"Der Mann von La Mancha": Die Volksoper träumt den unmöglichen Traum

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Direktor Robert Meyer ist der neue, auch sängerisch wackere Ritter von der traurigen Gestalt. Regisseur Olivier Tambosi vertraut zu Recht auf die Kraft der Fantasie und verzichtet auf Musical-Opulenz.

Wie ein riesiger Stachel senkt sich die Metalltreppe aus dem schwarzen Nichts in den Kerker herab, der auf einer Schräge über den Orchestergraben hinweg bis direkt zur ersten Reihe reicht. Aus dem Off vertritt die Stimme von Peter Matić eine ungreifbare, bedrohliche Obrigkeit. Die lebenden Leichen im Keller der Inquisition, sie vegetieren zwischen allerlei mobilen Metallkisten, stecken in Unterleiberln und Gefängnisoveralls, tragen Häfenpeckerln auf den nackten Oberarmen – und haben einen Neuzugang zu verzeichnen. Rasch sind die Habseligkeiten des Fremden und seines Dieners geplündert. Aber kann er sich vor einem Gefangenentribunal verteidigen, darf er sie vielleicht behalten, einen besonderen Packen Papier inklusive. Es ist das Manuskript des „Don Quixote“. . .

Soll uns die Kunst die Welt so vor Augen führen, wie sie wirklich ist? Oder so, wie sie sein sollte? Für Friedrich Nietzsche war der Fall klar: „An einem Philosophen ist es eine Nichtswürdigkeit zu sagen: das Gute und das Schöne sind Eins: fügt er gar noch hinzu ,auch das Wahre‘, so soll man ihn prügeln. Die Wahrheit ist häßlich: wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zu Grunde gehn“, schrieb er 1888 in grimmiger Gewissheit.

Das Musical und die hässliche Wahrheit

Zu den eindrucksvollsten Plädoyers für seine Ansicht zählt jedenfalls auf der Musicalbühne „Der Mann von La Mancha“ von Dale Wasserman und dem Komponisten Mitch Leigh: Seit seiner Broadway-Premiere vor 50 Jahren zählt dieses Lob auf die Fantasie und die visionäre, Leben und Würde spendende Kraft des Theaters zu den erfolgreichsten und poetischsten Werken des Genres. Cervantes persönlich also schlüpft in die Rolle des Ritters von der traurigen Gestalt und spielt mit den anderen Gefangenen, die bald in ihren Rollen aufgehen, Szenen aus dem Roman.

Don Quixote, der idealistische Narr, ist ein Philosoph, wie Nietzsche ihn prügeln lassen wollte. Ja, Prügel bezieht er zuhauf, aber er biegt sich Banalitäten wie Schrecknisse des Lebens unerschütterlich zum Guten, Schönen und Wahren zurecht. Und durch sein jämmerliches Streben dürfen wir zugleich mit ihm über uns hinauswachsen.

Schon 1968 wurde das im Theater an der Wien zu einer Paraderolle von Josef Meinrad; 1994 wagte die Volksoper eine Neuinszenierung, bei der Robert Meyer an der Seite von Karlheinz Hackl den Sancho Pansa gab.

Nun hat sich der Volksoperndirektor selbst als Ritter besetzt. Wie füllt Meyer die Rüstung aus? An metaphorischer Größe fehlt es zum inneren Gardemaß eines Meinrad: Über dessen zu vermeintlicher Robustheit aufgeplusterte, jedoch fragile und deshalb unmittelbar in die Seele treffende Herzenstöne verfügt er nicht. Aber Meyer spielt und singt mit ehrlicher, flammender Hingabe, ja sogar vokalem Feinsinn – und als Charakterdarsteller weiß auch er, dass die Komik der Figur ganz aus Ernst erwachsen muss. Klug, wie Meyer sich in den berühmten „Unmöglichen Traum“ zuerst noch sprechend hineinschleicht, äußeres Pathos vermeidet, aber sehr wohl innere Ergriffenheit zeigt und erzielt. Man kann also getrost mit Sancho Pansa sagen: Ich mag ihn.

Beim Sancho selbst fällt das nicht so leicht. Boris Pfeifer stattet ihn mit routinierter, etwas greller Musicalkomödiantik und -stimme aus, die zwar am Standesunterschied zwischen Herr und Diener keinen Zweifel lässt, aber darüber hinaus wenig Zwischentöne kennt: So flach ist der Charakter keineswegs. Patricia Nessy dagegen kann die Wandlung der zutiefst verletzten, misshandelten, missbrauchten Aldonza zur angebeteten, edlen Dulcinea auch dadurch untermauern, dass sie von handfester Musical-Derbheit in wenn auch unruhigen, aber zarten Operngesang überzuleiten versteht.

Regisseur Olivier Tambosi und Ausstatter Friedrich Despalmes haben recht: Das Stück, schon von den Autoren als das blanke Gegenteil eines herkömmlichen Broadway-Ausstattungsstücks konzipiert, braucht keine Opulenz, um seinen Zauber zu entfalten: Ihre Beschränkung untermauert sogar die im Stück gefeierte Kraft der Fantasie – und alle absichtlichen (oder zufälligen) gesanglichen und choreografischen kleinen Unzulänglichkeiten im braven Ensemble machen das Spiel im Spiel nur glaubwürdiger. Ein Gitarrist auf der Bühne, Mikroports für die Sänger und das kleine Orchester, das unter Lorenz C. Aichner hinter der Szenerie die filmmusikalischen Hintergründe, spanischen Rhythmen und hymnischen Aufschwünge geschmeidig beisteuert, ergeben zudem ein ausgewogenes Klangbild: Grund genug für einhelligen Jubel.

„Der Mann von La Mancha“ läuft noch bis 6. 12., dann wieder im März und April 2016: www.volksoper.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2015)

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