„Xerse“: Zu Unrecht im Schatten

(C) Emmanuelle Haïm/ Wikipedia/ Mrug
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Aufregend und schön: Emmanuelle Haïm belebte Cavallis „Xerse“ im Theater an der Wien.

Schon während der ersten Takte spürte man: Das kann ein großer Abend werden. Es brauchte nur ein paar Töne, und schon hatte einen die französische Barock-Spezialistin Emmanuelle Haïm mit ihrem wunderbaren Ensemble Le concert d'astrée ganz und gar hineingezogen in die aufregende Partitur von Francesco Cavallis „Xerse“.

Im Vergleich zu Händels 80 Jahre jüngerer Vertonung des Stoffes führt die des Venezianers Cavalli (1654) ein Schattendasein. Zu Unrecht, und Haïm, die damit endlich ihr Debüt im Theater an der Wien feiern konnte, ist die ideale Interpretin, das zu beweisen. Allein die Farbschattierungen, die an diesem Abend hörbar wurden, waren enorm: Bei den Streichern dominierten die tiefen Register (nur zwei Geigen!), zusammen mit zwei Zinken, zwei Flöten, und einem breit gefächerten Continuo ergaben sich reizvolle Kombinationen, mit denen die Dirigentin raffiniert jonglierte. Vor allem aber schrumpfte sie die Distanz zwischen Vokal und Instrumental gen null: Ihre Musiker phrasieren so beredt, als handle es sich um menschliche Stimmen.

Bei den „echten“ Stimmen stach vor allem Emöke Barath hervor: Ihr feiner, warmer Sopran passte ideal zu den Kostbarkeiten, die Cavalli der Romilda in die Partitur schrieb. Betörend mischte sich ihre Stimme mit der ihres Geliebten Arsamene (Tim Mead, der die Parade junger, stimmstarker Countertenöre im Theater an der Wien fortsetzte). Ugo Guagliardo in der Titelpartie hatte da einen schweren Stand, zumal sich sein Bass zwar recht agil, dafür aber eher eindimensional und wenig wandlungsfähig präsentierte.

Offiziell lief „Xerse“ in der Reihe „Oper konzertant“, doch das war nur die halbe Wahrheit: Da die Produktion aus einer Inszenierung an der Opéra Lille hervorging, fand auch diese Fassung ohne Pulte statt und von der Personenführung so vollständig wie eindringlich durchgestaltet. Die Bühne war leer, und doch fehlte nichts für einen tatsächlich bemerkenswerten und beglückenden Opernabend. (hd)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2015)

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