Herheims Erzählungen: Erfolgsregisseur Stefan Herheim hat am Donnerstagabend bei den Bregenzer Festspielen mit seiner ironisch-trashigen und hochintelligenten Inszenierung von Jacques Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" ein Glanzstück abgeliefert. Ordinär, derb, also schlicht großartig ist seine Trans-Formation des Werks in ein modernes Genderverständnis.

Am Ende standen stehende Ovationen und sogar ein paar Buhs für die zweite große Premiere nach Marco Arturo Marellis ästhetischer "Turandot" auf der Seebühne. Und Buhrufe bei einem Festival sind nicht leicht zu bekommen. Dabei ist Offenbachs Werk bekanntlich eine Baustelle möglicher Streichversionen und damit ideal für den Stückedekonstruierer Herheim, der eine Interpretation voller Selbstreflexion und Selbstreferenzen erschafft. Das Stück mit seinen Saufliedern und Operettenelementen wird selbst ebenso in seine Bestandteile ironisiert wie die Erwartungen der Zuschauer.

Herheims "Hoffmann" (eine Koproduktion mit Köln und Kopenhagen) verschmilzt schwules Cabaret mit der großen Showtreppe, Schauspieltheater mit Grand Opera, Trash mit Tragik. Gänzlich verfließen die vermeintlichen Identitäten miteinander, wenn der männliche Blick auf Machtstrukturen und Geschlechterbeziehungen zugunsten eines aufgeklärten Genderverständnisses transformiert wird. Hoffmann als Hauptfigur und Erzähler ist Hoffmann (gesungen vom vielversprechenden Schweden Daniel Johannson), um in das Puppenoutfit des Klein Zack zu wechseln, in dem sein Saufchor aus der Weinstube ohnedies die ganze Zeit erscheint. Beziehungsweise in die Figur seiner idealisierten Stella, deren Ich auch einen Transvestiten beinhaltet, der gleich zum Einstieg über die gigantische Showtreppe stürzt (von Stuntman Pär Karlsson beeindruckend vulgär absolviert). Beziehungsweise in eine seiner unglücklichen Geliebten. Beziehungsweise wieder zu Hoffmann selbst. Knoten im Hirn.

Kerstin Avemo (bekannt aus Michael Hanekes "Cosi" in Madrid) darf als Roboter Olympia einen herrlichen Orgasmus auf der Bühne singen und dafür coram publico Hoffmann von hinten nehmen, was später auch der Tochter Antonia durch ihren Vater passiert. In der Sängerriege ragte aber am beeindruckendsten Michael Volle als Bösewicht mit seinem verwurzelt-erdigen Bariton heraus, der ebenso zwischen den einzelnen Kostümen, Bustiers und Ballkleidern wechselt wie seine Kollegen und sich zu Beginn als Zuschauer aus dem Auditorium über den schwulen Dreck aufregt, bevor er auf die Bühne geholt wird. Das Publikum stellt hier also gleichsam den Gegenspieler Hoffmanns.

Die Muse der israelischen Mezzo-Entdeckung Rachel Frenkel trägt demonstrativ Pimmel, um sogleich wieder im nächsten Charakter zu verschwinden, während Christophe Motagne in seinen Dienerrollen stets in Gestalt von Offenbach selbst erscheint. Und letztlich sind alle Roboter, die ihre vorgegebenen gesellschaftlichen Rollen nachäffen.

Dieses Spiel der Hüllen kleidet Herheim in eine überbordende Fülle aus Comicfilmen, Tanzeinlagen, Projektionen und parallelen Aktionen. Man weiß als Zuschauer streckenweise nicht, wo man hinschauen soll. Bei jedem kurzen Blick auf die Übertitel hat man schon wieder einen Gag, einen Abgang durch die Falltür oder eine Wendung verpasst. Multitasking in reinster Form. Hier erscheint die Inszenierung wie Burroughs "Naked Lunch" im Schnellvorlauf.

Das wurde selbst der zentralen Treppe im Bregenzer Festspielhaus, die eine tragende Rolle bei der Inszenierung hat, bereits nach einer halben Stunde zu viel. Ein Teil der Drehkonstruktion versagte den Dienst. Inmitten der berühmten "Klein Zack"-Arie fiel der Vorhang und war Neo-Intendantin Elisabeth Sobotka gezwungen, die entstandene Unterbrechung zu entschuldigen. Nach guten fünf Minuten war der Schaden jedoch behoben, und die Showtreppe hielt bis zum Ende durch. Zu Recht, denn sie bekam noch einiges geboten.

Regisseur Stefan Herheim
Regisseur Stefan Herheim © APA/HERBERT NEUBAUER

Martin Fichter-Wöß/APA

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