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"Capriccio": Opern-Autismus im Theater an der Wien

Wollte man anhand eines Werks die Frage diskutieren, welche Relevanz Oper noch für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts hat, bietet sich Richard Strauss' letztes Bühnenstück "Capriccio" an.

"Capriccio": Opern-Autismus im Theater an der Wien
"Capriccio": Opern-Autismus im Theater an der Wien

Das angestaubte L'art-pour-L'art-Werk hat das Theater an der Wien nun auf die Bühne gehievt - wo Regisseurin Tatjana Gürbaca am Montag für ihre trockene Arbeit neben Zustimmung vehemente Buhs ausfasste. "Capriccio" war das Abschiedsbühnenwerk des 78-jährigen Komponisten, der mitten im Kriegsjahr 1942 die "brennende" Frage durchdeklinierte, ob für eine Oper Text oder Musik wichtiger ist. Basierend auf einer Grundidee des zur Emigration gezwungenen Stefan Zweig entstand so am Windschatten der Selbstzerstörung Europas und der Ausrottung der Menschlichkeit ein Stück reinsten Opern-Autismus, Theater über Theater, unbeleckt von äußeren Fragen und Entwicklungen oder gar seiner Zeit. Gespickt mit Text- und Musikzitaten aus der Operngeschichte, stellt dieses Strauss'sche Testament Eskapismus in Reinkultur dar und wird somit direkt wie indirekt zum Abgesang auf ein Kunstgenre.

Als Regisseurin kann man sich nun dafür entscheiden, die vorhanden narrativen Elemente des Stoffes um Gräfin Madeleine, die sich nicht zwischen zwei Verehrern - dem Dichter Olivier und dem Komponisten Flamand - entscheiden kann, herauszustreichen, um die theorielastige Abhandlung in ihrem Grundcharakter zu konterkarieren. Oder man macht es wie Tatjana Gürbaca bei ihrem Hausdebüt an der Wien. Sie verdoppelt den Strauss-Ansatz des leidlich tief schürfenden Philosophierens im luftleeren Raum und schafft eine Treppe als abstrakte Spielfläche, in der sich die verwundeten Figuren als reine Metaphern für kurze Symbolszenen zusammenfinden. Letztlich ist hier ein Tableau aus Kulturresten und ein Schlachtfeld der menschlichen Gesellschaft entfaltet, das von Kriegsrelikten übersät ist. Umso absurder und harmloser wirken da die philosophischen Exkurse der Figuren, die bis zum Ende zu keinem Ergebnis führen.

Die Inszenierung bleibt also bewusst ähnlich trocken wie die Thematik der Oper. Der grüne Lichtblick am dürren Ast ist da das ausnehmend gute Ensemble des Abends, allen voran Maria Bengtsson mit zartem Sopran, die aus ihren Partien auch sanfteste Nuancen herausschälen kann, während Lars Woldt mit seinem erdig-satten Bass aus der überspannten Künstlichkeit des Settings heraussticht. Andre Schuen gibt gewohnt souverän-mächtig den gräflichen Bruder, während Daniel Schmutzhard seinen kraftvoll-fundierten Bariton mit einem Hauch Pfeffer in die Waagschale wirft. Und Daniel Behle bewältigt sein Rollendebüt als Flamand mit gewohnt hellem Timbre.

Auch die Wiener Symphoniker unter Bertrand de Billy schwingen sich nach anfänglichen Trittschwierigkeiten zu einem transluzenten, leichten Strauss auf, der für dieses Werk die Frage, ob Musik oder Text wichtiger sind, eindeutig beantwortet. Denn bei aller selbstreferenziellen Metaebene und aller Ausreizung der Dialektik bleibt dieser Abend doch vor allem eines: leblos. "Eine Oper ist ein absurdes Ding", heißt es an einer Stelle im Libretto. Diese in jedem Fall.

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