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"Il Germanico" auf den Innsbrucker Festwochen: Die Kritik

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Innsbrucker Festwochen 2015 Il Germanico
Szenenbild aus "Il Germanico" auf den Innsbrucker Festwochen 2015. © fkn

Innsbruck - Dirigent Alessandro De Marchi entdeckt Nicola Porporas „Il Germanico“ für die Innsbrucker Festwochen. Hier lesen Sie die Kritik.

Plan A wäre ja gewesen: Knien vor dem Richtstein, Oberkörper vorgebeugt, ein hernieder sausendes Henkersbeil – und Kopf ab. „Um sich dem modernen Theatergeschmack anzupassen“, wie er einräumte, bog Textdichter Niccolò Coluzzi das Ende allerdings um in den Schlussjubel. Der wirkt nun sehr angeklebt, dafür dürfen Trompeten, Hörner und Pauken noch einmal ran, auf dass die späte Einsicht eines widerspenstigen Germanen gefeiert wird. Es ist gewissermaßen die finale Glanzpolitur für eine Partitur, um die sich keiner mehr, nicht einmal die Wissenschaft, so recht kümmern wollte. 1732, kurz nach seiner Uraufführung in Rom, verschwand Nicola Porporas „Il Germanico“ vom Radar der Musikgeschichte. Und dies, obwohl der Komponist als der Händel-Konkurrent galt und dementsprechend volle Häuser hatte. Wird alles schon seinen Grund gehabt haben, wie mancher vor dieser Innsbrucker Premiere argwöhnte. Eine weitere Folge demnach aus der sehr langen Reihe „Stücke, die die Welt nicht braucht“?

Den Gegenbeweis haben die Festwochen für Alte Musik nun erbracht. Die volle Länge, fünf Stunden inklusive zwei Pausen, riecht gewiss nach Zumutung. Und tatsächlich hätte man dem Team dringend jemanden gewünscht, der beherzt zum Rotstift greift. Dies aber eigentlich nur, auch das ist bezeichnend, im dritten Akt, wenn das gesamte Bühnenpersonal nochmals reflektieren und kommentieren will, ob im Rezitativ oder mittels Gleichnis-Arie, obwohl doch schon alles klar ist.

Dass Alessandro De Marchi, der dirigierende Festwochen-Chef, seine Trouvaille mit jedem Sechzehntel vorzeigen will, ist freilich verständlich. Imponierende Herausgeberarbeit hat er geleistet. Weil damals alles von Kastraten gesungen wurde, musste transponiert und angepasst, teilweise auch die Instrumentation verändert werden. Die Operationen haben sich gelohnt: Patient lebt. Was man in diesen vielen Innsbrucker Stunden zu hören bekommt, ist zu neunzig Prozent dankbare Theatermusik. Einer der wichtigsten Vokalpädagogen seiner Zeit war Porpora, und das merkt man. Die Arien sind gespickt mit Koloraturenstrecken, allerlei anderen Verzierungen, besonders mit weit gespreizten Intervallen, die wie selbstverständlich, fast wie nebenbei absolviert werden wollen: alles Gesangskunstschaustücke, die – das ist erfreulich – häufig dramatisch motiviert sind.

Wenn also Germanico in Wut gerät, wird das abgebildet in einem extremistisch weit gefassten Tonraum, der mindestens zweieinhalb Oktaven Stimmumfang verlangt. Die meisten Nummern sind höhertourig, das geht schnell ins Ohr, die emotionale Tiefe Händels geht Porpora aber ab: Wo der Konkurrent Abgründe klaffen lässt, schaut Porpora in Spalten, die sich flotten Schrittes überwinden lassen. Nur einmal, im zweiten Akt, wenn die Verzweiflung von Germanico und Arminio am größten ist, wird den Widersachern herzangreifende Empfindsamkeit gegönnt. Es sind die beiden schönsten Arien der Oper.

Dass hier Regisseur Alexander Schulin Homoerotik andeutet, wirkt gar nicht aufgesetzt – und verfliegt auch bald. Mit seinem Ausstatter Alfred Peter lässt Schulin den „Germanico“ nicht in teutonischen Wäldern spielen, sondern in der Entstehungszeit. Das Personal ist also mächtig aufgeputzt, erstarrt aber nie zu Posen. Das Barocke ist nicht Museum, sondern (manchmal surreale) Verfremdung. Germanico, von Patricia Bardon mit maskulinem, resonanzreichem Mezzo gesungen, ist ein gezierter Geck im Glanzornat. Rosmonda (Karin Ek mit leichtgängigem, schlackenfreiem Sopran) lebt raumfüllend ihre emotionalen Wechselbäder aus, hat dabei den Sohn wie einen Fetisch im Arm. Ersinda – Emilie Renard gestaltet sie mit quecksilbriger Attraktivität – würde den ganzen Plunder am liebsten hinter sich lassen. Und Arminio ist ein Rebell und die eigentliche Hauptperson, dem das Wams bald zerfetzt am Körper hängt: David Hansen sucht und findet in der Partie viele Nuancierungen – ein phrasierungskluger Countertenor, dem die Attacke ebenso sicher glückt wie weich gefasste Lyrismen.

Germanico gegen Arminio, dies wird in diesem Schatzkästlein des frühen 18. Jahrhunderts mit seinem hölzernen Triumphbogen und den Zitaten aus barocken Kulissen und Gärten auch zum Kampf der echten, wahrhaftigen Emotion gegen die gezwirbelte Vernunft. Und dass Alessandro De Marchi und seine Academia Montis Regalis nicht zu den Partiturenstürmern gehören, passt sogar: De Marchi interessiert sich für Fülle und Farben, polstert Furor mit viel Substanz. Heftiger Jubel, ein Koproduktionspartner für dieses arbeitsaufwändige Projekt steht noch aus, eine CD (mit Max Emanuel Cencic, Franco Fagioli und De Marchi) blieb nur Plan. Nicht zu glauben.

Weitere Aufführungen an diesem Freitag sowie am kommenden Sonntag; die Festwochen dauern bis 28. August; www.altemusik.at, Telefon 0043/ 1/ 88088.

Die Handlung

Fünf Jahre, nachdem Rom in Germanien durch Arminio geschlagen wurde, sinnt man auf Rache. Germanico dringt nach Norden vor und nimmt Arminios Stadt ein. Der hat noch mit anderen Problemen zu kämpfen: Seine Frau Rosmonda ist die Tochter des zu Rom übergelaufenen Fürsten Segeste. Rosmonda ist zerrissen zwischen beiden Männern, ihre Schwester Ersinda hat sich dagegen in den Römer Cecina verliebt. Arminio soll zur Kapitulation gezwungen werden. Erst als man ihm auf der Richtstätte seinen und Rosmondas Sohn bringt, schwört er Rom Freundschaft – der Sohn soll nicht als Sklave Roms heranwachsen.

Die Besetzung

Dirigent: Alessandro De Marchi.

Regie: Alexander Schulin.

Ausstattung: Alfred Peter.

Darsteller: Patricia Bardon (Germanico), David Hansen (Arminio), Klara Ek (Rosmonda), Emilie Renard (Ersinda), Carlo Vincenzo Allemano (Segeste), Hagen Matzeit (Cecina).

Von Markus Thiel

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