Kein “Aua”, sondern super gut

Kultur / 19.08.2015 • 21:46 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Die Gastspielpremiere der Oper „Der goldene Drache“ von Peter Eötvös wurde gestern Abend auf der Bregenzer Werkstattbühne gefeiert.  Stiplovsek
Die Gastspielpremiere der Oper „Der goldene Drache“ von Peter Eötvös wurde gestern Abend auf der Bregenzer Werkstattbühne gefeiert.  Stiplovsek

„Der goldene Drache“ zählt zu den Opern mit Zukunft: Ein Festspiel-Finale mit Format.

Bregenz. Darf ein „Aua“ so schön klingen? Ja, es darf. Der ungarische Komponist Peter Eötvös (geb. 1944) hat das Drama „Der goldene Drache“ des deutschen Autors Roland Schimmelpfennig (geb. 1967)nicht nur vertont, er hat Musiktheater daraus entwickelt und vermittelt das Thema damit in einer musikalischen Sprache, die es nicht nur unmittelbar erlebbar macht und Assoziationen freisetzt, sondern dort, wo das ursprüngliche Stück seine Durchhänger hat, wo nur noch Sozialkitsch zum Tragen kommt (wer besonders deutlich werden will, nennt es auch Sozialporno), tiefer liegende Schichten freilegt.

Die Uraufführung
des Schimmelpfennig-Stücks stand am Beginn der Ära Matthias Hartmann am Wiener Burg- bzw. Akademietheater, im vergangenen Jahr präsentierte die Oper Frankfurt das Eötvös-Musiktheater mit dem Ensemble Modern. Als Ergänzung zur Puccini-Oper „Turandot“ auf dem See erfolgte die Übersiedlung der gesamten Crew in die Bregenzer Werkstattbühne. Auch wenn es „nur“ ein Gastspiel ist, das Intendantin Elisabeth Sobotka ins Festspiel-Programm holte, so belegt es doch ihr Engagement für neues Musiktheater, das in den nächsten Jahren mehr Platz in ihrem Angebot finden wird.

Textverständlichkeit

Das China-Kolorit dürfte beileibe nicht ausschlaggebend gewesen sein für die Wahl (unübersehbar und als reizvoller Gag mampfen schon Dorabella und Despina in „Così fan tutte“ am Kornmarkt Asia-Food aus dem Pappbecher), Eötvös entführt in Klangwelten, die die Relevanz des zeitgenössischen Opernschaffens verdeutlichen. Dabei ist das Instrumentarium mit Streichern, Bläsern, Glocken, Becken und Perkussion (bis hin zu Kochlöffeln, Messern und Gläsern) gar nicht so außergewöhnlich und der leise Hauch von traditioneller chinesischer Musik, der da im finalen Teil auf die Publikumstribüne weht, durchaus erwartungsgemäß. Was Eötvös auszeichnet, ist ein Heraus- oder Heranheben der menschlichen Stimme. Damit wird trotz aller gesanglicher Ideen, die er sich erlaubt, und nicht aufgrund der Tatsache, dass hier mehr oder weniger alles verstärkt ist, eine Textverständlichkeit erzeugt, die etwas Besonderes ist. Und das, obwohl hier eine Handvoll Personen mehr als ein Dutzend Rollen zu übernehmen hat. Dass die Entflechtung für die Zuschauer reibungslos funktioniert, liegt freilich auch an der Regie von Elisabeth Stöppler, man kann sich aber gut und gerne vorstellen, dass die Oper „Der goldene Drache“ auch in einer konzertanten Aufführung funktioniert. Nicht, dass man sie sich wünscht, erwähnt sei dies nur im Hinblick auf Tonträgermaterial oder Rundfunkübertragungen.

„Der goldene Drache“ – leuchtend aufgespannt als Hintergrund einer Bühne (von Hermann Feuchter), auf der sich vieles davon findet, was man gemeinhin in die Abstellkammer verräumt – ist der Name eines Schnellrestaurants. Die Gerichte haben Nummern, was in der Geschmacksrichtung süßsauer, pikant und extrascharf so rasch wie möglich zum Konsumenten kommt, wird auf engstem Raum zusammengeschnippelt. Wer alles am Brett hantiert und im Wok rührt, ist – wir erraten es – nicht dem Gesetz entsprechend angemeldet. Dem Kapitalismus wird Tribut gezollt, auf der Strecke bleibt ein junger Chinese. Von Zahnschmerzen geplagt, überlebt er die darauffolgende Extraktion mit der Rohrzange nicht, wird in einen Teppich gewickelt und hinausgesäubert in den Fluss. Bevor ihn die Wellen wieder skelettiert zurück in die ersehnte Heimat treiben, schafft der Zynismus noch weitere Bilder. Ameisen nützen die Zwangslage einer hungernden Grille aus, doch nicht nur die Fabeln sind tragisch, ein gezeugtes Kind wird nicht gewollt und ein Mann verlassen.  

Anregend

Die Sängerdarsteller schlüpfen im Abstand von wenigen Minuten immer wieder in neue Kleider (Kostüme: Nicole Pleuler), um jeweils ganz aufzugehen – in der Figur, der Situation, der verzwickten Lage. Die Blickwinkel, die Hedwig Fassbender, Simon Bode, Hans-Jürgen Lazar und Holger Falk gemeinsam mit den Klängen auftun, sind grausam, skurril, melodramatisch, witzig und traurig zugleich oder hintereinander. Dazu kommt Kateryna Kasper mit ihrem bereits nach einem Auftritt im Seestudio gewürdigten lupenreinen Sopran und einer Darstellungskraft, die von den Niederungen in märchenhafte Sphären führt. Der Boden der Realität bleibt dabei fassbar.

Hartmut Keil am Pult erweist sich als hervorragender Musikvermittler und die Regie verwehrt sich trotz aller Deutlichkeit gegen jegliche Agitation. Man sieht, hört, begreift, staunt, wird angeregt. Und feiert die gesamte Crew begeistert.

Weitere Aufführung: 21. August, 20 Uhr, Werkstattbühne Bregenz. Dauer: 90 Minuten