Nachdem die holde Poppea (Alex Penda) beseitigt wurde, geht Nerone (Valer Sabadus) an die Vollendung seines mörderischen Werks. Amore (Jake Arditti) sieht da eher hilflos zu.

Foto: Rittershaus

Wien – Die Welt ist bei weitem nicht genug: Nerone muss auch im privaten Einflussrevier alle Aspekte seines sprunghaften Charakters als Folterwerkzeug einsetzen. Da ist vom zärtlichen Turteln in der Horizontalen zum Würgen der holden Poppea, die es auf den Machtplatz neben dem Seltsamen abgesehen hat, nur ein Schrittchen. Da ist von der Trauer eines Diktators um seinen einstigen Pädagogen Seneca (profund Franz-Josef Selig), der sich gerade mit dem Tod vermählt hat, nur ein winziger Schritt zum makabren Tänzchen um den in der Wanne leblos Liegenden.

Das ganze kaiserliche Wüten und Toben ist im Theater an der Wien allerdings nicht etwa in eine Gruft eingefasst, wie es die letalen Vorgänge möglicherweise nahelegen würden. Es herrscht räumlich zunächst eher Showtime! Regisseur Claus Guth lässt in einem Mix aus Quiz- und Talkshow (samt Backstagebereich; Bühnenbild Christian Schmidt) die aparten Damen Schicksal (Frederikke Kampmann) und Tugend (Natalis Kawalek) links und rechts von Amore (solide Jake Arditti) Platz nehmen.

Letzterer, der Verwalter des Begehrens, dominiert, ist im Wettstreit der Werte das schließlich alles okkupierende destruktive Element. Guth hat in ihm auch jene Figur gefunden, mit der er Szenen elegant bewegt und belebt.

Große Fallhöhe

Zugleich allerdings hat der Regisseur die in Claudio Monteverdis L'incoronazione di Poppea waltenden Ausdrucks- und Atmosphärenkontraste wie auch die Figurenvielfalt nicht einfach weggepackt. Vielmehr, ein bisschen ungewohnt für Guth, lässt er nebst Tragik auch slapstickartige Travestie zum Zug kommen. Es erstrahlen dann humorige Soloszenen, in denen sich etwa José Manuel Zapata (unterhaltsam als Poppeas alte Amme Arnalta) mit herzhaftem Falschgesang in Szene setzt.

Mit solch Käfig voller Narren-Einlagen wird die Fallhöhe zum Ernsten, Tragischen allerdings nur noch höher. Wobei die Heftigkeit der Kontraste auch durch zeitgenössische Musikmittel befeuert wird, die zwischen dem frühbarocken Zauber zum Einsatz kommen: Elektronisch verzerrte Klänge und harmonische freitonale Kühnheiten verwandelt das mitunter grell strahlende Humorambiente in ein Gruselkabinett der Gefühle.

Guth hat im vorigen Sommer bei den Salzburger Festspielen Beethovens Fidelio ähnliche Kontrastmomente eingebaut, ohne jedoch besonderen Mehrwert zu generieren. Hier wirkt der Zwischeneinsatz der Moderne stringenter, da eleganter verzahnt mit der Handlung, wodurch sich keine Bremseffekte einstellen. Zudem ist Guth immer ein subtiler Choreograf szenischer Gesten.

Kein Oberflächenmonster

So ist in diesem von Dirigent Jean-Christophe Spinosi eingerichteten, mitunter opulenten Musikkosmos, den das Ensemble Matheus facettenreich umsetzt, Nerone nicht das plakativ bedrohlich wirkende Monster. Valer Sabadus gibt eher den subtilen Sadisten, den eitlen Übersensiblen, der schließlich auch Amor entgleitet und nach dem Pistolenmord an Poppea sich selbst beseitigt, während die Akkorde aus dem Graben im Rhythmus eines immer schwächer werdenden Herzens pochen.

Wie Sabadus leidet auch Alex Penda (als Poppea) öfters an Intonationsproblemen (insgesamt ein kollektives Problem des Abends), selten fügen sich die Stimmen zu wirklich ungestörter Vokalpracht. Sattelfester Christophe Dumaux (als Ottone) und Sabina Puertolas (als Drusilla), immerhin darstellerisch imposant Jennifer Larmore (als Nerones dem Alkohol zugetane Gattin Ottavia) und robust Marcel Beekman (als Nutrice).

In Summe ein recht kühner, da auch im Musikalischen mitgestaltender Ansatz, der bei Werkvorlagen mit reichem Interpretationsspielraum durchaus seine Reize hat. Folgerichtig gab es im Theater an der Wien nach fast vier Stunden reichlich Buhs, schließlich aber auch einen Wettstreit zwischen Begeisterung und Ablehnung des Experiments, was ein Hinweis auf die erfrischende Sinnhaftigkeit des Vorhabens zu werten ist. (Ljubiša Tošić, 14.10.2015)