Familienbande der schwarzen Seelen: Ein veritables Musikdrama

FOTOPROBE 'OTELLO'
FOTOPROBE 'OTELLO'APA/GEORG HOCHMUTH
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Theater an der Wien. Rossinis "Otello", musikalisch fulminant realisiert von Antonello Manacorda, szenisch zugespitzt von Damiano Michieletto: packend.

„Nichts schmerzt so sehr, als sich an glückliche Zeiten zu erinnern, wenn man im Elend ist“: Rossini selbst soll auf diesem Zitat aus Dantes „Göttlicher Komödie“ im Text seines „Otello“ bestanden haben – gegen den Widerstand des Librettisten Francesco Berio, der bezweifelte, dass ein Gondoliere über klassische Bildung verfügen würde. Aber der Komponist setzte sich mit dieser Anspielung auf die Eifersuchtstragödie der Francesca da Rimini durch. Desdemona vernimmt sie im musikalisch bewundernswert dichten dritten Akt aus der Ferne, während sie ihr eigenes Ende nahen fühlt. In Damiano Michielettos Regie ist die Szene, nun ja, glaubwürdiger gelöst – und gibt zugleich einen bestimmenden Wesenszug seiner Deutung wieder: Er holt nämlich den Sänger (Julian Henao Gonzalez) als Desdemonas Arzt auf die Bühne. Gut, Stereotype hin oder her, ein Mediziner mag seinen Dante wohl eher kennen. Noch mehr aber wiegt Michielettos Bestreben, die Handlung interessanter, klüger zu machen – für sich selbst ebenso wie für das Publikum im Theater an der Wien.

Also versetzt er das Geschehen in unsere Tage und erzählt es in feudal-kalten Palazzo-Interieurs (Bühne: Paolo Fantin) als unglückliche, von belastet-lieblosen Vater-Sohn- und Vater-Tochter-Beziehungen bestimmte Familiengeschichte. Otello ist ein offenbar frommer Muslim mit schwarzem Bart und Turban, der wichtige Handelsverbindungen garantiert. John Osborn schafft es, die unbarmherzige Partie mit passend heldischem Aplomb auszukosten und verfügt zudem sowohl über die nötige Koloraturgewandtheit als auch über explosive, zielsichere Spitzentöne: eine Glanzleistung.


Das Kopftuch als Symbol. Die echte Liebe zwischen Otello und Desdemona steht freilich in skandalösem Gegensatz zur von den Vätern (Fulvio Bettini, Nicola Pamio) arrangierten Heirat mit dem Dogensohn Rodrigo. Die Tochter wie eine Handelsware an den Meistbietenden zu verscherbeln, darin sehen die ach so rechtschaffenen Europäer kein Problem – doch als der wertschätzend mit Desdemona umgehende Otello ihr ein Kopftuch zum Geschenk macht, empört sich die ganze Gesellschaft (der großartige Arnold-Schoenberg-Chor) über solche Unterdrückung . . .

Als Rodrigo bietet Maxim Mironov mit hellem, leichterem Material Osborns Otello auf nicht minder höhensichere, aber lyrische Weise in Tenorduellen Paroli – und stellt einen schwächlichen Schnösel dar: Mit bravem Scheitel, im tadellosen Anzug träumt er aus Geltungsbewusstsein von Desdemona, ist aber eher Männern zugeneigt. Jago zum Beispiel, der hier, und da trägt Michieletto etwas dick auf, als mephistophelischer Unhold oft wie irr über die Bühne tänzelt und bei allen die dunkelsten Seiten hervorkitzelt – ein gefundenes Fressen für Vladimir Dmitruk in der dritten Tenorpartie des eigentümlichen Werks. Emilia, bei Michieletto nicht Vertraute, sondern Schwester Desdemonas und hinter der Fassade von Papas kleinem Liebling eine skrupellose Aufsteigerin, erhält durch Gaia Petrone scharfe Kontur: Sie angelt sich Rodrigo am tragischen Ende.


Empfindsame Desdemona. So sind es vor allem die geschickten Umdeutungen, die diesen vom Libretto her sonst etwas flachen Rossini-„Otello“ szenisch packend machen – und die vergessen lassen, dass man eine der oft geschmähten Opere serie des Komödienmeisters hört. Verblüffend, wie die Regie ein Rezitativduett szenisch auseinanderdividiert und ihm mit zwei stummen Dialogpartnern einen anderen, neuen Sinn verleiht! Diesen realistischen Zügen fügt Michieletto, nicht ganz so zwingend, metaphysische Aspekte hinzu: Francesca und Paolo steigen gleichsam aus dem Previati-Gemälde herab, erscheinen der empfindsamen Desdemona. Dabei klingt Nino Machaidze eher resolut: eine jugendlich-dramatische Stimme mit guter Geläufigkeit, leichter Höhe und einer interessanten Prise Herbheit. Im Lied von der Weide mag man trotz gut zurückgenommener Üppigkeit die nötige melancholische Süße vermissen, aber ihre Anklagen zürnen fulminant. Sie tötet sich selbst: die schlimmste Strafe für Otellos grundlose Eifersucht.

Dass der Abend als veritables Musikdrama funktioniert, war freilich auch den Wiener Symphonikern zu danken: Unter der rhythmisch straffen, aber immer sängerdienlichen Leitung Antonello Manacordas zündeten die großen Crescendi, die reichen Bläsersoli, die düsteren Aufwallungen. Fast nur Jubel.

„Otello“: bis 1. 3.; in Ö1 am 27. 2. um 19.30 h; www.theater-wien.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2016)

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