierenden Symphonieorchester des Slowakischen Rundfunks und den Sängern auch ohne direkten Sichtkontakt erstaunlich gut. Dirigent Karsten Januschke hatte diese Herausforderung über weite Strecken im Griff und legte mit zügigen, aber nicht überhasteten Tempi den Sängern eine verlässliche Grundlage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.