Agrippina: Ein bitterböses, römisches "House of Cards"

Jake Arditti als "Nerone" und Statistinnen in "Agrippina" im Theater an der Wien
Mit Georg Friedrich Händels "Agrippina" ist Regisseur Robert Carsen und seinem kongenialen Team ein großer Wurf gelungen

Kritik. Robert Carsen und das Theater an der Wien – das ist seit Jahren eine für beide Seiten (und für das Publikum) mehr als beglückende Kombination. Immer wieder hat der kanadische Regisseur hier mit Produktionen für Furore gesorgt und Maßstäbe gesetzt. Und auch mit Georg Friedrich Händels "Agrippina" ist Carsen und seinem kongenialen Team ein großer Wurf gelungen.

Worum geht es in dieser 1709 uraufgeführten, selten gespielten Oper, die auf einem Libretto von Vincenzo Grimani basiert? Um Rom, um Liebe, Sex und Politik und um die brennende Frage, wie man mittels Intrigen an die Macht kommen, diese dann aber auch behaupten kann. Eine Art antikes "House of Cards", nur dass hier nicht Frank Underwood seine Ränke schmiedet, sondern die Titelfigur Agrippina.

Diese will nämlich mit allen Mitteln ihren Sohn Nerone zum Herrscher machen. Im Weg stehen ihr dabei ihr eigener Mann Claudio, der treue, siegreiche Feldherr Ottone, dessen große Liebe Poppea, ein paar Hofschranzen und der eigene Sohn. Denn Nerone will anfangs so gar nicht herrschen, sondern lieber das Dolce Vita genießen ...

Carsen verlegt in der grandiosen Ausstattung von Gideon Davey – das Bühnenbild symbolisiert den unter Mussolini errichteten Palazzo della civilità italiana – ins Heute. Herrscher Claudio ist hier ein "Bunga-Bunga"-Berlusconi, Gattin Agrippina eine toughe Business-Frau mit Sex-Appeal. Man gebietet über das Medium-Imperium "SPQR-TV" und kocht das Modepüppchen Poppea anfangs munter ein; selbst in einer Wellness-Oase gehen die erotischen und politischen Wellen hoch. Das ist brillant, das ist unfassbar komisch und am Ende auch zutiefst tragisch, weil Muttersöhnchen Nerone letztlich zum Psychopathen mutiert ...

Grandioses Ensemble

Ein perfektes Umfeld für ein perfektes Ensemble. So ist die Mezzosopranistin Patricia Bardon eine vokal wie darstellerisch ideale Agrippina, so punktet die Sopranistin Danielle de Niese als Poppea nicht nur in ihren Arien. Ein Ereignis ist der Countertenor Jake Arditti (er gehört dem Jungen Ensemble an der Wien an) als fabelhaft gestörter Playboy Nerone, der seine oft halsbrecherischen Koloraturen grandios meistert.

Bassist Mika Kares ist als Claudio ein exzellenter Berlusconi-Verschnitt; Countertenor Filippo Mineccia steht ihm als wahrhaft liebender Ottone um nichts nach. Aufhorchen lassen der kultivierte Bassbariton von Damien Pass (Pallante), der Counter von Tom Verney (Narciso) und der Bassist Christoph Seidl als "treuer" Diener aller Herren.

Am Pult des hervorragenden Balthasar Neumann Ensembles sorgt Dirigent Thomas Hengelbrock trotz einiger Längen für einen sehr vitalen Händel-Sound. Frenetischer Jubel für alle Beteiligten und für einen weiteren Musiktheater-Hit.

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