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Premierenkritik Staatstheater Nürnberg Janáčeks "Totenhaus" als Schocker mit Schwächen

"Aus einem Totenhaus", deren drei kurze Akte allesamt unter den Gefangenen in einem sibirischen Straflager spielen, ist brutal. In einer losen Bilderfolge, die eher einem Oratorium als einer Oper gleicht, wird Gewalt und Verrohung allerorten gezeigt - nicht nur bei den Gefängnisaufsehern, sondern auch unter den Gefangenen selbst.

Szenenbild aus der Oper "Aus einem Totenhaus" am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: Ludwig Olah

Bildquelle: Ludwig Olah

Premierenkritik Staatstheater Nürnberg

Janáceks "Totenhaus" als Schocker mit Schwächen

Doch findet man bei Janáček, der in jedem Akt einen Scheinwerfer auf einen der Häftlinge richtet und ihn seine Geschichte erzählen lässt, warum er ins Lager kam, auch Zeichen der Hoffnung. Es gibt sie musikalisch, wenn in der schroffen, rhythmischen und eher karg instrumentierten Partitur, volksliedhafte Elemente vor allem im Chor der Gefangenen erklingen. Und es gibt sie szenisch, etwa wenn der politische Gefangene Gorjantschikow, der vom Lagerkommandanten erst einmal mit hundert Peitschenhieben begrüßt wird, am Ende freigelassen wird. Oder wenn der von den Männern gequälte Adler mit dem gebrochenen Flügel sich nicht unterkriegen lässt, von einem der Häftlinge wieder gesundgepflegt wird und am Ende unter dem Jubel der Gefangenen in die Freiheit davonfliegt.

Inszenierung verweigert Hoffnung

Szenenbilder "Aus einem Totenhaus" von Leoš Janáček am Nürnberger Staatstheater, 2016 | Bildquelle: Ludwig Olah Szenenbild aus der Oper "Aus einem Totenhaus" am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: Ludwig Olah Doch der katalanische Regisseur Calixto Bieito, Spezialist für Opernschocker aller Art mit Hang zu sexuellen Obszönitäten, verweigert dem Nürnberger Publikum auch diese kleinen Hoffnungsschimmer. Gorjantschikow, einer der ganz wenigen im Lager, der sich nicht von den Gewaltorgien korrumpieren lässt , wird vom sadistischen Kommandanten im Smoking mit Pelzmantel bei seiner angeblichen Entlassung hinterrücks erschossen. Und der Adler mutiert zuerst zu einem Modellflieger aus Pappkarton und dann zu einer echten Antonow-Propellermaschine, die zwei Akte lang die Bühne blockiert, um dann wieder etwas sinnbefreit in den Schnürboden hochgezogen zu werden.

Auch ansonsten spitzt Bieito Janáčeks Vorlage noch zu. Etwa wenn die Gefangenen als Spiel im Spiel eine Don Juan-Pantomime aufführen, und dabei die als Teufel Kostümierten blutrote Dildos umgeschnallt haben. Oder wenn Gorjantschikows Schützling, der junge hübsche Aljeja, nicht nur zusammengeschlagen, sondern von drei Mithäftlingen brutal vergewaltigt wird. Oder wenn mal eben wahllos zehn Gefangene an die Wellblechwand gestellt und per Kalaschnikow liquidiert werden - inklusive Leichenfledderung durch die überlebenden Sträflinge.

Verflachung der Oper

Es wird sich in aller Hoffnungslosigkeit und mit perverser Lust in den Wasserpfützen des Bühnenbodens gesuhlt, gequält, geprügelt, erschlagen und ermordet, und dennoch bleibt diese Gulag-Oper, ganz anders als Bieitos unter die Haut gehende Nürnberger "Turandot", merkwürdig stumpf. Und das obwohl dieser Regisseur wirklich ein Meister der Personenführung ist und Sänger, Chor und Statisten beeindruckend und glaubhaft agieren. Doch dieser einseitig inszenierte Pessimismus verflacht die Oper. Und dass Bieito uns einhämmern will, dass der Mensch den Menschen ein Wolf ist, hat man schon nach zehn Minuten begriffen. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Nürnberger Inszenierung ein Aufguss seiner Basler Inszenierung von 2009 ist. Von der versprochenen Überarbeitung ist jedenfalls kaum etwas zu merken.

Geht musikalisch unter die Haut

Musikalisch überzeugt die Aufführung von Janáčeks Schauergeschichte weit mehr. Marcus Bosch leitet seine Staatsphilharmonie Nürnberg mit Verve und betont die Schroffheiten und dynamischen Brüche der Partitur. Und das reine Männerensemble, das sich dem schwierigen tschechischen Text mit Sorgfalt und Ausdruck widmet, macht seine Sache auch stimmlich ausgezeichnet. Wirkliche Hauptrollen gibt es in "Aus einem Totenhaus" nicht, doch gesanglich mehr als herausragend waren der amerikanische Gasttenor Cameron Becker als Aljeja und Bariton Antonio Yang als Schischkow, der seine lange, schwierige Soloerzählung im 3. Akt eindrucksvoll darbot. Fazit: Bieitos "Totenhaus" ist ein Schocker mit Schwächen, aber musikalisch geht er unter die Haut.

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