Eigentlich hätte Dmitri Tcherniakov den "Fidelio" der Wiener Festwochen inszenieren sollen. Da der Russe seine Entwürfe jedoch nicht rechtzeitig ablieferte, wurde er im April durch Achim Freyer ersetzt, der in Rekordzeit seine Interpretation des Beethoven-Werks erstellte. Für die Konzeption von Bewegungen auf der Bühne blieb da scheinbar keine Zeit, wie sich Dienstag im Theater an der Wien zeigte.

Zur letzten großen Premiere der heurigen Festwochen war alles, was Rang oder Namen hat und nicht fanatischer Fußballfan ist, trotz erstem Österreich-Spiel bei der EURO versammelt. Zu sehen bekamen die Premierengäste allerdings wenig, wenn man das Thema Dynamik betrachtet. Letztlich wird der "Fidelio" hier auf ein Puppenheim reduziert, zumindest was die Lebendigkeit der Figuren betrifft.

Der 82-jährige Freyer nimmt die Gefühlsebene aus dem Werk vollends heraus, indem er die Figuren hinter Masken versteckt und auf einem, durch eine Gazewand vom Zuschauerraum abgeschirmten, Gerüst stotternd monologisieren lässt. Handlungen werden nicht ausgeführt, sondern nur deklamiert. Interaktion findet nicht statt, eine Hinwendung im Gespräch ebenso wenig. Die Charaktere sind Figuren eines Spiels, dessen Regeln sie nicht bestimmen. Alle drehen sich im Kreis - sonst findet keine Bewegung statt.

Damit adressiert der Berliner Freyer die dramaturgischen Schwächen des "Fidelio" offensiv. Beethovens Freiheitsoper wird dank gekürzter Dialogpassagen und reduzierter Handlung zur Nummernoper rückgestutzt, zurückgeworfen auf die Musik. Die Frage ist, ob dieses semiszenische Konzept einen ganzen Abend trägt. Zugleich muss man dem Festwochen-"Fidelio" zugestehen, ein Gegenkonzept zu den meist monochromen Inszenierungen der vergangenen Jahre in Salzburg oder Wien zu bieten.

Freyers Konzept ist grellbunt, voller expressionistischer Abstraktion und mit der Derbheit der ausgepolsterten Figuren samt heraushängender Hängebrüste wie eine rustikale Version von Robert Wilson. Drängen die Gefangenen ins Freie und somit zur Freiheit, wird auf die Gaze der Zuschauerraum projiziert. Wirklich in die Gänge kommt Freyer aber nur für die Schlussszene, für die er kämpfende Schweine und Engel mit Projektionen von Hieronymus-Bosch-Gemälden und Versatzstücken zum Thema Freiheit wie Mickey Mouse mischt.

Den Schwung über die gesamte Laufzeit des Abend hält hingegen Marc Minkowski aufrecht, der seine Musiciens du Louvre knackig durch die Partie führt. Auf den Originalklanginstrumenten klingt Beethoven selbstredend nicht so strahlend wie gewohnt, dafür zupackend und geerdet. Aus diesem Aspekt gehen hier Klang und Bühnenkonzept gut zusammen, wird die Regie doch nicht durch ätherisch-romantische Deutungen aus dem Graben konterkariert.

Stimmlich auf geschlossen einheitlichem Niveau zeigte sich auch das Sängerensemble: Überzeugen konnte hier keiner. Christine Libor ist für eine Leonore stimmlich zu wenig zart, Jewgeni Nikitin mühte sich als Don Pizarro mit den Höhen und Tiefen seiner Partie und Michael König ist als angeketteter Florestan solide, aber nicht berückend. Am Ende stand warmer Applaus für ein Regieexperiment. Die große Emotionalität kam im Zuschauerraum allerdings nicht auf - analog zur Bühne.