Filippo Mineccia als Ottone und Statisten.

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Wien – Fazit vorab: 120 von 100 Punkten. Fünf Sterne de luxe. Hingehen, hinhören. Aus dem Orchestergraben strömen, fluten die Klänge des von Thomas Hengelbrock geleiteten Balthasar Neumann Ensembles: mit Wucht, Angriffslust, aber auch mit sinnlicher Laszivität und rührender Intimität. Erstmals im Theater an der Wien zu Gast, wird dieses Klangkollektiv zum wild schlagenden Herz dieser großartigen Neuproduktion von Händels Agrippina, zum Motor aller Emotion.

Aber hinschauen soll man bitteschön – geboten wird Tempo und Intensität, Tragödie mit komödiantischem Augenzwinkern und Gags. Robert Carsen hat die Politsatire aus der alten Römerzeit in eine italienische Jetztzeit versetzt: Da becircen im Spa Grazien in Bikinis diverse Machthaber, ertüchtigen Poolboys selbstverliebt ihre Körper (Ausstattung: Gideon Davey). Agrippina führt das Römische Reich in Abwesenheit ihres Gatten Claudio wie eine Businessfrau; sie will Nerone, ihren Sohn aus erster Ehe, auf den Thron hieven, als sie die (falsche) Meldung vom Tod ihres Mannes erfährt.

Meryl Streep in Chanel

Und Patricia Bardon ist eine umwerfende Agrippina: dieser Gang! Wie sie den Kopf zurückwirft! Bei wem hat diese Frau Schauspielunterricht genommen: bei Meryl Streep? Mal kalte Domina im Lederrock, mal taktisches Genie in Chanel, ist sie die Strippenzieherin im Intrigenspiel: eine zielstrebige Waffe auf High Heels, blondes Gift. Die schöne Poppea, erst ihr Opfer, lernt schnell von ihr; zusammen haben die zwei Hauptstadtweiber die Männer in der Hand und am Schluss das, was sie wollen: Poppea den Militärmann Ottone, Agrippina ihren narrischen Sohn am Thron.

Bardon fühlt sich gesanglich im Dramatischen am wohlsten, ihr hohl timbrierter Mezzo harmoniert mit den Kollegen von der Falsettfraktion vorzüglich: mit Jake Arditti als überdrehtem Nerone, mit Filippo Mineccia als intensivem Ottone, mit Tom Verney als glattem Narciso. Danielle de Niese ist eine sinnliche Poppea, davon kann Mika Kares als stattlicher Claudio eine Arie singen. Gewinnend in jeder Hinsicht auch Damien Pass als Pallante, lustig Christoph Seidl als Lesbo. Ein Gesamtkunstwerk, das Lust auf Sommer, Sonne und Intrigen macht. (Stefan Ender, 20.3.2016)