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"Hans Heiling" als Norman Bates der Schauerromantik in Wien

Jubel hat es Sonntagabend im Theater an der Wien gegeben. Die selten aufgeführte Oper "Hans Heiling" kam beim Publikum gut an.

"Hans Heiling" als Norman Bates der Schauerromantik in Wien
"Hans Heiling" als Norman Bates der Schauerromantik in Wien

Missbrauchsdrama statt Schauerromantik: Im Theater an der Wien (TAW) hat Hausherr Roland Geyer am Sonntagabend mit "Hans Heiling" seine zweite Regie seit Amtsantritt 2006 vorgelegt - und Heinrich Marschners fast vergessene Oper als tiefenpsychologische Studie einer Mutter-Sohn-Abhängigkeitsbeziehung ausgelegt. Am Ende stand Jubel für diesen Norman Bates im deutschen Wald.

Obgleich zu seiner Zeit gefeiert, wird Marschner heute zum bloßen Bindeglied zwischen Carl Maria von Weber und Richard Wagner degradiert. Musikalisch ist sein größter Erfolg "Hans Heiling" aus 1833 tatsächlich genau dies, trägt darüber hinaus aber auch Elemente von Rossini bis Offenbach in sich. Dabei darf man die Leistung des 18 Jahre vor Wagner geborenen Marschner nicht nur durch die Brille der nachfolgenden Entwicklungen betrachten, sondern muss dessen genuine und wegbereitende Arbeit im Blick behalten.

Der Prinz will vor seiner Mutter fliehenDies gilt bei "Heiling" nicht zuletzt für das von Eduard Devrient verfasste Libretto. Darin möchte der Prinz der Erdgeister, Hans Heiling, seiner vereinnahmenden Mutter entkommen und auf Erden Dorfschönheit Anna heiraten. Vor allem deren Mutter Gertrude ist ob des Reichtums des Verehrers angetan, während Anna den hübschen, aber armen Konrad liebt. Als Heilings Mutter Anna auch noch mit der Macht der Erdgeister bedroht, löst diese die Verlobung, worauf Heiling zur Gewalt greift, seine Niederlage jedoch letztlich einsehen und in die Unterwelt zu Mama zurückkehren muss.

Intendant Geyer kappt in seiner Inszenierung sämtliche Fantasybezüge. Die Geisterwelt wird bei ihm zur libertinären Künstlergruppe, die sich von der kleinbürgerlichen Welt des Dorfes abhebt. Heiling ist ein Sohn, der von klein auf unter dem Diktat seiner Mutter steht, die den Buben auch sexuell missbraucht. Die Aufführung zeigt den missglückten Ausbruchsversuch eines Muttersöhnchens aus der Abhängigkeitsbeziehung, ist letztlich ein Schicht- und Generationendrama.

Das wirklich Überraschende an dieser stringenten Deutung ist jedoch, dass die psychoanalytischen Vorgaben bei Marschner und Devrient tatsächlich bereits vorhanden sind und sich das Regiekonzept mit den narrativen Elementen des Werkes nahtlos deckt. Allenfalls spitzt Geyer streckenweise die Verhältnisse zu, wenn etwa das auch schon bei Devrient brüchige Happy End in Düsternis versinkt.

Musikalisch ergibt sich allerdings streckenweise, vornehmlich im 1. Akt, durchaus ein starker Kontrast zwischen der romantischen Musik und der dunklen, tiefenpsychologischen Deutung - eine Diskrepanz, die sich im Fortgang verläuft. Auch der bei Marschner eine herausragende Rolle spielende Chor erfüllt schließlich als weiterer zentraler Akteur seine Aufgabe. Unterstützt wird dies vom schnell modifizierbaren Bühnenbild Herbert Murauers, das zwischen Friedhofswand und Designerloft, Dorfplatz mit Maibaum und nächtlichem Wald wechselt - und vom durchwegs erfreulichen Ensemble.

Ein geschmeidiger Bariton Michael Nagy überzeugt in der Titelpartie mit seinem geschmeidigen Bariton, dem sich als dominante Mutter Angela Denoke gewohnt spielfreudig in der für sie etwas zu tiefen Partie hinzugesellt. Katerina Tretyakova legt mit ihrem kraftvollen Sopran Anna als zickige Dorfschönheit an, die von Peter Sonn mit seinem gut unterfütterten Tenor als Konrad bei seinem TAW-Debüt nur mit kleinen Intonationsschwächen umworben wird.

Letztlich gibt es an dieser Wiederentdeckung eines verlorenen Werkes nur einen großen Punkt zu monieren. Die meisten Schauspieler sind keine guten Opernsänger - und umgekehrt gilt diese Erkenntnis leider auch. Die bei einer Oper stets schwierigen Dialogpassagen erinnern in dieser Inszenierung über weite Strecken eher an verfrühtes Krippenspiel, denn an echtes Schauspiel.

Dies tat dem einhelligen Jubel am Ende für die im engeren Sinne erste wirklich eigene TAW-Regie von Intendant Roland Geyer keinen Abbruch, war er doch 2012 nach dem Konflikt mit Regisseur William Friedkin über dessen Inszenierung von "Hoffmanns Erzählungen" nur eingesprungen. Hier bringt's der Geyer - um einen alten Spruch zu modifizieren.

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