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Bühne und Konzert Juan Diego Flórez

Hier macht sich der Tenorprinz endlich dreckig

Freier Feuilletonmitarbeiter
Verzweifelter Ehemann im Gluck-Schmerz: Juan Diego Flórez als Orphée mit toter Gattin Eurydice (Lucy Crowe) Verzweifelter Ehemann im Gluck-Schmerz: Juan Diego Flórez als Orphée mit toter Gattin Eurydice (Lucy Crowe)
Verzweifelter Ehemann im Gluck-Schmerz: Juan Diego Flórez als Orphée mit toter Gattin Eurydice (Lucy Crowe)
Quelle: Bill Cooper
Und der Dirigent John Eliot Gardiner hilft ihm ganz wunderbar beim Erwachsenwerden: Juan Diego Flórez singt in London mit Glucks Orpheus seine erste barocke Bühnenrolle.

Filmhelden bleiben ewig jung. Das liegt in der Natur der Materialsache. Bühnendarsteller altern, während ihre Rollen nur eine einzige Jahreszahl kennen. Bei Sängern wird zudem die Stimme schwächer und wackliger. Ein 60-jähriger frisch entflammter Tenorliebhaber mit Perücke und roten Schminkbäckchen an der Seite eines Soubretten-Models wäre im Typcasting-Zeitalter auch der Opernhäuer einfach ein Besetzungswitz.

Juan Diego Flórez ist erst 42 Jahre alt, für einen Tenorsuperstar die beste Zeit. Das macht ihm der nur ein wenig reifere Jonas Kaufmann gerade vor, der eben einen grandiosen Karrierelauf hat, alles mitnimmt, was künstlerisch vertretbar ist. Aber der Peruaner mit den Schäfchenlöckchen und den schwarzen Schmachteaugen weiß natürlich, dass für den leichten, höhentrittsicheren tenore di grazia – als dessen bester, virtuosester, stilvollster Vertreter er gegenwärtig gilt (trotz scharfer Konkurrenz, die vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre) – die Prinzen- und Grafenstunde schlagen wird, dass seine Uhr für die Rossini-Hänflinge und Bellini-Knaben langsam abläuft.

Und er baut klug vor. So manche Rolle aus Kindertagen wie der „Cenerentola“-Ramiro oder der in der laufenden Spielzeit (sorry, Zürich!) aus dem Repertoire genommene „Puritani“-Arturo sind abgelegt, die Galerie der möglichen Rossini-Partien bis hin zum 2013 in Pesaro glänzend gemeisterten „Wilhelm Tell“-Arnold mit seinen Hohes-C-Kraxeleien ist so gut wie abgeschritten. Flórez kümmert sich mit einer Stiftung um Musikerziehung in seinem Heimatland, auch um junge Sänger, und übernimmt so gesellschaftliche Verantwortung. Auch zu unterrichten und zu coachen hat er begonnen. Und während er mit seinem aktuellen Decca-Album „Italia“, wo er auf dem Cover vor einem roten Alfa-Cabrio Sehnsucht weckt, mit geschmacksicher servierten Schlagern und Schmusesongs wie „O sole mio“, „Arrivederci Roma“ oder „Nel Blu, Dipinto Di Blu“ madolinenumzirpt die Mediterrano-Nostalgie seiner Fans bedient, erweisen deutlich männlich-markigere, mit vollem Bruststrahl intonierte Töne, dass er zu neuen Rollenufern aufgebrochen ist.

Auf Fotos jetzt mit Bartschatten

Offizielle Fotos zeigen Flórez inzwischen als nicht mehr milchbübigen Mann, mit kantigeren Zügen und Bartschatten. Vor allem das französische Repertoire, vor einigen Jahren noch als zu tief in der Gesamtlage misstrauisch beäugt, wird für diesen exzeptionellen Tenor nun wichtiger. Seine letzte CD „L’amour“ tat davon bereits hörbar Kunde, Bizets Nadir aus den „Perlenfischern“ ist neu, den gounodschen Roméo hat er (wie fast alle seine Rollendebüts) im heimatlichen Lima absolviert, in Europa kommt er im Februar in Wien, wo er mit deutscher Frau und zwei Kindern lebt. Kurz danach traut er sich in Paris konzertant an den Werther. Zuvor aber sang Juan Diego Flórez nun erstmals an der Covent Garden Opera szenisch Glucks Orphée, eine für ihn passgenaue Zwischenstufe hin zu schwereren Rollenbrocken.

Der Orpheus à la Gluck hat in seiner über 250-jährigen, nie wirklich aus dem Repertoire verschwundenen Existenz einige stilistische und auch Genderwandlungen durchgemacht. 1762 wurde er in Wien als kompakt kaiserliche Festoper „Orfeo ed Euridice“ mit dem Altkastraten Gaetano Guadagni uraufgeführt, schon 1769 wurde er in Parma als „Le Feste d’Apollo“ auf einen Akt eingedampft für einen Sopransänger umgeschrieben. 1774 folgte die dem französischen Geschmack angepasste, um Bravourarien und Ballettnummern erweiterte Tenorfassung, mit welcher Glucks ehemalig erzherzögliche Schülerin Maria Antonia, die nun als Marie Antoinette auf dem Bourbonen-Thron saß, ihre Operngewandtheit demonstrieren wollte. 1859 erstellte Hector Berlioz für Pauline Viardot-Garcia, den Altpopstar seiner Zeit, eine wiederum romantische Einflüsse nicht verleugnende Mischversion her. Begegnet man heute Glucks Opernhit, dann meist in einer Melange der Möglichkeiten und mit Mezzo oder Kontratenor. Die schwere, virtuose, unangenehm hoch liegende Tenorfassung singen live nur sehr wenige.

Für Juan Diego Flórez ist sie hingegen eine gute Möglichkeit, sich auch mal in der Frühklassik zu erproben, mit heldischeren Tönen, aber einem kleineren Orchester. Er hat dies schon 2008 mit einem konventionellen Klangkörper in Madrid erfolgreich unternommen und auch aufgezeichnet. Die aktuelle Asientournee der Londoner Royal Opera gab ihm hingegen Gelegenheit, die Rolle erstmals szenisch und in tieferer Barockstimmung mit John Eliot Gardiner, dem Gluck-Großmeister unserer Zeit, mit dessen Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists zu erproben. Mit John Fulljames als Regisseur und dem hochgehandelten Choreografen Hofesh Shechter als Kodirektor wurde zudem der Tanzanteil der Pariser Version sehr ernst genommen.

Der Star mit der Grubenlampe

Immer im Scheinwerferkegel: Juan Diego Flórez
Immer im Scheinwerferkegel: Juan Diego Flórez
Quelle: Bill Cooper

Mag zwar Flórez von Anfang an, wenn er sich mit einer als Lichtsymbol durch die Aufführung blinkernden Grubenlampe selbst aus dem totalen Trauerdunkel leuchtet und später im gleißenden Scheinwerferstrahl sitzt, seinem Star- und Künstlerstatus auch optisch gerecht werden, Hauptprotagonist dieser hinreißenden, beschwingten und befriedigenden Aufführung, bei der in seltener Eintracht der darstellenden Künste alles richtig gemacht wurde, sind Chor und Orchester. Letzteres ist auch entsprechend platziert. Nicht im Graben, sondern auf einem Podium hinter der Rampe, das abgesenkt und hochgefahren werden kann. So dient es als menschliche Schranke, aber der Chor kann auch untendrunter hindurcheilen oder die Solisten können sich dazwischen ihren Weg bahnen. Alles geht von Gardiners flexiblen, bewegten, immer menschlich atmenden Tempi aus. Klang durchpulst wie eine akustische Skulptur den mit drei als Resonanzwände dienenden Holzsegmenten (Bühne: Conor Murphy) minimalistisch gestalteten Raum. Er fließt, ballt sich, separiert sich in den scharfen Hörnen, den abseits durch die Unterwelt trötenden Posaunen, verschmilzt in Oboe und Flöte im Elysium, wo auch das fein modellierende, goldene Streulicht von Lee Curran der Szene zusätzliche Tiefendimensionen verschafft.

Im Goldanzug: Amor Amanda Forsythe
Im Goldanzug: Amor Amanda Forsythe
Quelle: Bill Cooper

Trauer ist neben der mollfließenden Musik in den verkrümmten oder erhobenen Haltungen des Chores erfahrbar, die sich bald vergrößert und kontrastiert in den grotesk flutenden Körpern von Hofesh Shechters athletischen, dabei gazellengleichen 22 Tänzern fortsetzt. Ein Stamm, ein Kollektiv macht so seine Stimmungen manifest, lässt sich von Musik und Rhythmus führen, barbarisch, grob, dabei originell, vital und kraftvoll. Dem steht die trotzige Passivität des verharrenden Orpheus gegenüber. Der hat sich mit Asche dreckig gemacht, begehrt so mit seiner Vokalklage auf gegen das Schicksal vom Verlust der Gattin. Die Götter erhören ihn, lassen Amor (die enthusiastisch tschilpende Amanda Forsythe) aus dem Orchester im Goldanzug herabsteigen, Heils- und Freudenbringer, der den skeptischen Orpheus aber erst in die Spur setzen muss. Hat es bei ihm Klick gemacht, jubelt er los: „L’espoir renaît de mon ame“ – diese nachkomponierte Koloraturarie ist wieder reines Formenspiel, von Flórez aber mit wissender Bedeutung und Humanität aufgeladen.

Im Glückstaumel seliger Geister

Die Reise beginnt, Unterwelt und Elysium sind sich ganz nahe. Orpheus, der Chor und auch das Publikum scheinen im Glückstaumel des Reigens seliger Geister zu schweben. Nach der Pause aber ist Partnerarbeit angesagt, Paartherapie, die große Auseinandersetzung mit der wiedergefundenen Gattin, der Lucy Crowe mit durchaus auftrumpfenden Tönen Ambition und Allüre gibt. Das windet und zieht sich, als sie endgültig verloren scheint, wird das Licht bürogrell. Orpheus will sich anzünden, wieder greift Amor ein. Doch das als Fürstenlob gedachte Ende, die ausufernden Tänze, sie zeigen nur einen doch heillosen Zustand. Man singt in Dur vom Triumph der Liebe, zu sehen ist aber ein wieder allein agierender Mann, der neuerlich Lunte legt an das zum Idol überhöhte Holz- und Strohabbild der Gattin. Das brennt er lieber ab, als sich an sie erinnern zu müssen.

Reigen seliger Tanzgeister: die Hofesh Shechter Company und der Monteverdi Choir im Elysium
Reigen seliger Tanzgeister: die Hofesh Shechter Company und der Monteverdi Choir im Elysium
Quelle: Bill Cooper

Mit einem starken, virilen Juan Diego Flórez ist hier ein Sänger erwachsen geworden, eine berühmte Alte-Musik-Truppe samt ihrem hochgeschätzten Guru erobert mit Wucht und Wonne ein Traditionsopernhaus. Vor allem aber ist diese unbedingt sehenswerte Aufführung einem Werk ideal gerecht geworden, das in seiner komplexen französischen Ausformung mit Dimension und Ausdruck spielt, szenische Varianz der Gefühle erkundet und eng an der Konvention vorbei neue Musiktheaterwelten erforscht, die feinsinnig, auf das Wesentlich reduziert, dramatische Wirklichkeit wurden.

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