Machtspiele im Staatsfernsehen

Das Theater an der Wien zeigt Händels «Agrippina» als Sinnbild für die Verquickung von Medien, Macht und Geschäftsinteressen. Thomas Hengelbrock unterstreicht die Dringlichkeit der Geschichte.

Daniel Ender
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Wenn es darum geht, die Überfülle des eigenen Reichtums auszustellen, sind ein paar freizügig bekleidete Statisten am kaiserlichen Pool gerade gut genug: Patricia Bardon als Agrippina und Herren der Statisterie im Theater an der Wien. (Bild: Werner Kmetitsch)

Wenn es darum geht, die Überfülle des eigenen Reichtums auszustellen, sind ein paar freizügig bekleidete Statisten am kaiserlichen Pool gerade gut genug: Patricia Bardon als Agrippina und Herren der Statisterie im Theater an der Wien. (Bild: Werner Kmetitsch)

Kein Elend ist so gross, dass es nicht ausgeschlachtet werden kann: Wenn der Sohn der Kaiserin milde Gaben in grossen Scheinen unter das arme Volk bringt, hat er gleich ein Kamerateam dabei, das seine von ihm selbst mit Nachdruck besungene Selbstlosigkeit wirkungsvoll ins Bild rückt. Wen wundert es da noch, dass sich die Fetzen der Bettler nach der gelungenen Filmaufnahme als billige Staffage entpuppen und die Statisten wieder ihrer Wege gehen?

Analogien im Heute

So sieht eine Szene von Georg Friedrich Händels «Agrippina» in Robert Carsens Inszenierung am Theater an der Wien aus. Der römische Kaiserhof wird dafür zu einer modernen Machtzentrale, die wie eine Mischung aus Konzernsitz, Fernsehsender und Regierungsgebäude die Insignien wirtschaftlicher, medialer und politischer Herrschaft zu einem unauflöslichen Konglomerat vermengt. Dass die Frisur des selbstverliebten, erotomanen Kaisers an einen ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten gemahnt, bildet nur einen von vielen möglichen Assoziationsfäden.

Stringent werden den ganzen Abend über solche oder ähnliche Schneisen quer durch die Handlung bis in die Gegenwart geschlagen, wobei Robert Carsen stets gerade durch eine überraschende Nähe zum Librettotext Analogien im Hier und Heute findet.

Für ein solches Karikieren und Blossstellen derzeitiger Missstände könnte er sich sogar auf eine direkte Quelle berufen, hatte doch Händels Librettist Vincenzo Grimani als Kardinal und erfahrener Diplomat möglicherweise die damaligen Zustände am päpstlichen Hof rund um Clemens XI. vor Augen, als er sein Textbuch als Sittenbild verfasste.

Jedes Mäuschen, das sich einmal in die Schaltzentren der Macht verirrt hat, wird bestätigen, dass manche Entscheidungsträger tatsächlich derart unüberlegt agieren wie der Kaiser in diesem Stück, der immerhin bereit ist, seine eben erst gefällten Beschlüsse umgehend zu widerrufen. Richtigerweise ist die Oper nach seiner Frau benannt, die mit allen Mitteln einen Plan verfolgt und schliesslich darin reüssiert, ihren Sohn zum Nachfolger ihres Gemahls zu machen.

Ungemütliche Partitur

Bosheit und Hinterlist bilden nicht nur die psychologischen Hauptbestandteile der Geschichte – auch der Dirigent Thomas Hengelbrock legt es mit seinem Balthasar-Neumann-Ensemble darauf an, die ungemütlichen Seiten der Partitur hervorzukehren. Händels Musik wird in dieser Lesart zu einem Quell der Verunsicherung, der auf Schritt und Tritt doppelte Böden bereithält. Zäsuren und rhythmische Irregularitäten werden mit Lust zu Stolperstellen gemacht, Dissonanzen und fahle Instrumenten-Farben herausgestellt. Einmal lässt das Orchester sogar einen «Walzer» wienerisch-frei verklingen, um die Machtgelüste der Protagonistin mit drastischer Unmittelbarkeit zu verdeutlichen.

Bei Agrippina laufen nicht nur alle Fäden der Intrigen zusammen: Patricia Bardon bildet sowohl darstellerisch als auch stimmlich das energetische Zentrum der Verstrickungen: mit einer raumgreifenden Bühnenpräsenz, die den Machtanspruch der Figur buchstäblich spüren lässt, und mit sprudelnder vokaler Energie, wobei sie aus der Fülle eines Farbreichtums schöpft, das sie ebenso ans Androgyne anstreifen als auch alle ihre verführerischen oder bedrohlichen Ränkespiele glaubhaft werden lässt. Wenn sie etwa die beiden Höflinge Pallante (Damien Pass) und Narciso (Tom Verney), die übrigens so exzellent singen und agieren wie das gesamte Ensemble, mit erotischen Versprechungen einkocht.

Verstellung und Verführung

Als Kaiser Claudio ist Mika Kares freilich nur vokal uneingeschränkt mächtig und wird im Übrigen zwischen seinen eigenen Begehrlichkeiten und jenen seiner Frau unsanft hin und her geworfen. Als sympathischerer Konterpart der Kaiserin übt sich auch Poppea in Verstellung und Verführungskunst: Danielle de Niese singt die Partie mit Wendigkeit und Leichtigkeit. Als ihr Geliebter Ottone findet Filippo Mineccia reizvolle Farben für Verleumdungsschmerz und sein geprüftes Herz. Und auch Christoph Seidl fügt sich als kantiger Lesbo souverän in das szenische und musikalische Gefüge ein, in dem alles im selben Ausmass stimmig wirkt, wie diese Gesellschaft aus den Fugen ist.

Falsches Happy End

Paradoxerweise spiegelt auch die Ausstattung von Gideon Davey diesen Gegensatz wider: Äusserlich ist die Bühne recht opulent, da der Inszenierung der Macht protzende Räume gegeben sind. Geradezu verschwenderisch wirkt ebenso der Swimmingpool nebst Statisterie in Badekleidung, doch ohne dramaturgische Funktion – ausser jener, die Überfülle an Reichtum und Ansehen nochmals zu unterstreichen.

«Alles endet glücklich?», beschliesst der Regisseur seine raffinierte Inhaltsangabe im Programmheft mit einer Frage und zu Recht mit einem Anflug von bissiger Ironie. Dass der eben zum Kaiser gekürte Nerone, dem Jake Arditti fliessenden Glanz verleiht, als erste Handlung eine Mordserie in Auftrag gibt, stört das Lieto fine bis weit über den Schlussakkord hinaus.