Harte Schule der Musik-Liebenden

Kultur / 18.08.2015 • 21:35 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Die Premiere von Mozarts „Così fan tutte“ im Kornmarkttheater endete mit großem Beifall und Bravos. Mit dem Werk haben die Bregenzer Festspiele ihr Opernstudio eröffnet.  Foto: BF/Karl Forster
Die Premiere von Mozarts „Così fan tutte“ im Kornmarkttheater endete mit großem Beifall und Bravos. Mit dem Werk haben die Bregenzer Festspiele ihr Opernstudio eröffnet.  Foto: BF/Karl Forster

„Così fan tutte“ ist bei den Festspielen ein eindrücklicher Sänger- und Schauspieler-Abend.

Bregenz. Einmal regnet es, dann wiederum fällt Schnee, und schließlich lassen auch noch Magnetfelder die Männerkörper erzittern – man kann jedenfalls nicht behaupten, dass auf der Bühne nicht viel los wäre. Abgesehen davon, dass es den meisten Premieren-Besuchern wohl wichtig war, dass die Bregenzer Festspiele das kleine Kornmarkttheater überhaupt wieder als Spielstätte verwenden, steht bei „Così fan tutte“, der 1790 uraufgeführten Oper von Wolfgang Amadeus Mozart und Lorenzo da Ponte, aber ohnehin fest, dass sich ein Großteil der Handlung auf innere Vorgänge bezieht. Was vier junge Menschen zur Erprobung der Treue und damit zum Partnertausch treibt, das hat die Regie zu beschäftigen – in der Partitur steht es sowieso.

Für den Start ihres Opernstudios, in dem die Festspiel-Intendantin in den kommenden Jahren „Don Giovanni“ und „Le nozze di Figaro“ realisieren will und dabei nicht nur auf junge Sänger, sondern eben auf das Duo Mozart und Da Ponte sowie auf Liebe und Psychologie setzt, hat sich Elisabeth Sobotka mit Jörg Lichtenstein einen Schauspielprofessor mit ausgewiesener Musiktheater-Erfahrung für die Inszenierung geholt. Am Pult steht mit Hartmut Keil der Kapellmeister der Oper Frankfurt, der in Bregenz in den letzten Jahren ein paar Mal die Seebühnen-„Zauberflöte“ dirigierte. Auch wenn feststeht, dass der Dirigent ein präziser Partner und kompetenter Forderer der jungen Sänger ist, wird diese „Così“ und damit der Auftakt des Opernstudios ob der Qualität einzelner Stimmen und der szenischen Umsetzung in die Geschichte der Festspiele eingehen.

Ein Spiel im Spiel bzw. eine Variante davon zu kreieren, das ist keine neue Idee, wobei zu bemerken wäre, dass für „Così fan tutte“ ohnehin schon so ziemlich alles Machbare ausgereizt wurde. Alvis Hermanis, der sich besonders gerne großen Klassikern widmet, spannte in der Komischen Oper in Berlin beispielsweise den Bogen vom Rokoko in die Gegenwart, indem er die Sänger in einer Restaurierwerkstätte an Akten herummalen lässt.

Lichtenstein koppelt Vergangenheit bzw. Entstehungszeit und Gegenwart reibungslos durch den Schauplatz: Treueprobe bzw. „Die Schule der Liebenden“ (um den zweiten Titel des Werks zu zitieren) werden auf eine Hinterbühne verlegt, während vorne eine Art Mantel-und-Degen-Stück abläuft. Die Idee ist nicht nur schlüssig, sondern auch praktisch, denn jegliches Pathos im Spiel lässt sich mit den Rollen rechtfertigen, in die die Darsteller nebenbei zu schlüpfen haben, und außerdem vertschüssen sich die beiden Männer nicht in irgendeine Schlacht, sondern in die Aufgabe, die sie als Künstler haben.

Auf mehreren Ebenen

Das Schachbrett neben der Kleiderstange müsste jedes Dramaturgenherz höherschlagen lassen, geht es bei diesem Partnertausch doch wirklich um existenzielle Fragen, und welche noch so verrückte Verkleidung Guglielmo und Ferrando auch wählen – hier wirkt nichts peinlich. Auch nicht die Sache an sich, denn die Frauen, die da verführt werden sollen, wissen von Anfang an Bescheid, schlagen in die Wette ein und dürfen ihrerseits nicht nur einen Mummenschanz aufführen, sondern auch einmal mit dem Haarputz verdeutlichen, dass die Handlung von „Così fan tutte“ (So machen es alle Frauen) auch aus der Vergnügungssucht im Ancien Régime herzuleiten ist. Wieder eine Ebene, die Lichtenstein mit seinem Ausstattungsteam (Susanna Boehm entwarf die Bühne, Jutta Delorme die Kostüme) berührt und dabei empörte Tugendgöttinnen, animalisch aufgeheizte Rivalen und abgrundtief Enttäuschte ebenso auftreten lässt wie junge Verliebte, die den Moment des Glücks in kindlicher Naivität auskosten, ohne ins Banale oder Effektheischende abzudriften.

Da muss freilich jede Geste sitzen und nicht nur jeder Ton. Mit den Partien haben die jungen Protagonisten, die zum Teil in ihren Rollen debütieren, aber allesamt schon einen beachtlichen Werdegang vorweisen können, auch die psychologischen Vorgänge gut verinnerlicht. Die aus Pretoria stammende Sopranistin Kelebogile Pearl Besong meistert die schwierigen Koloraturen der Fiordiligi derart ausdrucksstark, dass sich unmittelbar diese elektrisierende Stimmung zwischen Bühne und Publikum aufbaut, und sie zeigt dabei ein Spiel bzw. eine Stimme, die bis zum leisesten Seufzer kultiviert bleibt. Sonia Grané (aus Portugal stammend) dürfte sich nach diesem Auftritt für viele Häuser als Despina empfehlen, verleiht sie der Partie doch abgesehen von der stimmlichen Kompetenz eine klischeefreie Doppelbödigkeit.

Annika Schlicht (Dorabella) ist ab der kommenden Saison bereits Mitglied des Ensem­bles der Deutschen Oper Berlin. Präzision und Timbre der Mezzosopranistin bringen viele Ensemblestellen an diesem dreistündigen Abend so richtig zum Leuchten. Dasselbe gilt für den Guglielmo von Maximilian Krummen, dessen klangschöner Bariton das Festspiel-Publikum bereits im Vorjahr in den Kurzopern „Le Rossignol“/„L’hirondelle inattendue“ begeistert hatte. Stephen Chambers, der aus Neuseeland stammende Tenor, singt einen Ferrando mit derart guter Höhe, dass kleine Schwierigkeiten sofort vergessen sind, und Grigory Shkarupa, der aus St. Petersburg stammende Bass, macht deutlich, wie gut ein schlank geführter Don Alfonso in ein Mozart-Ensemble passt. 

Das hat Zukunft

Während der Prager Philharmonische Chor per szenisch geistreich und witzig eingesetzter Einspielung für entsprechende Komplettierung sorgt, fehlt nur noch der Mozart-Klang aus dem Graben. Dort spielt das Symphonieorchester Vorarlberg, das mit den Da-Ponte-Opern (man beachte das bisherige Repertoire) an sich keine Schwierigkeiten haben kann. Die Balance stimmt, kein Sänger wird überdeckt, Hartmut Keil hat sie alle bestens im Griff, kommt auch mit der eher trockenen Akustik im Haus zurecht, offenbart im Laufe des am Ende bejubelten Abends aber eine so weit uneinheitliche Tempobehandlung, dass das Klangbild zuweilen doch sehr leidet. Der Zukunft eines Opernstudios, das eine Aufgabe von Festspielen sein darf, steht diese harte Schule der Musik-Liebenden aber sicher nicht im Weg.

Weitere Aufführungen am 20. und 22. August, 19.30 Uhr, im Theater am Kornmarkt in Bregenz. Dauer:
3 1/4 Stunden inklusive Pause