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Eine Gänsehaut nach der anderen
Von Bernd Stopka / Fotos von Daniel Koch
Piotr Beczala ist als Lohengrin wirklich ein überirdischer Held, der sich stimmlich von den Menschen auf der Bühne abhebt. Er ist kein erdenschwerer, hochgepeitschter Bariton, sondern ein himmlisch leicht klingender, ausgesprochen schön timbrierter, immer exakt fokussierter Tenor mit dem Hauch von Italianità, der Wagner für diese Partie vorschwebte. Er teilt sich seine Kräfte klug ein, beginnt eher zurückhaltend mit „Nun bei bedankt“ und verausgabt sich nicht gleich im ersten Akt. Nur selten entgleitet ihm ein Ton ins leicht Ungenaue und für einige Spitzentöne wünscht man sich mehr Volumen. Doch das könnte er sich noch erarbeiten, denn das Material ist da und klingt wie glänzendes Metall, wenn er sich am Schluss des dritten Aktes nicht mehr schonen muss und kraftvoll aussingt. Zuvor begeistert er in der Brautgemachszene mit warmem Glanz und Ausdruckskraft – auch mit berührend melancholischen Momenten („Ist dies nur Liebe?“). Die Gralserzählung beginnt er zart und steigert sie dann kontinuierlich. „Der Gral“ erstrahlt – beide Male – geradezu mit Himmelsglanz.
Anna Netrebko bewegt sich mit der Elsa erstmals im lyrisch-dramatischen Stimmfach. Sie ist eine warmstimmige, selbstbewusst klingende, nicht schüchtern-mädchenhafte Elsa und schon gar kein naives Halbkind. Der ihr zur Verfügung stehende Stimmumfang scheint noch reichlich Platz nach oben und unten zu lassen, denn die Stimme klingt nie forciert, nie überfordert. Die Höhe strahlt sanft und klar, das inzwischen etwas dunklere Timbre lässt Mittellage und Tiefe besonders seelenvoll klingen – und diese Elsa hat viel Seele, auch ein bisschen russische Seele. Ihre hohe Legatokultur lässt in dieser Partie zwar (noch) nicht jeden überbundenen Ton lupenrein klingen und auch, wenn sie manchmal die Phrasierung über den Text stellt: Diese Sängerin weiß, was sie singt. Das hört und spürt man – da könnte sie sich ganz auf ihre stimmliche Gestaltungskraft verlassen und bräuchte Gestik und Mimik nicht immer ganz so intensiv bemühen. „Euch Lüften“ klingt geradezu zauberzart, ebenso „...verzeih auch mir“. Und wie sie dann im Duett mit Ortrud immer entrückter über die Bühne schreitet und die Stimme in geradezu celestiale Höhen schweben lässt…, das ist einfach göttlich. Wenn sie Lohengrin dann aber energisch mit abgedunkelten Tönen verteidigt – „So rein und edel ist sein Wesen“ – bekommt die Dame für einen Moment etwas Tigerhaftes. Ebenso wie Beczala läuft sie im Brautgemacht zu Höchstform auf. Zum Steinerweichen beschwört sie schließlich „Allewiger, erbarm dich mein!“ und bricht danach in (lautloses) bitteres Weinen aus, was vielleicht doch ein bisschen viel ist, seine Wirkung aber nicht verfehlt.
Evelyn Herlitzius ist nach wie vor eine großartige Singschauspielerin, die dem Ausdruck immer wieder den Vortritt vor schönen Tönen gibt. Die setzt sie zwar weiterhin sparsam ein, aber wer nach ihrer Isolde im letzten Bayreuth-Sommer befürchtet hat, dass sie sich immer mehr dem Sprechgesang widmet, wurde angenehm überrascht. Stimme und Timbre sind Geschmackssache, die Gestaltungsweise auch, aber wer sich einmal darauf einlässt, gerät in den gleichen Bann dieser Ortrud wie ihr Gatte Telramund. Das entsetzliche „Gott?“ und die dämonische Verführung des „Setz dich zur Seite mir! Die Stund' ist da“ im zweiten Akt lässt einem eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken laufen. Einfach klasse. Tomasz Konieczny singt den Telramund mit gewaltigem, markigem Bariton, der Volumen und Durchschlagskraft für zwei hat. Stimmlich und schauspielerisch ein gewaltiger Bösewicht – oder vielleicht doch ein schwacher Mann, der neben seiner überstarken Frau Stärke beweisen will, die er nicht hat und daher etwas über die Stränge schlägt? Das wäre eine mögliche Interpretation dieser grandiosen Leistung, die von einigen ganz einfach als „zu laut“ empfunden wird. Vielleicht ist es aber auch einfach eine Stimme, die im Forte besser und genauer anspringt als im Mezzoforte und Piano. Befremdlich, stellenweise sogar etwas komisch, wirken seine Vokaleinfügungen („Untreu ist mir frem(e)d.“, „Es fasste mich Ent(e)setzen…“ oder „Als Herrin von(e) Brabant“), aber egal: Die erste Szene des zweiten Aktes ist einfach fantastisch, spannender als mancher Krimi.
Mit gewohnter stimmlicher Größe, satten neben schlanken und balsamischen Tönen seines profunden, aber nicht protzenden Basses ist Georg Zeppenfeld der König Heinrich schlechthin. Jedes in den letzten Jahren schon geschriebene Lob könnte man nur wiederholen bzw. sich ihm anschließen. Derek Welton ergänzt das Solistenensemble als Heerrufer und beeindruckt mit hoher Textverständlichkeit und schönem Timbre. Edle und Edelknaben sind adäquat besetzt und tragen ebenso wie der homogen und engagiert singende Chor – mit gewaltigen Klängen, aber eben auch einem unglaublich zart gesungenen Brautchor – zu einem außergewöhnlichen, tief beeindruckenden Opernabend bei, an dem sich vor allem in den Ensemble-Szenen mit Chor alle die Seele aus dem Leib zu singen scheinen. Chefdirigent Christian Thielemann beginnt das Vorspiel eher buchstabierend als zelebrierend, so dass sich das zauberhaft Entrückte nicht gleich einstellen will. Dazu trägt allerdings auch die Tagesform der Staatskapelle Dresden bei dieser dritten Aufführung der Serie bei, die ganz ungewohnt im ersten Akt immer mal wieder patzt und klappert. Mit Beginn des zweiten Aktes hört das (fast) auf, kehrt dann aber mit geradezu quietschenden Streichern vor der Gralserzählung noch einmal zurück. Aber abgesehen davon war aus dem Orchestergraben viel vom Allerfeinsten zu hören. Lange Generalpausen erzeugen Spannung, ohne den Bogen zu überdehnen („Der trete vor!“). Das Vorspiel zum dritten Akt klingt besonders schwungvoll und akzentuiert und Thielemann formt einen bezaubernd sanften Übergang zum Brautchor. Die schon erwähnten großen Ensembleszenen hält er exakt im Griff, begeistert aber ebenso mit den ungeheuer spannungsvollen Dämonien des Zwiegesprächs Ortrud/Telramund und den sphärischen Klängen der „Lüfte“.
Eine schöne – oder gut erfundene – Anekdote berichtet davon, dass Alfred Roller den Ring an der Wiener Hofoper seinerzeit schon für reichlich angestaubt und erneuerungsbedürftig befand. Hofoperndirektor Franz Schalk antwortete ihm daraufhin: „Wenn unter der Linde ein erstklassiger Siegfried liegt, dann ist der alte Baum immer noch wunderschön!“ Gleiches gilt auch für diese historisierende Inszenierung. Die intensiv aufgearbeitete, aktionsreiche und klug durchdachte, aber eben ganz klassische Personenregie dieser mit einigem Recht als Ausstattungsschinken zu bezeichnenden szenischen Umsetzung zeigt, ja beweist, dass es in erster Linie darauf ankommt, was zwischen den Personen passiert, wenn man Emotionen bewirken und erreichen will, dass etwas von Herz zu Herzen geht, wie es Christa Ludwig gern formuliert hat. Sie hat die Ortrud ganz anders, aber nicht minder intensiv gesungen und gestaltet als sie hier zu erleben ist. Aber der Möglichkeiten gibt es eben viele, gesanglich und gestalterisch, nicht nur szenenbildlich. Tiefe und bewegende Eindrücke mit Gänsehautpotential entstehen durch große und spannende musikalische und sängerische Leistungen, auch wenn ein Bühnenbild sich nicht in einen bedeutungsschwangeren Vordergrund drängt. Das ist dann im besten klassischen Sinne ganz große Oper. Die ästhetische Wirkung von vielfältigen und farbenfrohen Kostümen, von einem tatsächlichen Münster und einem – wenn auch reichlich wackeligen – Riesenschwan ist größer als faschistische Uniformen und sonstige Politisierungen, die den haarsträubenden Kriegsjubel auch nicht besser machen, ob sie nun hinterfragen, aufmerksam machen oder aufrütteln wollen. Ganz spannende Momente erreicht man auch mit Samt und Brokat, mit einem weiß überdeckten gold-roten Himmelbett (zum Nachweis der Jungfräulichkeit) und Szenen wie Ortruds dämonischem Beschwören der heidnischen Götter, zu dem Lohengrin in ein demütig-flehendes Gebet versinkt und der christliche Gott den durch die Heidin verzauberten Gottfried aus seiner Verzauberung als Schwan erlöst. Dass der dann vom Heerrufer und König gewaltsam aus der Umarmung seiner Schwester gerissen und in den Mantel des Herzogs von Brabant gedrückt wird macht nachdenklich. Ob ein Leben als Schwan da nicht angenehmer wäre… FAZIT
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ProduktionsteamMusikalische
Leitung Inszenierung Bühne
und Kostüme Licht Chor Dramaturgie
Sächsischer
Staatsopernchor Dresden
SolistenHeinrich
der
Vogler Lohengrin Elsa
von
Brabant Friedrich
von
Telramund Ortrud
Heerrufer Vier
brabantische Edle Vier
Edelknaben Herzog
Gottfried
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