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Janáčeks "Totenhaus"-Oper: Grundrauschen des Grauens

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Der Doppeldecker ist das Symbol der Freiheit im grausamen Alltag zwischen Stacheldraht.
Der Doppeldecker ist das Symbol der Freiheit im grausamen Alltag zwischen Stacheldraht. © Foto: Ludwig Olah

Nürnberg - Calixto Bieito, Mister Schonungslos der Opernszene, lässt am Staatstheater Nürnberg die Gewaltspirale heiß- und leerlaufen. Lesen Sie hier die Premierenkritik:

Gestreifte Kluft ginge immer, möglichst übersät mit Blut- und Schlammspuren. An den Gulag ließe sich dabei denken oder an Deutschlands finsterste Zeit. Oder aber: Man lässt diese Allusionen und Anspielungen sein, weil ja jeder Konkretisierung und Historisierung eine Art Verdoppelung innewohnt, die erstens ohnehin nie an die Realität heranreicht und zweitens das Bühnendrama aus dem Überzeitlichen in die Verkleinerung drängt. Genau das hat Calixto Bieito verstanden, und es ist noch das Beste, was sich von seiner Inszenierung eines der rätselhaftesten Opernwerke sagen lässt.

„Aus einem Totenhaus“ von Leoš Janáček, entstanden nach Dostojewskis literarisch aufbereiteten Gefängniserinnerungen, fehlen entscheidende Theaterzutaten: Handlung und Identifikationsfiguren. Eine reine Draufsicht auf den grausamen Alltag zwischen Stacheldraht ist das, die immer wieder Einzelschicksale in monologisierenden Momenten nach oben spült und in der ein verletzter, gefangener, am Ende davonfliegender Adler ein viriles Freiheitssymbol darstellt.

In seiner Inszenierung am Opernhaus Nürnberg, für die Bieito seine gut sechs Jahre alte Baseler Produktion nach Franken holte und von Assistentin Barbora Horáková mitbetreuen ließ, gibt es keinen Adler, sondern einen Doppeldecker. Spektakulär wird der irgendwann aus dem Schnürboden herabgelassen und dient als bekletterbares Spielgerüst für eine erbarmungswürdige Männerriege. Wer Bieito, den Mister Schonungslos der Opernszene bucht, kriegt, was er gerade bei solchen Stücken erwartet: schwiemelige, halbnackte Männerkörper, offene Wunden, Schlägereien bis zur Bewusstlosigkeit, Bedrohungen mit Gewehr und Pistole, schließlich auch Kugeln, die ein Dutzend Insassen niedermähen. Aber es gibt auch lichte Bizarrerien: wenn sich die von „normaler“ Lustbefriedigung abgeschnittenen Kerle an ihr Zuhause erinnern – und andere Gefangene plötzlich in improvisierten Frauenkleidern auftauchen. Ob alles wirklich in einem Gefängnis stattfindet oder in einem Flugzeughangar mit Zwangsarbeitern (Bühne: Bieito selbst und Philipp Berweger; Kostüme: Ingo Krügler), scheint da zweitrangig.

Erstaunlich und aufs Höchste beeindruckend ist es, wie sich Chormitglieder plus Solisten bedingungs- und schonungslos in ihre Aufgaben werfen. Bieito, dieser beim Proben so stille Mann, muss ein begnadeter Motivator sein. Mehrfach kommt es auch in diesen 100 pausenlosen Minuten zu berührenden Szenen. Doch die Gewaltspirale, die Bieito da mächtig ankurbelt, läuft nicht nur heiß, sondern auch ins Leere. In der ständigen Schilderung immer neuer Schrecknisse kommt es zum diffusen Grundrauschen des Grauens, das – und damit wird Janáčeks letztem Opus Fatales angetan – bald nicht mehr Ekel, sondern nur noch Schulterzucken provoziert.

Vielleicht passiert dies alles auch, weil die Musik solche Steilvorlagen bietet. Janáčeks schrundige, sich in Repetitionen und verkanteten Klängen ergehende Partitur, beantwortet Nürnbergs Generalmusikdirektor Marcus Bosch noch mit einer Akzentuierung dieser Elemente. Ohnehin ein Freund robuster Gestaltung, überfährt Bosch dabei auch die anderen, feinen, diffizilen Passagen – und wird dafür mit zwei, drei Buhs abgestraft. Entscheidend ist bei diesem Janáček ja nicht das Ausstellen des Effekts, sondern die Suche nach dem Woher und Wohin solcher Stilelemente. Trotz dieses bedrängenden musikalischen Umfelds gelingt den Sängern Grandioses, stellvertretend seien Kay Stiefermann, Tilmann Unger und Antonio Yang genannt. Ein Abend, dessen Regie-Konzept ziemlich anfechtbar ist, der aber zeigt, was Bayerns zweites Opernhaus – nach Brocken wie „Götterdämmerung“ und „La Juive“ in dieser Saison, noch stemmen kann.

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