Donnerstag, 18. April 2024

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„La Falena“ in Braunschweig
Ein überwältigender Opernrausch

Die Oper "La Falena", der Nachtfalter, ist nur ganz hartnäckigen Raritätensammlern bekannt, ebenso wie der Name des italienischen Komponisten Antonio Smareglia. Am Staatstheater Braunschweig hat man das vergessene Werk jetzt aus dem Archiv geholt und glanzvoll wiederbelebt.

Von Uwe Friedrich | 16.04.2016
    Mächtig rauscht und wogt es aus dem Orchestergraben, hier steht kein Klang und kein musikalisches Motiv nur für sich, alles wird mit zusätzlicher Bedeutung aufgeladen. So virtuos klingt musikalischer Symbolismus italienischer Prägung, beeinflusst von Wagner und Debussy, Verdi und Dvořák. "Die Zeit reicht nicht aus, das Weinen zu beenden. Das Weinen reicht nicht aus, um die Zeit zu beenden." So beklagt König Stellio am Ende der Oper "La Falena" des italienischen Komponisten Antonio Smareglia sein Schicksal, und nicht nur diese Zeilen erinnern an Richard Wagners "Tristan und Isolde". Das große Liebesduett mit der verhängnisvollen Femme fatale Redana schwankt noch abenteuerlicher zwischen den Tonarten als der "Tristan", der unentschlossene Mann zwischen zwei Frauen erinnert an "Tannhäuser", inklusive Reue und Vergebung durch die sterbende Femme fragile.
    Mehr als eine müde Stilkopie
    Und doch ist "La Falena" alles andere als eine müde Stilkopie, sondern ein überwältigender Opernrausch, der am Braunschweiger Staatstheater glanzvoll wiederbelebt wurde. König Stellio verlässt nicht bloß im ersten Akt seine Braut Albina für eine verhängnisvolle Affäre mit Redana, jenem geheimnisvollen Nachtwesen, von dem sich der Titel "La Falena", der Nachtfalter ableitet. Nein, er muss im zweiten Akt auch noch im sexuellen Rausch den Vater Albinas ermorden, was er im dritten Akt, wieder bei Sinnen, selbstverständlich bitter bereut. Schwere Kost für Vertreter eines "realistischen" Musiktheaters, wohliges Glück für alle Liebhaber der Romane Gabriele d’Annunzios, der Bildwelten eines Fernand Khnopffs oder der Präraffaeliten. Endlich kann man die schwer lastenden Klänge, die drückend schwüle Atmosphäre nie aufgelöster Akkorde des Fin de siècle mal wieder in einem Opernhaus erleben.
    Klare Schwarz-Weiß Ästhetik
    Der Regisseur Michael Schultz stellt der düster drängenden Musik eine betont klare Schwarz-Weiß-Ästhetik entgegen. Mit blutigen Händen taumelt König Stellio durch die Handlung, rothaarig verführt ihn die Falena, die rettende Albina erscheint schließlich im blauen Madonnenmantel. Kein Fantasie-Mittelalter mit Ritterburg, Höhle im gefährlichen Wald und Fischerbooten am Meer, stattdessen die helle, kalte Welt der Moderne des frühen 20. Jahrhunderts. So zieht der Regisseur der Geschichte die Märchenverkleidung aus und lässt sie als das erscheinen, was sie im Kern ist: Eine Erzählung vom verunsicherten Mann, von seiner tief sitzenden Angst vor sexuellen Leidenschaften.
    Schade nur, dass Kathrin-Susann Brodes Bühnenbild doch ziemlich billig aussieht und die Personenregie in den Spiegelwänden arg statuarisch ausfällt. Freundlicher formuliert gibt Regisseur Michael Schultz damit den Sängern den Freiraum, sich ganz auf ihre mörderischen Partien zu konzentrieren, und den nutzen sie allesamt. Der Tenor Arthur Shen klingt zu Beginn etwas stumpf und auch die Anstrengung der Riesenpartie ist ihm ein wenig anzuhören, aber er gestaltet die Zerrissenheit des Königs Stellio schließlich überzeugend. Die weiten Linien von Antonio Smareglias durchaus eigenwilliger Tonsprache trifft Sopranistin Ekaterina Kudryavtseva als großmütig vergebende Albina allerdings weitaus eleganter. Die Titelpartie der fatalen Falena gestaltet die Mezzosopranistin Nadja Stefanoff ebenso verführerisch wie furchteinflößend. Gemeinsam mit dem Staatsorchester Braunschweig verströmen sie unter dem Dirigenten Florian Ludwig jenes schwere Fin-de-siècle-Parfum, das nur dann richtig wirken kann, wenn alle Einzeldüfte fein abgestimmt sind.