Operetten werden seit jeher nach aktuellem Geschmack auf verschiedene Arten zubereitet: Ob süß-sauer oder pikant, mit Zuckerguss oder scharf angebraten, das Spiel mit freier Interpretation, eingefügten Nummern aus anderer Werken und politischen Couplets hat Tradition. In der Volksoper ging nun Anatol Preissler daran, das Publikum mit Carl MillöckerBettelstudent in seiner eigenen Textfassung einzukochen und dieses Wiener Operetten-Schmankerl (ein rachsüchtiger sächsischer Oberst intrigiert die arme polnische Grafentochter Laura in die Ehe mit einem Fürsten, der sich als Bettelstudent herausstellt, schließlich aber immerhin Graf wird) mit ein paar exotischen Zutaten aufzupeppen.

In einer Videoprojektion zoomt er mit Google Earth und alten Postkarten ins Kmarakau des Jahres 1704, also in Raum und Zeit laut Libretto, in welchem auch die Befreiung Polens von der sächsischen Herrschaft thematisiert wird. Damit hat Preissler auch schon sein Regie-Konzept abgesteckt: zeitgemäße Unterhaltung mit modernen Mitteln im historischen Rahmen.

Nach diesem Video-Vorspiel und einem hinreißenden Marmorstatuenballett geht es in puncto Optik auch gleich flott weiter, denn Kerkermeister Enterich, ein emigrierter Ottakringer, sieht aus wie Jack Sparrow aus Fluch der Karibik. Seine zwei Helfer Piffke und Puffke sind ebenfalls Wiener, verhalten sich aber wie Neandertaler und sehen aus wie Bruce Willis und Vin Diesel mit schlechter Laune. Wenn einer dem anderen eins mit der Steinzeitkeule überzieht, hört man dazu einen Paukenschlag und anschließend die Vöglein singen. Und viele weitere Anspielungen auf die Populärkultur folgen noch: bei Geldsorgen wird etwa Anatevka („Wenn ich einmal reich wär‘) zitiert, und der leicht verblödete Diener Onuphrie stolpert sich wie Butler James in Dinner for One durch die Szenerie – nur eben über ein Braunbär- statt ein Tigerfell. Und unerschütterlich wie Don Alfonso in seinem grausamen Spiel in Così fan tutte steht Oberst Ollendorf, der sächsische Gouverneur von Krakau.

„Ich hab sie ja nur auf die Schulter geküsst“, singt er, und sieht nicht ein, warum ihm Laura für diesen Kuss mit dem Fächer ins Gesicht geschlagen hat, wie auch seine fünf Offiziere nicht gerade mit rascher Auffassungsgabe gesegnet sind. Alle tragen sie komische Perücken und sind als Kriegsversehrte an Körper und Geist bereits zu Beginn ein sicherer Hinweis darauf, dass ihnen Polen sehr wohl verloren gehen wird und Ollendorfs Rachefeldzug gegen Laura ebenso scheitern muss.

Trotz seiner Buntheit bleibt dieser Bettelstudent im Kern dennoch konservatives, wenn auch geschickt gemachtes Theater mit Eignung für den Repertoirebetrieb. Puristen werden vielleicht über die Zitate aus der schnöden Populärkultur die Nase rümpfen, Progressive zu wenig Mut und null politische Aussage bemängeln, aber jene, die Musik aus der guten alten Zeit gern mit ein paar Lachern verbinden, werden diese Neuinszenierung wie gute Hausmannskost zu schätzen wissen. Ob diese nach mehrmaligem „Aufwärmen“ in Wiederaufnahmen immer noch schmeckt, oder wie Gulasch vielleicht sogar noch besser wird, wird sich weisen. In musikalischer Hinsicht war der Premierenabend jedenfalls ein voller Erfolg und man durfte sich über eine ausgezeichnete Ensembleleistung freuen, die mit Liebe zum Detail sowie Präzision in den Pointen überzeugte und alle Beteiligten – Orchester, Sänger, Chor, Ballett und Komparserie – einschloss.

Unter den vielen guten Leistungen seinen folgende besonders hervorgehoben: Dirigent Wolfram-Maria Märtig arrangierte eine bunt gemixte Ouvertüre, streute etwas Filmmusik ein und kontrastierte die kunterbunte Revue auf der Bühne mit Eleganz; die Tänze gab er wienerisch-verspielt im besten Sinn. Lucian Krasznec als Bettelstudent Symon ging das Unternehmen Hausdebüt zwar nicht offensiv im Sinne von Extra-Spitzentönen an, man hörte jedoch eine solide, jugendlich-unangestrengte Stimme mit dem süßlichen Schmelz eines Operettentenors der alten Schule. Als Laura war Anja-Nina Bahrmann eine mehr als ebenbürtige Partnerin. (Hinweis: In weiteren Vorstellungen werden diese beiden Partien alternierend von Carsten Süss und Rebecca Nelsen gesungen). Alexander Pinderak als Herzog Adam Kasimir, der unter dem Namen Janicki mit Symon gemeinsame Sache macht, gab zusammen mit Mara Mastalir als Lauras Schwester Bronislawa ein sehr gefälliges Paar ab, Martin Winkler einen sehr sonoren, trocken-humorigen Ollendorf.

Viel Jubel, auch für Regisseur Anatol Preissler und sein Team, Marga Render (Choreographie), Thomas Böttcher (Choreinstudierung), Marrit van der Burgt für opulent-originell interpretierte Barockkostüme, Karel Spanhak für ein traditionell-gefälliges, wenn auch reduziertes Bühnenbild.

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