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Aber so was von schuldig

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Nich einmal in den eigenen vier Wänden sicher: Peter Grimes (Will Hartmann).
Nich einmal in den eigenen vier Wänden sicher: Peter Grimes (Will Hartmann). © Landsberg

Bremen - Von Mareike Bannasch. Es ist nicht leicht, Peter Grimes zu sein. Als Fischer eher mäßig erfolgreich, in der Liebe unbeholfen und selbst im Dorf, da taugt der Außenseiter höchstens zum Witz der Woche. Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, ist nun auch sein Lehrjunge gestorben. Verdurstet, auf der Suche nach dem großem Fang. Jenem Fang, der alles besser machen wird, der Peter Grimes Frau, Ansehen und Reichtum bringen soll. Eigentlich.

Denn nun ist da dieser tote Junge, und alles ist anders. Ein Unglück war es, das ihn umbrachte. Es war einfach nicht genug Trinkwasser da, draußen auf hoher See. Sagt jedenfalls Grimes. Es versteht sich von selbst, dass das unten im Dorf so niemand richtig glauben mag. War dieser einsilbige Fischer nicht schon immer merkwürdig? Wie er im blauen Spießer-Pulli und Stoffhose so allein in seinem Häuschen lebt? Mit dem stimmt doch was nicht, so einer muss doch schuldig sein. Und trotzdem wird er freigesprochen, im Zweifel für den Angeklagten, Sie wissen schon.

Für Peter Grimes, Held der gleichnamigen Oper von Benjamin Britten, könnte dies am Samstagabend im Theater Bremen der Moment der Befreiung sein, ein Weg zurück in die Mitte des Dorfes. Stattdessen ist es der Beginn einer unendlich verzweifelten Suche, die in der denkbar größten Tragödie endet – und in einem ebenso grandiosen Start in die Musiktheaterspielzeit.

Regie führt an diesem Abend Marco Stormann. Er inszeniert zum ersten Mal am Theater Bremen und bringt Peter Grimes als einen hochsensiblen Peter-Pan-Verschnitt auf die Bühne, der es allen mal so richtig zeigen will. Heute mögen sie noch lachen, aber schon morgen wird er alles haben: Reichtum, Erfolg und natürlich Ellen, Lehrerin und Frau seiner Träume. Allerdings, ohne den Preis dafür zu zahlen: Erwachsen werden sollen bitteschön die anderen.

Es ist erdrückend, Gastsänger Will Hartmann als Fischer Grimes dabei zuzusehen, wie er sich bemüht, die Codes der Gesellschaft zu bedienen, obwohl er sie nicht versteht. Er strampelt sich ab, immer getrieben von der Sehnsucht nach Anerkennung und dem Gefühl, einfach irgendwo dazuzugehören. Klar, dass das nicht klappen kann: Er schafft es einfach nicht, so zu sein wie der Rest, und wenn er ehrlich zu sich ist, will er das auch gar nicht. Zu sehr widern sie ihn an, diese schmierigen Gestalten, die jeden Tag schuften, um ihre erbärmliche Existenz aufrechtzuerhalten. Um ihr Leben im Strom der Gezeiten überhaupt aushalten zu können, flüchten sie sich in die Arme des Alkohols, suchen mit den Mittelchen des Apothekers Ned Keene (herrlich schmierig: Jason Cox) das Vergessen oder schieben eine schnelle Nummer mit einer der Nichten. Auf den merkwürdigen Fischer haben sie sich alle eingeschossen: In ihrem Hass vereint rotten sich die ausgezehrten Dorfbewohner zusammen – während sie weiter unbeirrt durch ihre erbärmliche Existenz platschen.

Doch wo bleibt Grimes bei alledem? Der hat sich in sein Haus auf dem Wasser zurückgezogen (Bühne: Anna Rudolph, Dominik Steinmann). Umgeben von schwarzen Wogen steht es da, einfach und sporadisch, und doch mit viel Raum für die geschüttelte Seele. Hier findet er Ruhe und kann mit gefühlvollem Tenor seinen Träumen nachhängen, immer umgeben von vier jungen Peters: Spiegelbilder seiner Seele, die versuchen, ihn vor allem Bösen zu schützen. Allerdings bleibt die Hütte nicht lange ungestörter Rückzugsort, nach und nach kriechen Grimes‘ Ängste durch Fenster und Türen, hangeln sich die Treppen hoch und lassen der empfindlichen Seele kaum noch Platz zum Atmen – während draußen die uniformen Aliens des Dorfes in schwarzen Gummistiefeln ihre Kreise ziehen. Dabei kommen sie immer näher und versetzen Peter Grimes in Angst und Schrecken.

Auch dem Publikum wird ganz anders, wenn sich der an diesem Abend fulminant aufgelegte Chor ins dröhnende Wüten steigert und gegen den Außenseiter in seiner Mitte loslegt. Mit donnernden Stimmen dringen sie in Grimes' Seelenräume ein und verkünden ihr vernichtendes Urteil: Peter Grimes ist schuldig. Aber so was von schuldig.

Ausgemergelt und im wasserstoffblonden Einheitslook (Kostüme: Sarah Schwartz) haben die Menschen aus dem Fischerdorf etwas von einer fremdgesteuerten Armee, mit der man auf gar keinen Fall zu tun haben möchte. Genauso wenig wie mit den anderen schillernden Charakteren des ach so glücklichen Kaffs, die in riesigen Anzügen, schillernder Ballonseide und Gummistiefeln mit Plateausohle ein unfreiwillig komisches Bild abgeben. Eine Ansammlung von Witzfiguren, in der nur Kapitän Balstrode (Loren Lang als Ratgeber mit einem leicht irren Touch) und natürlich Ellen so etwas wie Nähe zulassen. Patricia Andress fungiert hier als Puffer zwischen dem Ausgegrenzten und seinen Verfolgern, deren Sopran es jedoch ein ums andere Mal schwer hat, gegen die Gewalt des Orchesters zu bestehen.

Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Markus Poschner toben die Streicher als tosender Wellenkamm über die stürmische See, immer wieder durchbrochen von der krachenden Brandung aus dem Blechregister. Das Meer der Bremer Philharmoniker ist eine zerstörerische Naturgewalt. Und doch sind es gerade diese fein dosierten Momente völliger Stille, die nachhaltig wirken. So auch zum Ende des dritten Aktes, als Peter Grimes erkennt, dass es für seinen ausweglosen Kampf nur ein Finale geben kann. Vor dem Hintergrund seines brennenden Seelenhauses verabschiedet sich Will Hartmann, nur ab und zu unterbrochen von einem Nebelhorn, im totenstillen Saal mit fast schon zärtlicher Stimme von einer Welt, die es ihm so schwierig gemacht hat, in ihr zu leben. Zwischen leisem Gesang und flüsternden Worten steht er da, die Hände kraftlos hängen lassend. Der Außenseiter hat es wieder einmal nicht geschafft – wäre es doch anders gekommen.

Kommende Vorstellungen: am 9. und 27. Oktober, jeweils um 19.30 Uhr sowie am 25. Oktober um 15.30 Uhr.

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