Das Haus, in dem in der Vergangenheit mit Vorliebe Opernklassiker aus dem Belcanto und der italienischen Romantik gezeigt wurden, hat sich in der Saison 2016 mit Salome einer ganz neuen Herausforderung gestellt: Das hochdramatische Werk des dort eher selten gespielten Komponisten Richard Strauss bot dem Kapstädter Publikum einen in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen Opernabend.

Eine Salome zu inszenieren ist sicherlich keine leichte Aufgabe: In dem nur 90 Minuten langen Einakter werden brisante Themen wie Moralität, Religion, Erotik, Inzest und Tod aufgegriffen und in verschiedensten Bedeutungsebenen verarbeitet. Es versteht sich von selbst, dass das Werk zu seiner Uraufführung 1905 in seiner Hörerschaft eine extrem polarisierende Wirkung zeigte, aber selbst 111 Jahre später, wo man fast tagtäglich mit solchen Themen konfrontiert wird und bei solcher Reizüberflutung manchmal nicht weiß wohin, ist diese Oper nicht leicht zu verarbeiten.

Kontrastierend zu Strauss' reichhaltiger Musik hatte sich der Bühnenbildner Conor Murphy ein eher schlichtes Bühnenbild einfallen lassen, welches die musikalische Qualität ganz in den Vordergrund rücken ließ: Man sah nur eine Art halbe riesige Halfpipe aus Metall mit vertikalen Leitern, und in der Mitte führte eine schmale Treppe von ganz oben nach unten. Vorne in der Bühnenmitte befand sich die Zisterne, drum herum lediglich ein Haufen Kohlestücke. Dezente farbliche Akzente wurden hingegen vom Kostümdesigner Michael Mitchell gesetzt: Während Salome (Allison Oakes) im ersten Akt noch im einfachen hellen Paillettenkleid erschien, trat König Herodes (Allan Glassman) als typischer, angetrunkener Partygastgeber im bunt geblümten Anzug und lila Krawatte auf. Seine Frau Herodias (Violina Anguelov) begleitete ihn als wasserstoffblonde Tussi mit Riesensonnenbrille und tief ausgeschnittenem Paillettenkleid, stets mit einer Weinflasche in der einen Hand und einem Weinglas in der anderen.

Die Inszenierung selbst ließ an manchen Stellen Interpretationslücken. Die Rolle des Jochanaan wurde beispielsweise von zwei Männern simultan gespielt, einem jüngeren (dem eigentlichen Spielpartner Salomes) und einem älteren, der das Geschehen mit etwas räumlichen Abstand beobachtete und dazu die Partie sang. Obwohl der ältere Jochanaan die Mimik und Gestik des Jungen in gewisser Weise imitierte, wurde die eigentliche Idee des Regisseurs Matthew Wild nicht ganz deutlich: War der jüngere Jochanaan bloß eine von der lüsternen Salome idealisierte Version Jochanaans? Oder waren die zwei Körper eine Symbolisierung der Entseeltheit Jochanaans, dessen langjährige Gefangenschaft sich bereits auf seine psychische Gesundheit ausgewirkt hatte?

Wo dieses inszenatorische Mittel sich mir nicht restlos erschloss und ein konkreter Hinweis auf die Intention fehlte, beeindruckte dagegen das musikalische Ensemble mit einer herausragenden künstlerischen Leistung. Im Orchestergraben dirigierte Gérard Korsten das Cape Philharmonic Orchestra, dessen Spiel am Donnerstagabend hoch gelobt werden muss. Auch die Sänger überzeugten vor allem mit ihrer gesanglichen Leistung: Tenor Lukhanyo Moyake tat sich zwar mit der deutschen Aussprache etwas schwer, hinterließ aber trotz seiner vergleichsweise kurzen Rolle dank seiner klangschönen und agilen Stimme einen hervorragenden Eindruck.

Mit Bravour meisterte die Sopranistin Allison Oakes alle Herausforderungen, die die anspruchsvolle Rolle der verwöhnten Königstochter Salome stellt. Sie kokettierte in der vierten Szene mit ihrem Stiefvater Herodes mit spielerischer Leichtigkeit, überraschte jedoch unmittelbar danach in der letzten Szene mit immenser Stimmgewalt, die in dem turbulenten und schaurigen Geschehen nicht fehlen darf. Ebenso hervorzuheben war die Leistung des Richard Paul Fink in der Rolle des älteren Jochanaan. Mit seiner kräftigen Stimme und seinem üppigen grauen Vollbart war er sowohl stimmlich als auch optisch ideal besetzt, tat sich jedoch hauptsächlich durch seine starke schauspielerische Leistung hervor.

Zu guter Letzt bleibt mir nur die Frage, warum solche Werke an der Oper Kapstadt nicht öfter produziert werden. Den Standing Ovations und der durchaus positiven Medienresonanz lassen darauf schließen, dass das Kapstädter Publikum offen und interessiert an einem neuen oder ungewohnten Programm ist. Man kann also nur hoffen, dass die Cape Town Opera diesen Weg weiter beschreiten und mehr mit neueren Produktionen experimentieren wird – dieses Haus hat viel mehr zu bieten, als es bisher erahnen ließ.

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