Der Zauberlehrling

Der Wiener Intendant Roland Geyer hat sich mit Marschners Oper «Hans Heiling» die Wiederbelebung eines lange Zeit überaus beliebten, doch inzwischen nahezu vergessenen Werks zum Ziel gesetzt.

Daniel Ender
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Wer die Geister nicht ruft, muss sie auch nicht loswerden? Dieser Umkehrschluss zu Goethes geflügeltem Wort gilt nur bedingt, geht es nach der Eröffnungsproduktion der neuen Saison im Theater an der Wien. Intendant Roland Geyer hat sich mit Heinrich Marschners Romantischer Oper «Hans Heiling» die Wiederbelebung eines bis zum 20. Jahrhundert überaus beliebten, doch heute nahezu vergessenen Werks zum Ziel gesetzt. Und er hat sich auch gleich selbst seine zweite Regiearbeit am eigenen Haus aufgebürdet. Ein doppeltes Risiko, das jedoch auf ein treues Publikum und eine breite Anerkennung des Theaters und seines Programms bauen konnte. Selbst eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem künstlerischen Ergebnis artikuliert sich hier, anders als in der Staatsoper, überwiegend freundlich. Freilich: Wohlwollen benötigten sowohl das Stück als auch seine Umsetzung.

Musikhistorisch würde ohne Marschner ein wichtiges Bindeglied zwischen Beethoven und Weber einerseits sowie Wagners frühen Opern andererseits fehlen. «Hans Heiling», 1833 und damit genau zwischen dem «Freischütz» und der Urfassung des «Fliegenden Holländers» entstanden, zeigt die Anknüpfungspunkte in beide Richtungen. Marschners kompositorische Basis ist klassizistisch, mit teils liedhafter, teils fast italienischer Melodik, die freilich mit expressivem Gestus zusammengebracht wird. Innovativ sind im Kleinen kühne harmonische Wendungen und eine Entfesselung von Akkorden zu einiger Klangwirkung, im Grossen ausgedehnte szenische Tableaus sowie ein Netz von Erinnerungsmotiven (die eben nicht erst Wagner erfand). Dass diese Mittel inhomogen und unausgewogen wirken, mag erklären, dass sie hinter der souveräneren Handhabung durch Meyerbeer und Wagner verblassten.

Die dramatische Dynamik der Oper gründet auf der Gegenüberstellung der Menschen und Erdgeister sowie der unüberwindlichen Kluft, die sie trennt. Geyers Inszenierung verzichtet völlig auf diese Sphären, fügt anstelle des Übernatürlichen irdische Elemente und Gegenstände ein – ein Unterfangen, das nicht ohne Widersprüche auskommt. Im Bühnenbild von Herbert Murauer spielt sich die Geschichte hinter Friedhofsmauern ab, ergänzen Rückblenden eine inzestuöse Mutter-Sohn-Geschichte zwischen dem Protagonisten und der Geisterkönigin – eine Lesart, die kaum mehr als Lehrbuch-Psychologie hergibt, jedoch von den Darstellern mit Intensität erfüllt wird. Vor allem von Angela Denoke als diabolischer Königin mit expressivem Nachdruck sowie von Michael Nagy in der Titelpartie, der den ewigen Zwiespalt der Figur auch stimmlich mit einem immensen Spektrum an Abschattierungen zwischen Kraftmeierei und verhaltener Fahlheit zeigt.

Sein Monolog zu Beginn des dritten Akts, in dem er über die Nichtigkeit irdischer Dinge, namentlich der Liebe, sinniert, könnte das Stück auch zu jener Parabel über den Gegensatz zwischen Vergeistigung und prallem Leben machen, das es in nuce (und unter Vorwegnahme von Wagners «Tannhäuser») ist. Geyer denkt diese Aspekte mit, wie ein als Brunnen fungierender dionysischer Satyr bei der Volksfestszene zeigt, doch belässt er es bei der Andeutung.

Der Arnold-Schoenberg-Chor, der als Geisterkollektiv die handelnden Personen vervielfacht, wird aufwendig choreografiert, und doch bleiben seine synchronen Gesten blasse Kopien der Regiearbeiten anderer. Ausserdem verlieren die Geister ihre dramaturgische Funktion und fallen der Produktion erst recht auf den Kopf. Und die nicht ganz ungetrübt jugendlich-strahlende Katerina Tretyakova als Heilings Braut Anna wird von der Regie mit dem Widerspruch zwischen Natürlichkeit und verzweifeltem Pathos weitgehend allein gelassen. Vom ORF-Radio-Symphonieorchester Wien kommt hingegen Unterstützung in Form eines flammenden Plädoyers für die ganze Oper: Constantin Trinks dirigiert sie so markant und plastisch wie nur möglich und verhilft ihr wenn schon nicht zu einer Wiedergeburt, so doch zu eindrucksvoller Wirkung.