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Wagners „Götterdämmerung“ in Nürnberg: Wir schmeißen uns ran

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Politkabarett mit Siegfried (Vincent Wolfsteiner) und den Rheintöchtern (v.li.: Ida Aldrian, Michaela Maria Mayer und Solgerd Isalv). foto: ludwig olah
Politkabarett mit Siegfried (Vincent Wolfsteiner) und den Rheintöchtern (v.li.: Ida Aldrian, Michaela Maria Mayer und Solgerd Isalv). foto: ludwig olah © -

Nürnberg - Die Inszenierung von Richard Wagners "Götterdämmerung" am Staatstheater Nürnberg ist ein Ärgernis - und ein Musterbeispiel. Die Kritik.

Gut vorstellbar, dass der Mann mit Checkliste arbeitet. Und abgehakt werden alle Zutaten aus dem Rezeptbuch des Modernismus: Video-Projektion (hier ein Killerspiel), Öko-Kritik (das keimfreie Haus der Gibichungen-Schickis auf einer Müllhalde), Weltpolitisches (die CNN-Nachrichten auf dem Pausenvorhang), sogar Internet (twittern während Brünnhildes Finalmonologs). Und spätestens, wenn im zweiten Akt Menschen mutmaßlich afrikanischer Herkunft ein Flüchtlingsschlauchboot hereinschleppen und geschlagen werden, dämmert es einem: All dies erfüllt nicht den Tatbestand eines schlüssigen Regie-Konzepts, sondern den des Missbrauchs aktueller Bilder und Schicksale. Wie es eben aussieht, wenn jemand in die große „Tagesschau“-Kiste greift und als Mahner posiert.

Von daher ist diese Nürnberger „Götterdämmerung“, mit der sich der „Ring“ von Regisseur Georg Schmiedleitner, Stefan Brandtmayr (Bühne) und Alfred Mayerhofer (Kostüme) gerade nicht rundet, ein Ärgernis – und ein Musterfall. Wagners Mythos behandelt gewiss die brennenden Fragen unseres Menschseins. Doch beim Herunterbrechen auf die Alltagsgegenwart passiert ja das immer Gleiche: Das Stück wird klein, berechenbar. Und das Mittel dafür ist weniger Schäkern mit einem „heutigen“ Publikum, ein augenzwinkerndes Einverständnis – sondern Heranschmeiße.

Dabei ist das Weltuntergangsepos à la Nürnberg durchaus kurzweilig geraten. Viel gibt es zu schauen, beginnend mit den Nornen, die von hinten durchs Parkett nach vorne klettern und dabei kein Seil, sondern Tonbänder entwickeln. Gelacht werden darf viel. Am meisten über Siegfried, bei Vincent Wolfsteiner eine Mixtur aus Seppl-Erpel in Lederhosn und später feistem Springball im Anzug, dem nur eine geheimnisvolle Szene gegönnt ist: wenn der gefällte Held zum Trauermarsch aufsteht, um minutenlang und blutüberströmt ins Parkett zu blicken. Ein surrealer Moment, der diese „Götterdämmerung“ (leider nur kurz) aus den Niederungen des Politkabaretts erhebt. Um einen solchen properen, lustigen Kerl hätte Wagner nie ein 15-stündiges Drama gestrickt.

Wolfsteiner ist auch der stärkste Solist nicht nur dieses Abends, sondern des gesamten Nürnberger „Rings“, mit seiner Darstellungslust und seinem nimmermüden Prachttenor. Jedes Haus weltweit wäre froh über diesen großartigen Siegfried. Ansonsten wird es schwierig und bemüht, wenn man zwar hochrespektable, aber nicht ganz rollendeckende Sänger im Ensemble hat (Jochen Kupfer als Gunther, Woong-Jo Choi als Hagen, Ekaterina Godovanets als Gutrune) oder eine Brünnhilde (Rachael Tovey), der nicht alle geforderten Töne zur Verfügung stehen.

Nach einem in vielen Momenten starken „Siegfried“ enttäuscht Marcus Bosch. Der Nürnberger Generalmusikdirektor steuert das Ensemble zwar souverän und hat sich viele Gedanken über Details gemacht. Die streckt er einem allerdings oft aufdringlich entgegen. Ein rustikales, robustes, grobmotorisches Muskelspiel ist die Folge. Wo Wagner auf Überwältigung setzt, zielt Bosch aufs Ohrenbetäubende. Die Staatsphilharmonie schlägt sich wacker. Was allerdings fehlt, ist eine Rundung des Klangs, eine Raffinesse, die sicher in der Nürnberger Akustik schwer herstellbar ist. Gerade ein hier regelmäßig tätiger Orchestererzieher sollte jedoch zu anderen Ergebnissen kommen.

Dass der Weltenbrand am Ende ausfällt, macht nichts, davon sagt die Musik genug. Dass allerdings Brünnhilde und die Rheintöchter am Tisch sitzen, gemeinsam Gutmenschen-Tweets in die Welt schicken und von einem BR-Team gefilmt werden, gibt das Opus der Belanglosigkeit preis. Immerhin: Die Internet-Aktivitäten sind tatsächlich live. Wer also beherzt ins Finale des Nürnberger „Rings“ eingreifen will: einfach mit #GötterdämmNBG reagieren.

Nächste Aufführungen 18. und 25. Oktober sowie 1. und 29. November; Telefon 01805/ 23 16 00.

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