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Bregenzer Festspiele 2015

Les Contes d‘Hoffmann
(Hoffmanns Erzählungen)


Opéra fantastique in fünf Akten
Libretto von Jules Barbier nach dem Schauspiel von Jules Barbier und Michel Carré
Musik von Jacques Offenbach
basierend auf der Ausgabe von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck
eingerichtet von Stefan Herheim, Johannes Debus und Olaf A. Schmitt

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)


Kooperation der Bregenzer Festspiele mit der Oper Köln und Det Kongelige Teater Kopenhagen

Premiere im Festspielhaus Bregenz am 23. Juli 2015
(rezensierte Aufführung: 30. Juli 2015 - 3. Aufführung)

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Bregenzer Festspiele
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Wir sind Hoffmann!

Von Stefan Schmöe / Fotos © Bregenzer Festspiele / Karl Forster

Eine Showtreppe. Ganz oben eine Frauengestalt, glitzerndes Kleid, wallendes blondes Haar. Sie schwankt ein wenig, dann stürzt sie, man hält den Atem an, die lange Treppe herunter, bleibt irgendwo in der Mitte liegen. Und man erkennt: Es ist keine Frau. Ein Transvestit. Kurz danach schreit jemand im Publikum etwas von „schwuler Scheiße“ und „Das hat doch nichts mit Offenbach zu tun!“. Aber keine Sorge, der da schreit, das ist Michael Volle, ein formidabler Opernsänger, und er wird eingreifen in das Spiel, das sich auf der Bühne entwickelt, wird den Rat Lindorf und die Bösewichte singen, die dem Dichter Hoffmann in die Quere kommen. Regisseur Stefan Herheim macht schnell klar, worauf es ihm ankommt: Er inszeniert gegen die Sehgewohnheiten. Und er inszeniert Hoffmanns Erzählungen als große Revue. Mit Offenbach hat das natürlich eine ganze Menge zu tun.


Vergrößerung in neuem Fenster Da liegt sie, Stella, die umworbene Diva.

Die Gestalt, die da zu Beginn abstürzt, das ist die von Hoffmann wie von Lindorf umworbene Stella. Wobei nicht klar ist, wer diese Stella eigentlich ist (jedenfalls nicht die aus dem Libretto vertraute Operndiva). Das ist keine fest umrissene Figur mehr, sondern eine Schablone, Projektionsfläche. Sie erinnert an Albin aus dem Cage aux folles, dem Käfig voller Narren, jenen komisch-tieftraurigen Albin, der doch nur geliebt werden möchte. Und darum geht es Herheim: Um den Wunsch zu lieben – und geliebt zu werden. Immer wieder wechseln die Kostüme, da kann man schon mal den Überblick verlieren. Nicht nur Olympia und Antonia und Giulietta, auch die Muse und Hoffmann selbst und sogar Lindorf werden in diesem Transvestitenkostüm erscheinen. Aber was heißt schon Hoffmann? Es gibt viele Hoffmanns in dieser Inszenierung, da ist auch schon mal der komplette Herrenchor Hoffmann, und eigentlich sind wohl wir alle dieser liebessehnsüchtige Hoffmann. Und so radikal kann man das wohl nur als freche (mitunter ziemlich frivole) Revue erzählen. Immerhin war Jacques Offenbach derjenige, der die Unterwelt Can-Can hat tanzen lassen, auf dass jeder mitpfeifen kann. (Mitspielen darf Offenbach übrigens auch: In Gestalt des mehrfach wiederkehrenden Dieners, der unverkennbar die Züge des Komponisten trägt.)

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Zunächst gibt sich dieser Herr ausgesprochen reserviert angesichts der Transvestie-Revue, spielt dann aber als Lindorf, nur anfangs bürgerlich-brav, tapfer mit.

Viel Brechung also. Drei mehr oder weniger unabhängige Kurzopern plus Rahmenhandlung, wie man es kennt, das möchte Stefan Herheim nicht zeigen. Die Bilder fließen ineinander, ergeben ein sich weiter entwickelndes Kontinuum. Nicht nur die Kostüme, auch das Bühnenbild bleibt im Wesentlichen gleich. Die große Treppe lässt sich drehen, kann sich scheinbar teilen, und gibt ein verliesartiges Gewölbe frei. In den Regalen liegen physikalische Geräte (Olympia-Bild), Geigen (Antonia), und im Giulietta-Bild sind das wohl Kloaken, unterirdische Kanäle statt venezianischem Glanz. Das unvollendete Venedig-Bild mit der Kurtisane Giulietta, in fast allen Aufführungen am problematischsten, behandelt Herheim sehr frei. Eine eigene Sängerin für die Giulietta gibt es gar nicht erst, die Darstellerinnen von Olympia, Antonia und Muse teilen sich die Partie, wechseln mitunter nach jeder Phrase, gleichzeitig auf der Bühne stehend. Giulietta bleibt ein Phantom. Die Barcarole begleitet die tote Antonia über den Hades, und da schwingt mit, dass diese Musik ursprünglich gar nicht für laue venezianische Sommerabende komponiert wurde sondern für die Fées du Rhin, die Rheinnixen (die „Rheingeister“ heißen müssten). Tot sind da auch die vielen Hoffmanns, die vielleicht schon viel früher gestorben sind, im Olympia-Akt – wo nicht nur Olympia eine Puppe ist, sondern alle, auch Hoffmann, und Olympia ist noch die lebendigste in diesem Automatenkabinett, und am Ende dieses Bildes bleibt die zerstörte Hoffmann-Puppe zurück (und wird im nächsten Bild von Antonia angesungen).


Vergrößerung in neuem Fenster Jeder Mann ein Hoffmann!

Es ist müßig, da nach Werktreue zu fragen, zumal bei einer unvollendeten Oper, die nie eine endgültige Gestalt erhalten hat. Herheim interessiert sich ohnehin nie für das „originale“ Werk, sondern sucht nach einer Idee, die das Stück vermitteln kann – und das gelingt ihm hier zweifellos. Das Bregenzer Festspielpublikum hat er schnell für seinen Ansatz eingenommen. Musikalisch nimmt er sich, nicht nur bei der Figur der Giulietta, manche Freiheiten, stellt Nummern um, lässt das apotheotische Finale von Hoffmann (der doch eigentlich besungen wird) höchstpersönlich anstimmen. Die populäre „Diamantenarie“, die vermutlich gar nicht von Offenbach stammt, behält er bei (wobei der ansonsten großartige, zwar nicht übermäßig bösartige, aber ungemein klangschöne und präsente Michael Volle ausgerechnet da Schwierigkeiten mit den Spitzentönen bekommt). Das sind alles vertretbare theaterpraktische Entscheidungen, und man bekommt alles in allem doch weitgehend den vertrauten Hoffmann in der Fassung für die Grand-Opéra (mit Rezitativen) zu hören, von Dirigent Johannes Debus mit dem nötigen Gewicht und manchmal auch Pathos dirigiert, weniger mit den Offenbach-typischen Klangfarben – da bleiben die soliden Wiener Symphoniker ein wenig pauschal.

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Und was würde Jacques Offenbach dazu sagen? Hier setzt er als schwerhöriger Diener im Antonia-Bild seinen Hoffmann neu zusammen.

Debus hat gut damit zu tun, Orchester und Chor zu koordinieren – der szenisch schwer beschäftigte Prager Philharmonische Chor (bei dem nicht jeder Sänger in Strapsen einen besonders glücklichen Eindruck macht) singt zwar klangschön, nicht immer sehr genau. Vokal glänzt neben Michael Volle vor allem Daniel Johanson als Hoffmann, wobei dieser Glanz im Laufe des Abends eine Spur matter wird. Kerstin Avemo ist eine Olympia mit glasklaren Spitzentönen, aber unscharfen Koloraturen, Mandy Friedrich eine solide, unspektakuläre Antonia und Rachel Frenkel eine unauffällige Muse und ein wenig helle Stimme von Antonias Mutter. Christophe Mortagne ist ein leichtgewichtiger Diener, an Ketil Hugaas (Luther und Crespel) und Bengt-Ola Morgny (Spalanzani) ist nichts auszusetzen, in Erinnerung behalten wird man die Darstellung auch nicht. Die ganz kleinen Partien dagegen sind arg dünn besetzt. Musikalisch herrscht mittelprächtiges Festspielglück.


FAZIT

Stefan Herheim schleudert uns Hoffmanns Erzählungen als schrille Transvestitenrevue um die Ohren, dass uns (weniger) das Hören und (mehr) das Sehen vergeht, spannend und unterhaltsam und meistens schlüssig. Und in den besten Momenten hat man den Eindruck, dass er die Oper dabei von ziemlich viel Staub der Rezensionsgeschichte befreit.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Johannes Debus

Inszenierung
Stefan Herheim

Bühne
Christof Hetzer

Kostüme
Esther Bialas

Licht
Phoenix (Andreas Hofer)

Video
fettFilm

Chor
Lukáš Vasilek

Dramaturgie
Olaf A. Schmitt



Prager Philharmonischer Chor

Wiener Symphoniker


Solisten

Olympia | Giulietta
Kerstin Avemo

Antonia | Giulietta
Mandy Fredrich

Muse | Niklausse | Die Stimme aus dem Grab
Rachel Frenkel

Hoffmann
Daniel Johansson

Lindorf | Coppélius | Dr. Miracle | Dapertutto
Michael Volle

Spalanzani
Bengt-Ola Morgny

Crespel | Luther
Ketil Hugaas

Andrès | Cochenille | Frantz | Pitichinaccio
Christophe Mortagne




weiterer Bericht von den
Bregenzer Festspielen 2015:
Turandot auf der Seebühne


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