Politdrama zu plätschernder Kaufhausmusik

(c) THEATER AN DER WIEN/HERWIG PRAMM (THEATER AN DER WIEN/HERWIG PRAMM)
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Wien feiert das Comeback von José Carreras: Angelika Messner und Christian Kolonovits haben ihm "El Juez" auf den Leib geschneidert, eine Oper über die Kindesentführungen zur Zeit der spanischen Franco-Diktatur.

Das könnte sogar ein packender Theaterabend sein. Die Umerziehung von Sprösslingen politisch missliebiger Zeitgenossen in katholischen Klöstern zählt zu den Ungeheuerlichkeiten der jüngeren europäischen Geschichte. Angelika Messner erzählt vor diesem Hintergrund eine dramaturgisch klug gebaute Story: Ein Liedermacher reizt die lethargische Bevölkerung zu Widerspruch auf. Ein Richter („El Juez“ alias José Carreras) wird gezwungen, die Öffnung der Klosterarchive zu verbieten, die Licht ins Dunkel der Schicksale der Entführungen bringen könnten. Der Richter ist jedoch selbst ein Betroffener – und erkennt am Ende im Protestsänger, der den Ränkespielen des Vizepräsidenten der „Sauberen Hände“ (Carlo Colombara) zum Opfer fällt, seinen Bruder.

Da gibt es brisante Begegnungen: Etwa wenn die Geschwister, die noch nichts vom gemeinsamen Schicksal wissen, als Todfeinde aufeinandertreffen; wenn der Richter mit seiner einstigen klösterlichen Ziehmutter, der unerbittlichen Äbtissin (Ana Ibarra), abrechnet. Sogar Medienkritik schwingt mit, wenn gleich zu Beginn ein Fernsehteam den Auftritt des Liedermachers (José Luis Sola) dokumentiert, der Kameramann (Manel Esteve) ungerührt die wirkungsvollsten Szenen einzufangen sucht, während die Journalistin Paula (Sabina Puértolas) sich sogleich in den Liedermacher verliebt – und ab sofort als Aktivistin zwischen den unversöhnlichen Lagern zu vermitteln sucht.

Keine einprägsame Melodik

Nun braucht es zur tauglichen Umsetzung einer solchen Geschichte entweder eine beherzte Schauspielertruppe oder – wenn es denn eine Oper werden soll – eine die Wirkung der jeweiligen Szene einfühlsam unterstützende, zuweilen auch aggressiv aufputschende Musik.

Die hat Christian Kolonovits nicht geschrieben. Sein Soundtrack plätschert harmlos wie Kaufhausmusik dahin, hie und da durch spanisches Kolorit gefärbt, beim Auftritt der Franco-Soldateska sogar karikierend, frei nach Schostakowitsch, noch öfter aber wie ein Nachhall erfolgserprobter Puccini-Emotionalismen – aber durchwegs frei von einprägsamer Melodik. So fehlt der Klangkulisse ihr Rückgrat. Für packende Theatralik müsste also die Regie sorgen.

Tut sie aber nicht. Die für diese österreichische Erstaufführung eines durchaus österreichischen Produkts (der Text wurde erst nach der Komposition ins Spanische übersetzt) aus Bilbao eingekaufte Uraufführungs-Inszenierung Emilio Sagis befleißigt sich derselben Oberflächenpolitur wie die Partitur. Schon die Darstellerin der Paula bedürfte kräftiger regielicher Hilfe, um nicht Freund und Feind gleichermaßen unverbindlich anzulächeln und mit ewig gleichen Gesten zu agieren.

Zumal das Bühnenbild von Daniel Bianco die Geschichte aus dem franquistischen Spanien in einen neutralen Menschenkerker rückt, dessen schwere Gitter nur durch – allerdings raffinierte – Lichteffekte (Eduardo Bravo) in unterschiedliche Spielorte verwandelt werden. Was da kraft szenischer Gestaltungskunst ins Allgemeingültige gehoben werden könnte, wird mangels Personenführung zum Allgemeinplatz. Einzige Ausnahme: Die „alte Frau“ von Milagros Martin, die als Mutter eines der Entführungsopfer eine Szene bewegend zu gestalten weiß.

José Carreras, um dessen Richtergestalt sich alles dreht, schreitet hingegen würdevoll distanziert über die Szene. Ein energetischer Spielmacher war er ja nie. Dass sich das auf seine alten Tage ändern würde, hat niemand erwartet, am allerwenigsten die Fangemeinde, die den Besitzer einer schön timbrierten Tenorstimme stets adoriert hat und natürlich auch die vermutlich letzte Begegnung in einer Live-Aufführung herzlich begrüßt. Da schwingt Dankbarkeit für frühere Erlebnisse mit, und selbstverständlich das Wissen um die schwere Krankheit, die der Künstler überwunden hat.

Dem Tenor in die Stimme komponiert

Dieser Spätlese die Vorlage geliefert zu haben, dankt das Auditorium auch dem Komponisten, der als Arrangeur die Stimme von Carreras zu bedienen weiß und mit Orchesterklängen jongliert wie kaum ein anderer. Dem RSO unter David Giménez bietet er viel Schillerndes, Wohlig-Weiches. Man hat, das muss wahrheitsgemäß angefügt werden, in der jüngeren Vergangenheit an der Wien weitaus schwächere Musicalprodukte monate- und jahrelang en suite gespielt . . .

Also versucht man sich am dieserart grundierten Carreras-Comeback vorbehaltlos zu freuen; merkt aber vielleicht an, dass es erholsam für die Ohren gewesen wäre, wenn zumindest die eine oder andere Stimme der übrigen Darsteller weniger angestrengt, scheppernd, sonstwie ausgewerkelt oder, je nachdem, zu wenig elaboriert geklungen hätte. Den Altstar in ein edles junges Vokalumfeld zu betten, hätte dem Wiener Haus alle Ehre gemacht. Dem standen wohl die Kooperationsverträge entgegen.

Wie auch immer: Carreras ist wieder da. Am 5. Juli singt er noch einmal. Wiens Opernfreunde schwelgen in Erinnerungen. Das tun sie ohnehin am liebsten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2016)

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