„Nicht schon wieder!“, ist man als Zuschauer am Ende von Alexander Borodin Oper geneigt zu rufen, als Fürst Igor, kaum aus der Gefangenschaft in die Heimat zurückgekehrt, sein Heer dazu auffordert, wieder mit ihm in die Schlacht zu ziehen. Basierend auf einem mittelalterlichen Epos, der einzigen erhaltenen russischen Heldendichtung, das vom missglückten Feldzug des russischen Fürsten Igor gegen die Polowetzer handelt, erzählt Borodins Fürst Igor von den Geschehnissen in der russischen Heimat und von der Gefangenschaft Igors.

Die intendierte Reihenfolge der Akte ist jedoch bis heute nicht gänzlich geklärt, da der Komponist noch vor Vollendung seiner Oper starb und Nikolai Rimsky-Korsakow und Alexander Glasunow sie vollendeten. Bei der Erstaufführung an der Wiener Volksoper wechselten sich die russischen Szenen mit jenen in der Fremde ab, was dramaturgisch gut funktionierte. Als weniger gelungen erwiesen sich allerdings etliche musikalische Striche (die Ouvertüre wurde beispielsweise drastisch gekürzt), durch die das ohnehin nicht überlange Werk auf etwas mehr als zwei Stunden zusammengestutzt wurde.

Ebenso irritierte mich die deutsche Textfassung. Warum man eine Oper teils holprig übersetzen muss, wenn das originale Libretto perfekt zur Musik passt und sprachliche Feinheiten viel besser auszudrücken vermag, erschließt sich mir nicht. Die bessere Textverständlichkeit war jedenfalls kein Argument, denn als Hörer war man trotz deutscher Übersetzung auf die Übertitel angewiesen, da bei weitem nicht alle Sänger mit verständlicher deutscher Aussprache aufwarten konnten.

Ebenfalls schwierig war die Inszenierung von Thomas Schulte-Michels. Konnte man das Bühnenbild und die Ausstattung, die Russland symbolisierten, noch als schlichtweg unauffällig bezeichnen, wirkten die Polowetzer Szenen wie der orientalische Abend eines Cluburlaubs. Die Sänger wurden scheinbar völlig alleine gelassen, die Personenregie beschränkte sich auf klischeehafte Gesten und auf Hände, die in verzweifelter Emphase mal dem russischen Einheitsbühnenbild und mal den Polowetzer Papier-Sonnenblumen entgegengestreckt wurden, wenn nicht sowieso an der Rampe gesungen wurde. Die schon im Libretto blass gezeichneten Figuren blieben dadurch eindimensional. Eine hervorragende musikalische Umsetzung hätte den Abend sicher herausreißen können, doch leider war an diesem Abend auch die durchwachsen.

Uneingeschränkt überzeugen konnte nur Sebastian Holecek als Titelheld, an dem sämtliche Textfassungs- und Regiewidrigkeiten abzuprallen schienen und der unbeirrt eine beeindruckende Leistung zeigte. Seinem raumgreifenden Bariton sind gleichzeitig stählerne Kraft und umhüllende Wärme zu eigen; er gestaltete den kriegerischen Fürsten von Piano bis Forte, von Tiefen bis Höhen weich strömend und mühelos. Dadurch verlieh er Igor stimmlich die nötige Glaubhaftigkeit und stattete ihn darüber hinaus auch darstellerisch mit herrschaftlichem Stolz aus. Neben Holeceks Fürst Igor waren, obwohl sie vom Regisseur meist nur statisch an der Rampe oder der Bühnenseite geparkt wurden, was optisch nicht viel her machte, die Damen und Herren des Chors mit schönem Klang und durchwegs differenzierter Gestaltung der Lichtblick des Abends, während die übrigen Solisten nicht in bester Tagesform waren.

Als Igors Frau Jaroslawna blieb Melba Ramos trotz majestätischer Erscheinung farblos und beschränkte sich auf darstellerische Standardgesten. Ihre relativ kühl timbrierte Stimme neigte an diesem Abend in allen Lagen zu einem starken Vibrato und besonders in der Höhe zu schrillen Momenten. Über diesen Eindruck konnten insgesamt leider weder ihre kluge Phrasierung noch einige schön gelungene, sanfte Passagen hinwegtrösten. Einen schlechten Tag dürfte auch Vincent Schirrmacher in der Rolle des Wladimir erwischt haben. An den Übergängen vom Piano zum Mezza voce hatte er immer wieder mit hörbaren Brüchen zu kämpfen, auch seine Höhe wirkte unsicher. Obwohl Schirrmacher doch eigentlich über eine angenehm schmelzende Stimme verfügt, konnte er diese Stärke über weite Strecken nicht ausspielen.

Nicht viel besser erging es Annely Peebo als in Wladimir verliebte Kontschakowna. Sie hatte deutliche Probleme mit der Tiefe und den Registerübergängen und wirkte stellenweise sehr nervös, wodurch ihre Stimme auch in der interessant timbrierten Mittellage nie richtig ins Klingen kam. Kontschakow, den Khan der Polowetzer, zeichnete Sorin Coliban mit profundem Bass in dunklen Farben als mächtigen aber an ehrlicher Freundschaft zu Fürst Igor interessierten Mann. Wenn er seine Stimme fließen lassen konnte, war es eine Freude, ihm zuzuhören. Musste er sie jedoch in exponierte tiefe Lagen führen, fehlte es an Volumen und er schien an seine Grenzen zu stoßen. Als Gegenfigur zum vom Volk respektierten Herrscher, durfte Martin Winkler als Galitzky zwar darstellerisch primitive Abgründe heraufbeschwören, konnte stimmlich aber nicht ganz diesen Eindruck bestärken, da er seinem hellen Charakterbariton zu wenig Dämonie abgewann.

Ähnlich dem Sängerensemble konnte auch das Orchester unter der Leitung von Alfred Eschwé nicht restlos überzeugen. Obwohl immer wieder die orientalischen Melodien schön herausgearbeitet und in Kontrast zu klerikalen russischen Klängen gestellt wurden, fehlte es der Interpretation zu oft an Differenziertheit. Die feinen Passagen wurden großteils von polternder Lautstärke überrollt, Farbenreichtum oder Pathos kam gar nicht erst zustande und man hätte sich für Borodins Werk eine seelenvollere Umsetzung gewünscht. Alles in allem war es ein Abend, der auf dem Papier viel hat erwarten lassen, aber am Ende trotz eines überragenden Titelhelden enttäuscht hat.

**111