José Carreras als Federico Ribas im Theater an der Wien.

Foto: Foto: Theater an der Wien/Herwig Pramm

Wien – Es war einmal in einer fernen Zeit, als Tenöre Fußballstadien füllten und Schallplattenfirmen über hundert Millionen Dollar mit einer Live-Konzertaufnahme verdienten (die Decca, mit dem ersten Konzert der drei Tenöre 1990 in den Caracalla-Thermen). José Carreras war Teil des Tenor-Triumvirats, seine größten künstlerischen Erfolge, aber auch sein größter Schicksalsschlag lagen damals schon hinter ihm: Ende der 1980er-Jahre hatte der spanische Tenor eine Leukämieerkrankung überstanden.

2009 gab Carreras seinen Rückzug von der Opernbühne bekannt, vor zwei Jahren bewog ihn ein spezielles Projekt zur Rückkehr: die Oper El Juez von Christian Kolonovits. Auf Initiative von Carreras' Manager Peter Kupfer hatte der Komponist und Arrangeur nach einem Stoff für eine neue Oper gesucht. Kolonovits' Librettistin Angelika Messner hat diesen, einer BBC-Dokumentation sei Dank, bald gefunden: den der "verlorenen Kinder". Während der Franco-Diktatur waren zehntausende Babys regimekritischer Eltern entführt und andernorts linientreu erzogen worden.

Richter Ribas und die Causa der verlorenen Kinder

In El Juez gibt Carreras die Titelpartie des Richters: Federico Ribas wird vom Geheimdienstchef Morales aufgefordert, die Causa der verlorenen Kinder zu übernehmen, jedoch die Öffnung der kirchlichen Archive zu untersagen. Der systemkritische Ribas, der von einer katholischen Nonne großgezogen wurde, fühlt sich im Zwiespalt. Die Fernsehjournalistin Paula unterstützt derweil den Liedermacher Alberto García bei der Suche nach seinem geraubten Bruder, der öffentliche Protest wächst an. Wie wird sich der Richter entscheiden?

Messner hat den fiktiven Fall in sieben abwechslungsreiche Szenen portioniert, samt tragischem Tod zum großen Finale. Kolonovits' Musik ist spanisch grundiert und von der italienischen Oper inspiriert: als wenn Puccinis iberischer Enkel ein Musical geschrieben hätte. Der Wanderer zwischen den Musikwelten beweist sich hierbei als Virtuose des Instrumentierens, wobei Kolonovits seine Fähigkeiten auf überbordende Weise demonstriert: wie ein Pfau, der drei Stunden lang ein Rad schlägt. Das RSO Wien interpretiert das Werk unter der Leitung von Carreras' Neffen David Giménez brav.

Abgang während des letzten hohen Tons

Die Produktion, die bereits in Bilbao, Erl und St. Petersburg gezeigt wurde, ist leicht verständlich. So bekömmlich wie die Musik ist auch die Inszenierung von Emilio Sagi, der ein Faible dafür hat, die Sänger während ihres letzten hohen Tons abgehen zu lassen. Das gemäßigt abstrakte Bühnenbild von Daniel Bianco setzt auf mobile Schwärze, die Kostüme von Pepa Ojanguren finden im sexy Outfit der Journalistin Paula ein einsames Highlight.

Diese singt Sabina Puértolas zwar etwas eng, gibt sie aber mit Verve und wehendem Haar. José Luis Sola erweist sich als Liedermacher García mit seinen gebügelten Jeans und dem Charisma eines Aktenordners hingegen als spielsteif, er beeindruckt dafür mit einem schmiegsamen Tenor. Ein Bösewicht von der Stange: Carlo Colombara als Morales, eine mächtige, blechern singende Autorität: Ana Ibarra als Äbtissin.

Mit seiner etwas hölzernen Bühnenpräsenz wirkt José Carreras ein wenig wie ein Geist seiner selbst; immerhin: Wenn er in der Mittellage attackiert, ist da etwas von den vokalen Kräften, von der alten Magie spürbar, sonst eher nicht. Das von Prominenz durchsetzte Publikum im Theater an der Wien reagierte auf die musikalische Vergangenheitsbewältigung durchwegs positiv. (Stefan Ender, 4.7.2016)