Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Ein GlücksfallVon Christoph Wurzel / Fotos: Herwig PrammerDer österreichische Bundespräsident brachte es in einem Grußwort auf den Punkt: „Das Theater an der Wien ist das älteste und zugleich jüngste Opernhaus der Bundeshauptstadt." Eine große Tradition kann das Haus in der Tat aufweisen, seit es 1801 unter der Leitung Emanuel Schikaneders eröffnet wurde; eine Geschichte, die von der Uraufführung von Beethovens Fidelio über das Wirken Johann Nestroys bis hin zur Spielstätte legendärer Aufführungen der 1945 zerstörten Staatsoper reicht. Danach war es hauptsächlich Musical- und Operettenbühne. Seit 10 Jahren allerdings ist das Theater an der Wien erstmals ein eigenständiges Opernhaus mit einem höchst ambitionierten Programm. Seit Januar 2006 hat es hier 100 Operninszenierungen gegeben, die einen eindrucksvollen Querschnitt durch die gesamte Operngeschichte von Monteverdi bis in die Moderne bieten und dabei auch immer wieder kostbare Raritäten ans Bühnenlicht gefördert haben. Beziehungsreich waren denn auch die Produktionen im Jubiläumsmonat Januar 2016 gewählt: Beethovens Fidelio als Reverenz vor dessen Uraufführung an diesem Ort, Mozarts Idomeneo, mit dem das Haus in neuer Widmung vor 10 Jahren startete und Brecht/Weills Dreigroschenoper als einem der Meilensteine der modernen Oper. René Jacobs leitet am 22. Januar 2016 Mozarts Idomeneo. René Jacobs schätzt das Theater an der Wien wegen seiner „menschlichen Dimensionen“ mit rund 1200 Plätzen. Und er liebt Mozarts Oper Idomeneo, die er für seine „musikalisch reichste“ hält. Mit dem Freiburger Barockorchester verbindet ihn eine jahrelange fruchtbare künstlerische Zusammenarbeit. Auch mit einigen dieser Sängerinnen und Sängern hat der Dirigent bereits erfolgreich konzertiert. Diese Konstellationen haben sich nun glücklich zusammengefügt und eine faszinierende Aufführung von Mozarts Sturm- und Drang - Oper im Rahmen des Jubiläumszyklus ergeben. Kostbar war diese Aufführung zudem, weil sie einmalig war. Daher wurde sie „nur“ konzertant gegeben, aber wie heute vielfach üblich in einer angedeuteten Szenerie. Es gab ein Bühnenbild, das den tragischen Charakter der Oper betonte. Wie ein Kollektiv aus dem antiken Theater hatte der Wiener Arnold Schönberg Chor vor zwei betongrauen Wänden Platz genommen, die an Gefängnismauern mit kleinen Fensterluken erinnerten. Die Sängerinnen und Sänger agierten ihre Rollen aus und verdeutlichten gestisch und mimisch die gegebenen Situationen. Das Dramma per musica in der Szenerie einer antiken Tragödie: Arbace (Julien Behr), Gran Sacerdote (Nicolas Rivenq), Ilia (Sophie Karthäuser), Jeremy Ovenden (Idomeneo) und Idamante (Gaëlle Arquez) mit dem Arnold Schönberg Chor Ohne psychologisierendes oder aktualisierendes Konzept kam der Kern der Oper umso deutlicher zum Vorschein und konnte sich die Kraft dieses Werks mit wahrlich kathartischer Wirkung entfalten. Jacobs beglaubigte seine Auffassung der Oper aufs deutlichste: Mozart zeigt in Idomeneo seinen musikalischen Erfindungsreichtum auf höchstem Niveau. Zwei Tage nach seinem 25. Geburtstag wurde die Oper in München uraufgeführt und doch zeugt sie von der Reife eines kompositorischen Genies, die schier unbegreiflich ist. Aus einer Tragödie von archaischer Gewalt, noch im Gewand der spätbarocken opera seria, erwächst ein Personendrama mit der Leuchtkraft der Aufklärung. Mozart tritt hier als vollendeter Musikdramatiker hervor. Ohne Inszenierung, allein durch die Musik lieferte diese Aufführung dafür den eindrucksvollsten Beweis. Das Freiburger Barockorchester gestaltete ein Klangbild von äußerster Differenziertheit, so farbenreich wie plastisch. Bereits die Ouvertüre ließ in untergründigen Pauken und düsterem Blech die tragische Tiefe der Handlung voraus ahnen. Klangrede in höchster Vollendung zog sich durch die gesamte Aufführung. Jeremy Ovenden als Idomeneo Starke, große Stimmen eines jungen Ensembles unterstützten die großartige Wirkung der Aufführung. Als Idomeneo brachte Jeremy Ovenden für die koloraturgespickten Arien eine brillante stimmliche Flexibilität mit und eine leicht ansprechende Höhe. Sophie Karthäusers Ilia strahlte in reinem, lyrischen Sopranklang (in der Liebesarie "Zeffiretti lusinghieri" zu Beginn des 3. Aktes), spannte aber ebenso überzeugend in ihrem Auftrittsrezitativ und der anschließenden Arie "Padre, germani, addio" gleich am Anfang der Oper einen großen dramatischen Bogen. Überhaupt legte Jacobs immer wieder intensive agogische Akzente in die Rezitative, in denen besonders das Continuocello zur Stimme der innersten Gefühle der Figuren wurde. Und in den Accompagnato-Rezitativen entfaltete das Orchester alle dramatische Gewalt bis hin zur Sturm- und Donnermusik zu Ende des 2. Akts. Sophie Karthäuser als Ilia und Gaëlle Arquez als Idamante Gaëlle Arquez zeigte einen Idamante, der längst aus der Rolle des Prinzen herausgewachsen ist und verdeutlichte stimmlich und darstellerisch bereits dessen Anrecht auf künftigen Primat. Mit beeindruckender Bühnenpräsenz und glänzender Stimmkraft gab die Sängerin dieser Rolle überragendes Format. Schließlich Elettra, Inbegriff tragischer Verstickung und bis zur Hysterie reichender Gefühlsausbrüche: eine Partie, die der Sängerin allerhöchste Agilität, perfekte Sicherheit und technische Präzision abverlangt, jagt Mozart sie doch zwischen Wut, Verzweiflung und Rache durch alle Höhen und Tiefen stimmlicher Anforderungen. Alex Penda blieb dieser Rolle nichts schuldig. Gerade in der letzten Arie "D'Oreste, d'Aiace ho in seno i tormenti", einem fast atemlos herausgeschleuderten einzigen Wutausbruch, riss sie das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Alex Panda als Elettra Nicht zuletzt ist Idomeneo auch eine große Choroper und erfordert einen wandlungsfähigen Chor, der Volkes Stimme in unterschiedlichen Stimmungen Ausdruck verleiht. Der Wiener Arnold Schönberg Chor war dafür ein eindrucksvoller Repräsentant. Als unerbittlich mahnender Oberpriester war Nicolas Rivenq mit scharfer, kalter Stimmgebung prägnant, Christoph Seidl war die Erfurcht gebietende Stimme von oben und als intensiv mitfühlender Arbace bewältigte Julien Behr seine Partie mit den beiden Arien überaus achtbar.
Vielleicht gerade durch diese
Form der Präsentation hat das Theater an der Wien Mozarts Idomeneo den schönsten Dienst
erwiesen und seine Geltung als dessen erstes Meisterwerk am schönsten
unter Beweis gestellt. Auf der musikalischen Seite hat dies ohnehin
René Jacobs mit diesem großartigen Ensemble getan. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Choreinstudierung Solisten
Idomeneo
|
- Fine -