Die Meinungen über das Regietheater in der Oper klaffen weit auseinander; manche Herangehensweisen werden bejubelt, andere zerrissen. Das Publikum der Salzburger Osterfestspiele war sich sowohl über Vincent Boussards Inszenierung von Verdis Otello als auch über die musikalische Leistung nicht einig; Bravi trafen auf Buhrufe.

Dafür verantwortlich war Boussards minimalistisch gehaltene, intermediale Inszenierung. Eine schwarze Bühne, in einen weiß leuchtenden Rahmen eingefasst, bildete die Spielstätte; allein die stilisierte Kleidung (Kostüme: Christian Lacroix) deutete auf das späte 19. Jahrhundert hin. Bis auf einen langen silbernen Tisch, der als Sitzgelegenheit und Laufsteg diente, war dieser Otello frei von jeglicher Kulisse, die den Handlungsort verraten würde; Video– und Lichtinstallationen wurden zu den tragenden Elementen der Produktion. Auf großen Leinwänden wurden Farben projiziert, um die momentane Stimmungslage wiederzugeben. Immer wieder flog auch ein animiertes Taschentuch in unterschiedlichen Größen über die Leinwand – der Gegenstand, um den sich Iagos gesamte Intrige aufbaut und der so wichtig für das Liebesband zwischen Otello und Desdemona ist. Seiner Bedeutung, auf die Stefan Ulrich noch im Programmheft hinweist, wurde das simple weiße Tuch nicht gerecht. Otellos Eifersucht wirkte bei dieser Tatsache schon fast lächerlich übertrieben und albern und aus einem tiefenpsychologischem Drama wurde eine Parodie.

Imposant war der Einstieg: Ein feines, durchsichtiges, über die gesamte Bühne gespanntes und sich stets aufblähendes Tuch repräsentierte zugleich ein Segel, Wellen und das immer wiederkehrende, symbolträchtige Taschentuch. Der Staatsopernchor Dresden zeigte sich hinter dem Tuch äußerst stimmgewaltig und diente darüber hinaus sozusagen als Ersatz für die Kulisse, verhalf zu einem dynamischen Erscheinungsbild, während Solisten, Licht und Video in den einzelnen Szenen dagegen zurückhaltend statisch waren. Der imposante erste musikalische Eindruck konnte jedoch nicht über die gesamte Länge der Oper gehalten werden, da der Chor an wenigen Stellen etwas wacklig schien.

Im Orchestergraben warteten Christian Thielemann und die Staatskapelle Dresden mit gleich mehreren Klangidealen auf, transparent und strahlend zu Beginn, empfindlich im Weidenlied der Desdemona und opulent an manch anderen Stellen, in denen dann jedoch José Cura und Carlos Álvarez zu kämpfen hatten, noch irgendwie hörbar zu bleiben. José Cura als ein bemitleidenswerter Otello, der sich manipulieren lässt und dazu an sich selbst zu zweifeln scheint, wandelte in einem fort von seinem inneren Schmerz gebeugt über die Bühne und haderte mit Schwermut in der Stimme und breit ausgesungenen Passagen mit seinem Schicksal. Iagos falsches Spiel als guter Freund und Intrigant hätte hingegen noch stärkere Beachtung verdient. Carlos Álvarez zeigte mit kernigem Timbre und seiner satten Stimme einen Iago, der selbst in seinem falschen Spiel gefangen ist und weder hemmungslos in die Rolle des dämonischen Intriganten noch in die des Vertrauten Otellos schlüpft.

Stimmlich wie auch schauspielerisch überzeugender waren dagegen Dorothea Röschmann und Benjamin Bernheim in den Rollen Desdemona und Cassio. Bernheims Auftritt begeisterte durch seine stimmliche Durchschlagskraft und aufgeweckte Flexibilität in der Stimme. Röschmann als sorgenvolle Desdemona berührte die Herzen des Zuhörers mit ihrer rührseligen Liebeserklärung an Otello zum Ende des ersten Akts und, mit sich selbst im Reinen, mit ihrem sehr getragenen Weidenlied, wobei besonders ihre stimmliche Präsenz und Leichtigkeit in allen Lagen herausragend war. Röschmanns dynamisches Spektrum reichte vom hauchzarten Wispern bis zum entsetzlichen Verzweiflungsschrei. Ihren männlichen Kollegen fehlte an diesem Abend ein solches Spiel mit den Extremen ihrer Figuren.

Auch wenn diese Inszenierung nicht den Geschmack des gesamten Publikums getroffen hat, war sie doch insgesamt geschmackvoll. Was die optischen Komponenten anbelangt schuf Vincent Boussard klare und kühle Strukturen auf der Bühne; bei den Charakterzügen der Figuren herrschte indes keine so große Klarheit, was es mühevoll machen konnte, der Handlung zu folgen. Bei nahezu vollkommenem Verzicht auf Kulisse und Requisiten hätten weniger minimalistische Videoinstallationen, die nur das Taschentuch, eine Hand und den im Liegen singenden Otello zeigten, womöglich eine fesselndere Produktion ergeben.

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