Theater an der Wien: „Die Dreigroschenoper“ als nette Operette

Tapfer gesungen unter Profisängern: Tobias Moretti als Macheath, hier mit Nina Bernsteiner als Polly.
Tapfer gesungen unter Profisängern: Tobias Moretti als Macheath, hier mit Nina Bernsteiner als Polly.(c) APA
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Keith Warner inszeniert das aufrührende „Stück mit Musik“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill viel zu brav, streckenweise wird es sogar fad. Das können auch die beherzten Auftritte einiger Darsteller nicht ausgleichen.

Die Ouvertüre ist flott verklungen, die Absicht wurde verkündet, eine Bettleroper zu spielen, da tritt Macheath, genannt Mackie Messer (Tobias Moretti), in leuchtend hellem, elegantem Outfit von links auf die Bühne des Theaters an der Wien. Er beginnt seine Moritat zu singen, während er den glänzenden Vorhang wieder zuzieht. Kaum ist der berüchtigte Londoner Verbrecher rechts an der Rampe verschwunden, greifen links Hände nach dem Vorhang und ziehen ihn wieder weg. Nach und nach erscheinen nun auf solche Weise die weiteren Protagonisten dieses inzwischen 87 Jahre alten „Stücks mit Musik“ (Text: Bertolt Brecht, Musik: Kurt Weill). Während die Darsteller die Bühne wieder enthüllen, singen sie die weiteren Strophen vom Haifisch mit den Zähnen und Mackie mit dem Messer.

Bereits jetzt ahnt man bei der Premiere am Mittwoch im direkten Vergleich: Moretti, der glänzende Schauspieler, wird sich trotz Mikroports schwer dabei tun, im Gesang neben den Berufssängern zu bestehen. Tapfer schafft er es aber, dem Abend eine eigene, aparte musikalische Note zu geben, selbst bei hohem Tempo. Was sich leider auch herausstellt: Die Sänger können bis auf eine Ausnahme mit seinen darstellerischen Fähigkeiten bei Weitem nicht mithalten. Es ergibt sich eine störende Diskrepanz. Die Inszenierung Keith Warners, mit der auch zehn höchst erfolgreiche Jahre dieses Opernhauses unter der Intendanz Roland Geyers gefeiert werden, zählt nicht zu dessen besseren.

Ein Käfig voller Lust und Leid

Manchmal scheint es fast, als ob sich die Regie über mangelnde mimische und gestische Ausdrucksmöglichkeiten von Opernsängern lustig machen wollte. Aber das ist sicher nicht ihre Absicht, denn die Inszenierung hat auch eine weitere gravierende Schwäche: Sie ist viel zu brav, streckenweise sogar fad geraten. „Die Dreigroschenoper“ lebt von der souveränen Beherrschung wild divergierender musikalischer Stilmittel, wie auch textlich von ihrem drastisch-dreisten Zynismus. Das Klangforum Wien unter der musikalischen Leitung von Johannes Kalitzke spielt zwar technisch hervorragend, aber zu wenig frech. Am ehesten entspricht dem Sound von Brecht und Weill der Arnold Schoenberg Chor unter der Leitung von Erwin Ortner.

Zum Schauspiel: Die Aufführung entwickelt sich trotz düsteren, mit Metall, Treppen, Lumpen und allerlei Zeug nicht geizenden Bühnenbilds von Boris Kudlička zur netten Operette. Ausgenommen von dieser Tendenz sind Moretti sowie die beherzt spielende, geläufig singende Angelika Kirchschlager als Frau Peachum. Londons Halbwelt, irgendwo, irgendwann in früher Nachkriegszeit, wirkt vor allem in der Gruppe als harmloser Schwank, als Karikatur des Bösen. Macheaths Widersacher Peachum wird vom stimmlich überzeugenden Florian Boesch nicht als gnadenloser Bettlerboss, sondern als gemütlich-schmieriges (im Sprechen schwer verständliches) Faktotum gegeben. Da hat Kirchschlager als dessen Frau mit steilen Frisuren und absurdem Outfit mehr Biss. Viel zu dezent hingegen ist hier die Königin der Verruchtheit: Anne Sofie von Otter schreitet als Spelunken-Jenny durch das Stück wie eine Salondame. Das dürfte vor allem an der Inszenierung liegen. Denn selbst Moretti, der durchaus zur Darstellung von Brutalität fähig wäre, fehlt hier die Gefährlichkeit eines mörderischen Bandenchefs, die unter den rhetorischen Ablenkungsmanövern durchschimmern sollte.

Dieser Haifisch ist kein Räuber, sondern, wiewohl Verführer, Objekt zielgerichteter Frauen. Mac ist nicht das Messer, und die Heimtücke sieht man nicht. Er ist ein Opfer. Das deutet sich an, als er Polly (Nina Bernsteiner), Tochter der Peachums, ohne Wissen ihrer Eltern heiratet, und ihm seine armselige Truppe die Aufwartung macht. Der Eindruck verstärkt sich, wenn er im Bordell, wo er später auf Druck der Peachums verhaftet wird, freiwillig einen engen Sadomaso-Käfig betritt. Der mutiert schließlich zur Zelle in Old Bailey. Dort wartet der Gangster geduldig leidend darauf, gehenkt zu werden.

Herrlich barocker Zickenkrieg

Sein alter Freund Brown ist ebenfalls eine recht passive Gestalt, ein Stichwortgeber: Markus Butter lässt als dieser Polizeichef sogar das joviale Gehabe der Korruption vermissen. Kanonen sind für ihn eine Fleißaufgabe für Gesangsstunden. Wenigstens gelingt ihm in der Doppelrolle als Reitender Bote (in Gestalt der Königin), die Macheath am Ende begnadigt, ein Schuss Zynismus. Auch die beiden jungen Damen, die sich um Macheath bemühen, haben neben einigen langatmigen Auftritten durchaus feine Momente, zum Beispiel Pollys lustvoll und raffiniert vorgetragenes Lied von der Seeräuber-Jenny. Ein Höhepunkt ist der Streit zwischen ihr und Lucy (Gan-ya Ben-Gur Akselrod), der Tochter von Brown. Erst haben sie ihren Lebensabschnittspartner im Käfig ein wenig gequält, dann wird der Zweikampf der Ladys körperlich. Dazu werden sie opernhaft aufgezwirbelt. Sie kämpfen im Duett und reißen sich dabei barocke Kostüme vom Leib. Am Ende fliegen auch die hohen Perücken vom Kopf. Das ist ein wunderbarer Einfall der Dekonstruktion, mit souveränem Gesang, so prunkvoll, wie ihn sich die armen Liebhaber dieses genialen Stückwerks von Weill und Brecht nur erträumen können.

Termine: 16., 18., 20., 23., 25., 28. und 30. Jänner.Übertragung im Fernsehen: 23. Jänner in ORF2 (22 Uhr) und 31. Jänner in ORF III (20.15 Uhr).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2016)

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