Bregenz – Da war selbst die Radiomoderatorin einigermaßen ratlos. Ehrlich gesagt, meinte sie, könne sie jetzt nicht sagen, welche der Sängerinnen gerade den Schlussapplaus entgegennähme, nachdem alle die gleichen Kleider und Perücken trügen. Tatsächlich ist Stefan Herheims Inszenierung von Jacques Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" ein einziges Vexierspiel: Bereits der Protagonist erscheint im Chor bis aufs Haar vervielfacht.

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Szene aus "Hoffmanns Erzählungen" von Jacques Offenbach in Bregenz.
Foto: APA/DIETMAR STIPLOVSEK

Seine drei Geliebten, die ihm ja selbst wie eine einzige Frau vorkommen, werden von zwei Sängerinnen gegeben (die je eine ganze Rolle übernehmen und sich die Giulietta teilen). Sie zusammenzuziehen, hat in anderer Form bereits Tradition, ebenso die Bösewichter einem einzigen Sänger anzuvertrauen. Herheim geht freilich um einige Schritte weiter: Stella wird als stumme Partie von einem Mann gespielt, der bei seinem Auftritt im Glitzerfummel besoffen von der Treppe purzelt (Pär Karlsson ist zugleich Schauspieler und Stuntman und dabei auf sehr präsente Weise dauerdepressiv).

Schale Schwanz-Revue

Um von Beginn an Klarheit zu schaffen, präsentiert die Muse (nachdem Rachel Frenkel gerade betörend zu singen begonnen hat), noch bevor sie sich in Hoffmanns Schüler Niklaus verwandelt, einen mächtigen, nur leider schlaffen Penis. Damit ist das Setting erst einmal abgesteckt – in hohem Tempo und durchaus vielversprechend. Nur passiert in den folgenden drei Stunden von Seiten der Regie nicht mehr allzu viel.

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Daniel Johansson als "Hoffmann" (hi.) und Pär Pelle Karlsson als "Stella".
Foto: APA/DIETMAR STIPLOVSEK

Zu Offenbachs Musik geht Herheim auf Distanz. Die Wiener Symphoniker spielen sie tadellos, jedoch unter dem Dirigant von Johannes Debus auch ziemlich brachial, mechanisch, manchmal sogar regelrecht hölzern – was aber zum Bühnengeschehen durchaus passt. Denn der Regisseur scheint dem überdrehten Schwung und der zwecksoptimistischen Heiterkeit Offenbachs, die man bereits ihrerseits als ironisch und übertrieben interpretieren kann, grundsätzlich zu misstrauen – und konterkariert diese zahlreichen Passagen entweder durch absichtsvoll fahrige kollektive Steifheit, schale Revueszenen oder dadurch, dass jemand auf der Bühne mitdirigiert, in den Klängen schwelgt, auf der aus dem Orchestergraben beförderten Harfe oder auf einer Flöte spielt (letzte lässt sich nicht zuletzt auch von Olympia als Phallussymbol gebrauchen).

Virtuoses Bühnenhandwerk

Während sich auf der Seebühne (in der "Turandot"-Inszenierung von Marco Arturo Marelli) gerade der Komponist Giacomo Puccini ins Geschehen mischt, ist es im Festspielhaus niemand anderer als Jacques Offenbach, der linkisch und leicht verrückt seine eigenen Melodien ganz großartig findet und zwischendurch kleine Rollen übernimmt. Christophe Mortagne macht das ebenso virtuos, wie die gesamte Produktion handwerklich schlichtweg perfekt daher kommt (eine längere Unterbrechung durch eine technische Panne steht auf einem anderen Blatt).

Auch das Bühnenbild von Christof Hetzer ist mit seiner teilbaren und fahrbaren Treppe, die sich nahtlos in ein fast schon malerisches Venedig-Bild verwandeln kann, ein virtuoses Wunderwerk, doch ansonsten wie die gesamte Inszenierung im Grunde zu korrekt und geläufig für die Themen, die hier eigentlich verhandelt werden sollten: von tiefen Identitäts- und Geschlechterkrisen bis hin zur Frage, was Kunst ist, darf und kann.

Vokale Glanzlichter

Noch in der ersten Szene meldete sich lautstark ein Herr aus dem Publikum zu Wort, das hier habe nichts mit Hoffmann zu tun, um sich dann – Überraschung! – als der Bariton Michael Volle zu entpuppen, der die Bösewichter gibt: mit markiger, dennoch wohlklingender Brutalität sowie der Bereitschaft, buchstäblich die Hosen herunterzulassen oder auch einmal in Strapse zu schlüpfen.

Sängerisch ist Volle nur eines von vielen Glanzlichtern. Neben der sternenklaren Mandy Fredrich (Antonia) besticht vor allem Kerstin Avemo (Olympia) mit flutenden Koloraturen, die alle verlangten Nuancen abdecken – von puppenhafter Automatik bis zum Stöhnen aus vollem Rohr. Denn ihre Arie wird wie prognostizierbar gleich zum wechselseitigen Kopulieren mit Hoffmann genutzt, was die vokal vermittelte ungestillte Sehnsucht des Protagonisten ein wenig ins Leere gehen lässt. Sei es drum: Daniel Johansson zeigt die Abgründe der Figur dennoch auf vokalem Wege mit charaktervollen Metalltönen und wohldosiertem romantischem Schmachten – stimmlich ein ausgereiftes Rollenporträt.

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Mandy Fredrich als "Antonia".
Foto: APA/DIETMAR STIPLOVSEK

Seinem Lied von Klein-Zack verdankt das Bregenzer Publikum übrigens die Erkenntnis, dass auch diese zwergenhafte Figur eigentlich nichts anderes als ein Penis ist. Dass Alkohol und andere Drogen über alle Maßen schädlich sind und dass Liebe in Unglück und Wahn münden kann, werden hingegen die meisten schon einmal gehört haben. (Daniel Ender, 24.7.2015)