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Premierenpublikum

Frauen zwischen den Fronten

Kultur / Lesedauer: 3 min

Nicola Berloffa inszeniert in St. Gallen behutsam Bellinis Oper „Norma“
Veröffentlicht:14.03.2016, 16:44

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Eine packende Aufführung: Bellinis Oper „Norma“ am Theater St. Gallen .

Ungewöhnlich ausdauernd hat das Premierenpublikum die gelungene Neuproduktion von Vincenzo Bellinis Oper „Norma“ am Theater St. Gallen gefeiert. Begeisterten Applaus gab es nicht nur für das durch und durch italienische Leitungsteam, sondern auch für Gesangssolisten, Chor und Orchester. Dirigiert wird die packende Aufführung von Giampaolo Bisanti. Insgesamt erfüllen alle Mitwirkenden die Forderung des früh verstorbenen Belcanto-Komponisten, Oper müsse „weinen, schaudern, sterben machen“.

Wenn man das mit dem Sterben mal nicht wörtlich nimmt, dann beschreibt dieses Motto ziemlich genau die Intention, die Bellini und sein Librettist Felice Romani vor nunmehr 185 Jahren mit ihrer „Tragedia lirica“ über die tragisch verliebte gallische Priesterin Norma verfolgt haben. Ihr musikdramatisches Konzept funktioniert auch heute noch. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Geheimnis des unverwüstlichen Zweiakters musikalisch und szenisch erfasst wird.

Der Regisseur Nicola Berloffa , der im vergangenen Jahr am selben Ort mit einer fulminanten „Carmen“-Produktion überzeugt hat, favorisiert bewusst eine „traditionelle“ Bühnenästhetik und setzt eigene Akzente behutsam im Detail. Anders als seine australische Kollegin Lindy Hume, die „Norma“ 2005 am Theater St. Gallen inszenierte, tappt er dabei nicht in die Falle unbeholfener Personenführung, plumper Rampensingerei und peinlich banaler Choreografie.

Bellinis frühromantische Opern lassen anderseits für Eingriffe im Sinne des modernen Regietheaters wenig Raum. Nur Könner wie Jossi Wieler und Sergio Morabito in Stuttgart schaffen es, die Geschichte von Normas Liebe zum römischen Prokonsul Pollio plausibel in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zu verlegen. Auch Moshe Leiser und Patrice Caurier haben das Stück unlängst in Zürich mit Cecilia Bartoli glaubhaft im Kontext französischer Résistance und deutscher Besatzung erzählt.

Berloffa hat nun in St. Gallen den Beweis erbracht, dass „Norma“ nicht unbedingt in jüngster Zeit spielen muss, um als erschütterndes Musikdrama seine unwiderstehliche Wirkung zu entfalten. Auch vordergründige Aktualisierung, plakative Schockszenen oder Verfremdungen und ästhetische Brüche sind dazu nicht erforderlich. Valeria Donata Bettellas Kostüme verorten die 1831 uraufgeführte Oper im Milieu ihrer Entstehungszeit. Ein Jahr nach der Juli-Revolution gärt es in der französischen Gesellschaft.

Rebellen versammeln sich in der Ruine einer zerfallenen Villa, um heimlich gegen Restauration und die Herrschaft des Bürgerkönigs zu opponieren (Bühne: Andrea Belli). Realistisch nachgebildet sind nicht nur ihre Uniformen und die Biedermeier-Kleider ihrer Frauen, sondern auch abgerissene Mauern und abblätternder Putz an den Wänden. Eine steinerne Grabplatte dient als „Altar“ zur Aufbahrung eines gefallenen Kämpfers. Sein geschundener Körper wird als patriotische Ikone für quasi-religiöse Rituale aufbereitet.

Achtbare Leistungen der Sänger

Wie eine Heilige Johanna des Widerstands schreitet Yolanda Auyanet als Norma mit einem großen Schwert einher. Leider erweist sich das Utensil gelegentlich beim Hantieren als hinderlich. Auyanets mächtiger Sopran flackert etwas unstet bei hohen Liegetönen. Starkes Vibrato und übertriebenes „Anschleifen“ von Tönen beeinträchtigen bei der ergreifenden Arie „Casta Diva“ Intonation und metrische Orientierung. Ansonsten gelingt ihr stimmlich und szenisch eine großartige Darbietung.

Definitiv zu laut und stellenweise unrein singt Martin Muehle als machohafter Pollione. Levente Páll (Oroveso) könnte als jugendlicher Offizier der Widerständler mit kernig-schlankem, sirupsüß tönendem Bass eher Normas Sohn als ihr Vater sein. Alessandra Volpe (Adalgisa) beeindruckt mit dunklem Timbre und sauberen Koloraturen, vermittelt aber weder vokal noch optisch das Bild einer mädchenhaften Novizin. Manuela Iacob Bühlmann (Clotilde), Nik Kevin Koch (Flavio) und der Chor bieten achtbare Leistungen.

Weitere Vorstellungen sind am 16.und 29. März, 1., 9., 15. und 21.April sowie am 22. Mai. Karten gibt es unter: www.theatersg.ch