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Die Jüdin - La Juive

Opéra in fünf Akten
Text von Eugène Scribe
Musik von Fromental Halévy

in französischer Sprache mit englischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 10' (eine Pause)

Koproduktion mit der Opéra de Nice

Premiere im Opernhaus Nürnberg am 17. Januar 2016
(rezensierte Aufführung: 30.01.2016)




Staatstheater Nürnberg
(Homepage)

Religionskonflikt in beeindruckenden Bildern 

Von Thomas Molke / Fotos von Ludwig Olah


Seit einigen Jahren ist die viele Jahrzehnte in Deutschland kaum beachtete Gattung der Grand Opéra
wieder häufiger auf den Spielplänen der Opernhäuser zu finden. Auch Peter Theiler, der während seiner Intendanz immer wieder einen Schwerpunkt auf Belcanto-Raritäten und selten aufgeführte französische Opern gelegt hat, hat nach Rossinis Guillaume Tell und Meyerbeers Les Huguenots mit Fromental Halévys La Juive nun eines der bedeutendsten Werke dieses Genres auf den Spielplan gestellt, das nicht nur nach der Uraufführung 1835 einen so großen Erfolg verbuchen konnte, dass es allein an der Pariser Oper die nächsten 60 Jahre über 500 Mal gespielt wurde, und mit der Arie des Juden Éléazar am Ende des vierten Aktes, "Rachel, quand du seigneur", ein Highlight enthält, das zum Standardrepertoire aller namhaften Tenöre gehört. Auch nachdem das Werk zu Beginn der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts allmählich von den Spielplänen verschwand, gehörte es zu den ersten Vertretern dieser Gattung, die, nicht zuletzt durch die Verdienste des Tenors Neil Shicoff, der den Juden Éléazar in zahlreichen Produktionen verkörpert hat, den Weg ins Repertoire zurückfanden. Für Nürnberg hat die Oper ebenfalls eine ganz besondere Bedeutung. Zum einen lebte Halévys Familie in Fürth, bevor sie 1795 nach Paris auswanderte. Zum anderen fand dort am 26. April 1840 die erste Aufführung der Jüdin in deutscher Sprache statt, und das Werk gehörte bis zum 11. Juni 1930 zum Standardrepertoire. Als das Werk dann in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wiederentdeckt wurde, stand es bereits 1994 in einer Inszenierung von John Dew auf dem Spielplan. Gut 20 Jahre später steht nun die nächste Inszenierung in Nürnberg auf dem Spielplan.

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Das Volk (Chor und Extrachor) feiert den Sieg über die aufständischen Hussiten.

Dabei ist das Werk, das während der Zeit der Nationalsozialisten wie alle anderen Werke jüdischer Komponisten von den Spielplänen verbannt worden war, mit Blick auf den Charakter des Juden Éléazar nicht unproblematisch, was die Rückkehr ins Repertoire gerade in Deutschland erschwert haben dürfte. Éléazar hasst die Christen und provoziert sie, indem er beispielsweise am Sonntag in seiner Goldschmiede arbeitet. Sein größter Feind ist der Kardinal Brogni, der einst in Rom dafür verantwortlich war, dass Éléazars Söhne hingerichtet wurden und er selbst in die Verbannung gehen musste. Bei den folgenden Unruhen verlor Brogni bei einem Brand Frau und Kind. Das Kind wurde jedoch von Éléazar gerettet und unter dem Namen Rachel wie eine eigene Tochter aufgezogen. Rachel verliebt sich in den Reichsfürsten Léopold, der sich zunächst als Jude ausgibt. Als er Rachel gesteht, dass er Christ ist, will sie mit ihm fliehen, wird aber von Éléazar überrascht. Dieser ist bereit, die Verbindung zu akzeptieren, wenn Léopold zum jüdischen Glauben konvertiert und Rachel heiratet. Das kann Léopold allerdings nicht, weil er bereits mit der Nichte des Kaisers, Prinzessin Eudoxie, verheiratet ist. Daraufhin klagt Rachel ihn öffentlich an, und Léopold, Rachel und Éléazar droht die Todesstrafe. Eudoxie fleht Rachel an, ihre Aussage zurückzuziehen. Éléazar überlegt, ob er Rachels wahre Identität preisgeben soll, um sie vor der Hinrichtung zu retten. Er zeigt ihr die Möglichkeit auf, zum christlichen Glauben zu konvertieren. Doch Rachel lehnt ab. Sie widerruft ihre Anschuldigung gegenüber Léopold, um den Geliebten zu retten, und geht in den Tod. Erst anschließend verrät Éléazar Brogni, dass er soeben seine eigene Tochter hat hinrichten lassen.

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Rachel (Leah Gordon) liebt den Christen Léopold (Uwe Stickert, rechts), sehr zum Missfallen ihres Vaters Éléazar (Luca Lombardo, links).

Das Regie-Team um Gabriele Rech verlegt die Handlung, die eigentlich zur Zeit des Konzils von Konstanz um 1414 spielt, in die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, ohne dabei einen direkten Bezug zu den Nationalsozialisten zu ziehen. Der Antisemitismus, der das Stück durchzieht, ist wesentlich allgemeiner gehalten und in der dargestellten Art auch zu anderen Zeiten und an anderen Orten zu beobachten gewesen. Ob es dabei nötig ist, im ersten Akt ein Statistenpaar entkleiden und demütigen zu lassen, ist Ansichtssache. Fraglich ist ebenfalls, ob nach Éléazars Fluch im zweiten Akt, vor den Fenstern seines Hauses Menschen mit Fackeln auflaufen müssen, die sein Haus in Brand stecken, was wahrscheinlich an die Reichskristallnacht erinnern soll. Die Kerkerszene im vierten Akt spielt dann augenscheinlich in den Resten des verbrannten Hauses. Für die Hinrichtungsszene im fünften Akt steht dann ein riesiges Becken auf der Bühne, das auch als Taufbecken fungieren könnte. Aus zwei Kannen wird vor der Hinrichtung Wasser in dieses Becken geschüttet. Rachel scheint also die Wahl zu haben, ob sie in diesem Becken getauft werden oder sterben will. Als sie sich weigert, dem Rat ihres Vaters zu folgen und den christlichen Glauben anzunehmen, ertränkt Ruggiero sie in dem Becken. Wenn Éléazar Brogni anschließend gesteht, dass die Tote seine Tochter ist, legt Brogni selbst Hand an und tötet den Juden.

Bild zum Vergr&oumL,ßern

Rachel (Leah Gordon, Mitte sitzend) klagt Léopold (Uwe Stickert, rechts vorne liegend) vor dem Kardinal Brogni (Nicolai Karnolsky, vorne links) an, eine verbotene Beziehung mit ihr zu unterhalten (rechts neben Rachel: Ruggiero (Kay Stiefermann), links von ihr: Albert (Jens Waldig) mit dem Chor).

Dieter Richter kreiert für jeden Akt beeindruckende Bilder, die besonders in den ersten beiden Akten die Christen und Juden als Parallelwelten zeigen. Im ersten Akt prangt über den Stufen, die in die christliche Kirche führen, ein riesiges Kirchenfenster, das den Prunk des christlichen Glaubens, der sich musikalisch auch in den groß angelegten Chorälen ausdrückt, unterstreicht. Dieses Fenster wird im zweiten Akt durch einen großen Judenstern ersetzt, der wie die Musik im zweiten Akt bei der Feier des Pessachfestes schlichter wirkt. Im dritten Akt wirkt die Bühne dann wesentlich tiefer. Ein riesiger weißer Vorhang schirmt Eudoxie in ihrem Palast von der Außenwelt ab. Doch so rein und lieblich, wie Eudoxie sich beim Fest zu Ehren ihres Gatten Léopold gibt, sieht Rech sie keineswegs. So wählt sie für die große Feier nicht eines der zahlreichen weißen Kleider aus, die ihre Dienerinnen ihr anbieten und die von ihr missmutig abgelehnt werden, sondern entscheidet sich für ein dunkelrotes Kleid. Auch wenn die Personenregie in diesem Bild gut nachvollziehbar ist, bleibt fraglich, ob sie mit dieser kühlen Haltung Rachel glaubhaft überreden kann, den Geliebten durch die Widerrufung ihrer Aussage vor der Hinrichtung zu retten. Die Hinrichtungsszene wird dann auf zwei Ebenen konzipiert. Auf der oberen Ebene thronen Eudoxie, Léopold und Brogni mit den Oberen der Stadt, während das einfache Volk unten hinter einer Absperrung Zeuge der Hinrichtung wird.

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Rachel (Leah Gordon, unten Mitte) geht erhobenen Hauptes in den Tod (unten links: Ruggiero (Kay Stiefermann), unten Mitte: Éléazar (Luca Lombardo) mit Statisterie und Chor, oben Mitte: Léopold (Uwe Stickert) und Eudoxie (Banu Böke) mit dem Chor).

Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen. Luca Lombardo, der bereits bei der Aufführung an der Opéra de Nice die Partie des Juden Éléazar verkörpert hat, glänzt auch in Nürnberg mit einem höhensicheren und strahlenden Tenor, der die große Arie zum Ende des vierten Aktes zu einem musikalischen Glanzpunkt des Abends werden lässt. Darstellerisch macht er den Hass, den Éléazar empfindet, nachvollziehbar. Ensemble-Mitglied Leah Gordon begeistert als Rachel mit strahlendem Sopran und leuchtenden Höhen. Bewegend zeichnet sie darstellerisch den Leidensweg der Titelfigur und findet in den Szenen mit Lombardo zu einer bewegenden Innigkeit. Auch Nicolai Karnolsky erweist sich als Kardinal Brogni erneut als sichere Bank in Nürnberg und stattet den Kardinal mit profunden Tiefen aus. Großartig gestaltet er die Milde, die Brogni aufgrund seines schlechten Gewissens gegen Éléazar walten lässt, die dann in Verzweiflung umschlägt, da Éléazar ihn nicht über das Schicksal seiner Tochter aufklären will. Uwe Stickert legt die Partie des Léopold sehr hoch an und stößt mit seinem Tenor dabei stellenweise an seine Grenzen. Glaubhaft spielt er im fünften Akt seine innere Zerrissenheit aus, wenn er von Eudoxie gezwungen wird, bei Rachels Hinrichtung zuzuschauen. Banu Böke präsentiert die Prinzessin Eudoxie mit kräftigem Sopran und sauberen Höhen. Dabei gestaltet sie die Partie darstellerisch etwas distanziert. Kay Stiefermann gibt den Schultheiß Ruggiero, die wohl unsympathischste Figur des Abends, mit kräftigem Bariton und boshaftem Spiel.

Weiterer Höhepunkt des Abends ist der von Tarmo Vaask einstudierte Chor, der um den Extrachor und weitere Chorgäste ergänzt wird. Fulminant überzeugt der Chor bei den Massenszenen im ersten, dritten und fünften Akt stimmlich durch große Homogenität und gewaltigen Klang und schafft auch gerade im ersten Akt bei den etwas einengenden Treppen vor dem Eingang zur Kirche einen gut inszenierten Auf- und Abgang. Die Staatsphilharmonie Nürnberg rundet unter der Leitung des ersten Kapellmeisters den Abend musikalisch mit einem großartigen Klang aus dem Graben ab, so dass es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten gibt. Schade ist nur, dass in der dritten Vorstellung einige Plätze frei geblieben sind, was sicherlich nicht an der Qualität der Aufführung, sondern vielmehr an der zeitgleich stattfindenden Spielwarenmesse gelegen haben mag, die auswärtige Interessenten an diesem Wochenende von einem Besuch mit überteuerten Hotelpreisen abgehalten haben dürfte.

FAZIT

Die Aufführung in Nürnberg überzeugt musikalisch und bleibt szenisch nah am Libretto, auch wenn die Handlung vom 15. Jahrhundert in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts verlegt wird.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Guido Johannes Rumstadt

Inszenierung
Gabriele Rech

Bühne
Dieter Richter

Kostüme
Gabriele Heimann

Licht
Patrick Méeüs
Thomas Schlegel

Chor
Tarmo Vaask

Dramaturgie
Kai Weßler


Chor, Extrachor und Chorgäste
des Staatstheater Nürnberg

Staatsphilharmonie Nürnberg


Solisten

*rezensierte Aufführung

Rachel, Éléazars Tochter
Leah Gordon

Der Jude Éléazar
Luca Lombardo

Léopold, Reichsfürst
Uwe Stickert

Prinzessin Eudoxie, Nichte des Kaisers
Banu Böke

Kardinal Brogni, Präsident des Konzils
Nicolai Karnolsky

Ruggiero, Schultheiß der Stadt Konstanz
Kay Stiefermann

Albert, Feldwebel
Jens Waldig

Ein Offizier des Kaisers
Chool Seomun /
*Emanoel Velozo


Weitere
Informationen

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Staatstheater Nürnberg
(Homepage)



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