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Ballett-Oper in Nürnberg: Püppchenware für die Kerle

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Paradiesische Zustände ohne Machtspielchen mit Göttin Hébé (Michaela Maria Mayer und Tanzensemble).
Paradiesische Zustände ohne Machtspielchen mit Göttin Hébé (Michaela Maria Mayer und Tanzensemble). © Foto: Ludwig Olah/ Staatstheater Nürnberg

Nürnberg - Kurzweiliges zwischen Öko- und Macho-Kritik: Das Staatstheater Nürnberg bringt Rameaus "Les Indes Galantes" heraus - die Premierenkritik.

Irgendwann ist das Zielland egal. So wie es überall H & M-Läden gibt, in denen die drei Amoretten dieses Stücks gern shoppen, so treiben sich auch überall Kerle herum, die gern die Partie oberhalb der Augenlinie ausknipsen, um sich von der unterhalb der Gürtellinie leiten zu lassen. Liebe? Funktioniert hier nur nach Nützlichkeitserwägung und bedeutet Macht, ob über Frau oder Natur. So gesehen ist da Jean-Philippe Rameau, Jahrgang 1683, mit Textdichter Louis Fuzelier ein starkes Stück gelungen über all das, was noch immer „Tagesschau“-wertig ist. „Les Indes Galantes“ (mit „galanten Indern“ sind ferne Ausländer per se gemeint) offeriert also minütlich Steilvorlagen für Aktualisierungen mit der frustigen Erkenntnis: Geändert hat sich nichts.

Das Staatstheater Nürnberg vertraut für diese Ballett-Oper auf Laura Scozzi. Sie hat sich in ihrer Doppelfunktion als Regisseurin und Choreografin vor vier Jahren das Opus in Toulouse vorgenommen, dann ihre Produktion für Bordeaux und jetzt für die Franken adaptiert. Mit dem Stilmix kommt sie naturgemäß bestens zurecht. Und auch mit der so besonderen Doppelbödigkeit, die ein Changieren zwischen Amüsement und Kritik braucht und bei der ein Augenzwinkern mehr sagt als jede Dachlattenparole.

In vier Akten dekliniert Rameau scheiternde Beziehungsmodelle durch: Ein Türke verliebt sich in eine verschleppte Westlerin und schenkt ihr die Freiheit, als ihr echter Galan auftaucht – bei Laura Scozzi kehrt die vom Exotischen entflammte Dame freilich zerknirscht zu Osman zurück. Akt zwei: Eine Inka-Frau verlässt ihren Sonnenpriester, der darob eine Naturkatastrophe auslöst – Scozzi siedelt das im Peru von heute mit seinem todbringenden Rauschgifthandel an. Akt drei: Zwei Frauen kämpfen in Persien um die Liebe eines Herrschers, stets mit der Gefahr verbunden, auf den Rang einer Sklavin abzurutschen – was hier zur bissigen Schilderung islamischer Frauenunterdrückung wird. Und in Akt vier konkurrieren zwei Ausländer um die Gunst einer nordamerikanischen „Wilden“, bei Scozzi eine (Real-)Satire über die Ausbeutung der Natur und falsche familiäre US-Heimeligkeit zwischen Mikrowellen-Cuisine und Klappbett-Sex.

All das kann, gerade weil das Umtopfen ins Heute naheliegt, furchtbar nach hinten losgehen. Laura Scozzi entgeht in den so knapp wie aussagekräftig gehaltenen Bühnenbildern von Natacha Le Guen de Kerneizon vielen Fallstricken. Zwar wird’s gelegentlich plakativ (etwa im finalen Öko-Akt), doch die Entblößung des plumpen Machismo (in Akt drei), wo die Frau nur als Püppchenware unterm Tschador funktioniert, hat es in sich – und könnte von den Betroffenen gewaltig übelgenommen werden. Zweieinhalb Stunden Kurzweil sind da also zu erleben, die gut verklammert werden: Die Amoretten sind aufgekratzte Tänzerinnen inklusive einer Drallen, die erwartungsgemäß Lacher generiert. Ausgesandt an die vier Schauplätze wurden sie von Hébé, Göttin der Jugend. Die herrscht im Prolog über ein üppig bewuchertes Paradies, in der Nackedeis so lustig toben dürfen, bis die Genitalien ins Schlenkern geraten.

Schwerer noch als zu inszenieren, auch das eine Nürnberger Erkenntnis, ist aber anderes: das Stück zu singen. Als singspieltanzendes Kollektiv leistet das Ensemble Hochrespektables. Zwei Solisten wurden als krank entschuldigt, doch auch bei anderen (inklusive Chor) hört man Ungenaues und viele Grenzgänge in hoher Lage, die eben gerade nicht mit Power und breiter Stimmführung absolviert werden können.

Am besten schneidet Martin Platz mit klug kanalisiertem Tenorstrahl ab, auch Csilla Scövari denkt sich mit schönem, weich gefasstem Sopran gut in die so besondere Musik hinein. Am Pult ein Spezialist: Paul Agnew, im Erstberuf Tenor, war in diesem Stück als Sänger rund 40 Mal aktiv. Mit der klein besetzten Staatsphilharmonie erzielt er erfreuliche stilistische Näherungswerte. Viele klangschöne Details gibt es und einen energiereichen, atmenden, flexiblen Klang. Die Nürnberger haben da was vorgelegt: Ende Juli wagt sich die Bayerische Staatsoper an „Les Indes Galantes“.

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