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Bühne und Konzert „Notorious“

Schuld war nicht der Bossa Nova

Freier Feuilletonmitarbeiter
Als wär’s ein Film von Hitchcock: Nina Stemme (v.) in einer besonders gruseligen Situation. Michael Weinus ist als Schurke allerdings ein bisschen weinerlich, dafür ist Katarina Karnéus als Mutter umso dominanter Als wär’s ein Film von Hitchcock: Nina Stemme (v.) in einer besonders gruseligen Situation. Michael Weinus ist als Schurke allerdings ein bisschen weinerlich, dafür ist Katarina Karnéus als Mutter umso dominanter
Als wär’s ein Film von Hitchcock: Nina Stemme (v.) in einer besonders gruseligen Situation. Michael Weinus ist als Schurke allerdings ein bisschen weinerlich, dafür ist Katarina Ka...rnéus als Mutter umso dominanter
Quelle: Göteborg Operan
„Notorious“ ist die erste Oper nach einem Hitchcock-Film. Sie spielt in Brasilien. Der Schwede Hans Gefors schrieb die Musik. Die Schwedin Nina Stemme singt die Rolle der Schwedin Ingrid Bergman.

„Vertigo“ mit seinem tristanesken Liebeswahnsinnssog hat man schon öfter in Operninszenierungen zitiert, die durchgeknallte Mrs. Denvers und ihr namenloses Opfer schafften es mit „Rebecca“ in Wien als Musical, aber ausgerechnet Alicia Huberman aus „Berüchtigt“ wurde die erste singende Hitchcock-Heldin auf dem Musiktheater. Und weil zum 100. Geburtstag des schwedischen Hollywoodstars Ingrid Bergman ihre Landsmännin Nina Stemme, die gegenwärtig berühmteste hochdramatische Sopranistin, in einer der bekanntesten Bergman-Rollen auftrat, durfte sich Göteborgs Opernhaus weltweiten Medieninteresses gewiss sein.

Dabei sind in dem nunmehr tönenden Thriller „Notorious“ nach dem glamourös-abgefeimten Film von 1946 um Nazibanden, CIA-Agenten, eine ausgeliehene Geliebte und Urangranulat im Weinkeller weitere große Namen im Spiel. Komponiert hat die Oper vor dem Hintergrund von Rio im Bossa-Nova-Sound der 62-jährige Hans Gefors, ein milder Neutöner und Schwedens bekanntester Tonsetzer für das Musiktheater. Sein 1986 uraufgeführtes Königinnendrama „Christina“ genießt fast Nationalopernstatus.

Inszeniert hat der für opulente Bildershows gern gebuchte Keith Warner. Er erweist mit einer Schwarzweißausstattung samt Leinwänden mit Filmstills dem alten Star-Kino seine nostalgische Reverenz.

So haben wir Brasilien noch nie gesehen. Szene mit Filmstills aus „Notorious“
So haben wir Brasilien noch nie gesehen. Szene mit Filmstills aus „Notorious“
Quelle: Göteborg Operan

Komponiert wurde mit den Möglichkeiten der Uraufführungsinterpreten im Ohr. Neben der mit bannender Bühnenpräsenz, großartigen Brünhilden-Tönen (zwei hohe Cs inklusive) und geläufigem Society-Parlando aufwartenden, nicht hitchcockblonden, sondern braunhaarigen Stemme ist Schwedens renommiertester Bariton John Lundgren in der Cary-Grant-Rolle des Agenten Devlin aufgeboten. Der verliebt sich in diese halb gefallene Frau, auf die er angesetzt ist, und gibt sie trotzdem (auf Zeit) fürs Vaterland an den Nazihelfer Alex Sebastian weiter, um an dessen dunkelpulvriges Weinflaschengeheimnis zu kommen. Der sonore Lundgren ist weniger elegant-geheimnisvoll als Grant, dafür menschlich betroffener, tiefsinniger.

Alex Sebastian, einst in Claude Raines’ Charaktergestaltung einer der manierlichsten Hitchcock-Schurken, bleibt bei dem um viele Kilos schwereren Tenor Michael Weinus ein weinerlicher Mamasohn; dafür ist dessen Mutter Katarina Karnéus hier noch dominanter. Eine „coloratura bitch“ nennt sie liebevoll ihre Interpretin. Und spielt sie als fiese Vorläuferin der Mrs. Bates aus dem „Psycho“-Motel, die zudem als Tourette-Kranke der ungeliebten, von ihr bald vergifteten Schwiegertochter Verbalschweinereien entgegenspeien darf. Was höchst lustvoll passiert.

Und Alfred Hitchcock spielt natürlich auch mit

100 Minuten dauert der Film, zweieinhalb Stunden die Oper. Gefors und seine alerte Librettistin, die Dramatikerin Kerstin Perski, haben sie geschickt in fünf Akte geteilt und den Gesetzmäßigkeiten des Genres angepasst. Die erste Szene ist eine Art Rückblende, in der Alicias im Film nicht auftauchender, schuldbeladener Vater in Gestalt Alfred Hitchcocks erscheint, der damit gleich seinen typischen Cameo-Auftritt hat. Doch Stemme, die eine Filmrolle einlegt, ist die aufbegehrende Tochter und gleichzeitig Bergman, die sich dem für seine Manipulationen berühmten Regisseur erwehrt. Als „Figuren der Dunkelheit“ wird hier bereits der sonst als Partygäste fungierende Chor kommentierend eingesetzt.

Aus einer Schlüsselszene des Films bei einem Pferderennen wird nun ein Opernbesuch. Man sieht Glucks „Orfeo“ (vor einer surrealen Schädelkulisse, die an die von Salvador Dalí entworfenen Alpträume aus „Ich kämpfe um dich“, einem früheren Hitchcock/Bergman-Film erinnert) mit einer der von den Nazis umgebrachten Verräter in der Hauptrolle, der von den teufelsroten Furien in die Unterwelt gezogen wird. Später hängt dessen Leiche im Kellerkühlhaus.

Der Agent, den sie liebte: Nina Stemme und John Lundgren in Hans Gefors’ Opernthriller
Der Agent, den sie liebte: Nina Stemme und John Lundgren in Hans Gefors’ Opernthriller
Quelle: Göteborg Operan

Scheint der Text beim Lesen durchaus aufs Tempo zu drücken, so kommt auf der Bühne Gefors’ Musik, von Patrick Ringborg im Graben geschmeidig animiert, oftmals nicht richtig von der Stelle. Hans Gefors müht sich mit seiner dezent modernen, durchaus spröden Klanghandschrift um brasilianisches Lokalkolorit, ist düster und moody, will auch jeden nur populistischen Filmmusikanflug vermeiden, eigenständig und nicht nur untermalend bleiben.

Seit sechs Jahren gibt es den Plan einer ersten, speziell für Nina Stemme geschriebenen Oper. Das Ergebnis kann sich hören wie sehen lassen. Stemme ist die uneingeschränkte, fast in jeder Szene strahlende Diva. Sie trägt den Abend. Sie darf sogar, weil es im Theater keine Close-ups gibt, in wirkungsmächtigen Ariosi ihre Gefühle gewissermaßen auf das Publikum zuzoomen.

Ach gäbe es doch mehr solche gut gemachten Opern

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Hier wird aber nicht nur ein berühmter Filmtitel ausgeschlachtet, es gibt Opernmehrwert, klanglich und psychologisch, beides liefert auch Keith Warners schnittige Regie, die stets auf mehreren Ebenen spielt, wenn etwa als Diener, Schattenriss oder Pappkamerad Hitchcock immer präsent ist, der Plot und seine Inszenierung bisweilen hinterfragt werden

Man wünscht sich mehr solche Well-made-Opern, die handwerklich hochsolide und mit Star-Attraktion ihr Publikum sicher schneller und nachdrücklicher finden als viele der bemühten, aber nie mehr nachgespielten Novitäten in deutschen Opernlanden.

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