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Im Labyrinth der SündeVon Joachim Lange / Fotos von Jochen Quast
Es gibt nur wenige Opern des zwanzigstens Jahrhunderts, bei denen die Aufführungsgeschichte den Plot und die Musik an Spannung und Potenzial für die Zeitdiagnose so übertrifft, wie es bei Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk der Fall ist. Packend ist allein schon die Geschichte der Kaufmannsfrau Katerina Ismailowa, die in der Langeweile des russischen Landlebens mit einem sadistischen Schwiegervater und dessen Waschlappen von Sohn ebenso konfrontiert ist wie mit dem Machogehabe der übrigen Bauern und Knechte. Sie will und kann sich nicht einfach arrangieren und wählt einen (selbst-)zerstörerischen Ausweg. Sie lässt sich auf ein Verhältnis mit dem vor Vitalität strotzenden Knecht Sergej ein, mischt dem Schwiegervater Rattengift unter die Pilze, erschlägt ihren Ehemann gemeinsam mit dem Geliebten, den sie kurz danach heiratet. Als das alles aufgeflogen ist und sich Sergej auf dem Weg nach Sibirien der attraktiveren Sonjetka zuwendet und Katerina vor aller Augen demütigt, bringt sie am Ende auch noch diese Konkurrentin und dann sich selbst um.
So viel Düsternis, Tristesse und menschlicher Abgrund lässt sich weder als kriminelles Historienstück aus dem russischen Landleben noch als biographische Anomalie erklären. Noch dazu, wenn die Musik so lebendig, zupackend und mitreißend vital ist, wie sie Schostakowitsch komponiert hat und wie sie nach der Leningrader Premiere im Januar 1934 ihren unglaublichen Siegeszug in der ganzen Sowjetunion antrat. Nach einem Besuch des Roten Zaren in einer Vorstellung dieser Oper gab es dann 1936 das berühmt berüchtigte Prawda-Verdikt "Chaos statt Musik", und mit der Bühnenkarriere des Werkes war es schlagartig vorbei. Erst 1962 kam die zu Katerina Ismailowaüberarbeitete Neufassung in Moskau wieder auf die Bühne. Wenn jetzt in Lübeck am Ende auch ein Foto des Komponisten zu den anderen Opfern des Terrors an die kyrillischen Lettern des russischen Wortes für Sünde gepinnt wird, hat das also zumindest im übertragenen Sinne seine Richtigkeit. Auch wenn Schostakowitsch 1975 eines natürlichen Todes starb. Auszüge aus jenem Prawda-Artikel werden in Lübeck auf den Vorhang projiziert, während der 4. Satz von Schostakowitschs Streichquartett Nr. 8 in c-moll, live gespielt, dem Auftakt der Oper vorgeschaltet ist. Dass der 5. Satz dieses vom Komponisten in Gohrich bei Dresden vollendeten Werkes nach dem Finale der Oper erklingt und damit dem ausbrechenden Jubel jeden irgendwie falschen Anschein verweigert, ist einer von Jochen Biganzolis blitzgescheiten Regieeinfällen.
Ihm gelingt es nämlich, die Oper selbst mit der aufdämmernden Tragik der Entstehungszeit so mit einem Kommentar zum Stück auszubalancieren, dass damit weder die stück- noch die zeitbezogenen Ambitionen beschädigt werden. Also weder die Schapkas und Birkenwäldchen noch die Brechtgardinen stauben. Und der Subtext der Epoche wird mitinszeniert. Beim komödiantisch grotesk überzeichneten Blick in die Polizeistation sattelt Biganzoli sogar eine deftige Publikumsanmache drauf, ohne dass das peinlich wird. Der Beginn der Polizei-Szene wird zu einer Werbe- und Charmeoffensive der deutschen Polizei. Doch dann ist plötzlich Schluss mit lustig und die Polizia fischt wieder vermummt im Trüben… Und man kann sich aussuchen, wie viel Ironie im deutschen und wie viel bitterer Ernst im russischen Teil dieser Szene steckt.
Dem transparenten, dringlichen Ernst in dieser deftigen Musik und Geschichte sind Dirigent Andreas Wolf am Pult des die Urfassung präzise schärfenden Philharmonischen Orchesters der Hansestadt Lübeck und Biganzoli ohnehin auf der Spur. Wie soll man auch aus heutiger Perspektive, mit dem Wissen um den Archipel Gulag, den vierten Akt der Oper anders als eine Art Requiem für die Opfer des stalinistischen Terrors hören und sehen? Biganzoli, Wolf Gutjahr (Bühne), Katharina Weissenborn (Kostüme) und Thomas Lippick (Video) ziehen daraus eine radikale ästhetische Konsequenz: Gerade noch als Hochzeitsgesellschaft feiernd, finden sich übergangslos als Personal auf dem Weg ins Lager wieder. Dahinter werden die makabren Comics aus dem Lageralltag an den geschlossenen, einem Gasometer ähnelnden Zylinder projiziert, die Dancik S. Baldajew in 33 Jahren Lagerdienst angefertigt hat. Dazu wechselt die Szene von der Spiel- in eine Konzertsaal-Situation, setzt also nicht auf die Wirkung eines aufgeschminkten, sondern emotional erfassten Elends. Eine Fallhöhe, die durch das hinzugefügte Streichquartett verstärkt wird.
Nicht nur damit besticht diese Inszenierung, auch mit der Präzision ihrer nach innen gerichteten Analyse der vibrierenden Melange aus brodelnden sexuellen Obsessionen und der latenten Gewaltbereitschaft patriarchalisch geprägten Macho-Verhaltens. Dabei spielt Biganzoli gekonnt sowohl mit der Stilisierung bei der Vergewaltigung der Köchin als auch mit szenischen Illustrationen, etwa wenn sich Katerina nachts durchs Haus bewegt und dabei ein sich handfest liebendes Paar beobachtet oder ihren Mann, wie der sich mit einem Knecht vergnügt….. Halluzinationen einsamer russischer Nächte. Dass das alles so fabelhaft funktioniert und die Spannung hält, das liegt natürlich auch an den Sängerdarstellern. Allen voran: Irina Rindzuner als bis zur Schärfe durchdringende, hochsouveräne Katerina und John Uhlenhopp als stimmgewaltiger, vitaler Sergej. Taras Konoshchenko wirft sich mit Vehemenz in die Rolle des fiesen, noch immer geilen Boris Tiomofejewitsch. Daniel Jenz spielt den dekadenten Tuch seines Sohnes Sinowij ebenso lustvoll aus wie alle anderen die kleinen Rollen und der auch darstellerisch geforderte Chor die seine. Der Jubel des Lübecker Premierenpublikums war ungeteilt und heftig.
Jochen Biganzoli macht aus Dmitri Schostakowischs Lady Macbeth von Mzensk einen Thriller in mehreren Teilen. In Lübeck wird das auf hohem Niveau umgesetzt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Chor
Dramaturgie
Solisten
Boris Timofejewitsch /
Sinowij
Katerina
Sergej
Aksinja
Schäbiger
Verwalter, Polizist, Sergeant, Wächter
Hausknecht, Mühlenarbeiter
1. Vorarbeiter
2. Vorarbeiter
3. Vorarbeiter
Pope
Polizeichef
Lehrer
Kutscher, Betrunkener Gast
Sonjetka
Zwangsarbeiterin
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