Turandot: Chinesische Wasserspiele auf dem Bodensee

BREGENZER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE 'TURANDOT'
BREGENZER FESTSPIELE 2015: FOTOPROBE 'TURANDOT'APA/DIETMAR STIPLOVSEK
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„Turandot“ als erste Inszenierung unter Intendantin Elisabeth Sobotka: eine musikalisch solide bis gut gelungene Premiere. Die Inszenierung wirft fast so viele Fragen auf wie die männermordende Prinzessin selbst.

Konfuzius sagt: „An einem edlen Pferd schätzt man nicht seine Kraft, sondern seinen Charakter.“ Bei den Bregenzer Festspielen muss das Spiel auf dem See ein doppeltes Zugpferd sein: Für die Publikumsmassen soll es die nötige Anziehungskraft entwickeln – und dadurch auch den restlichen Festivalkarren ziehen. Nun, optische Kraft beweist die neue „Turandot“ sehr wohl, die nun vor knapp 7000 Menschen ihre nicht enthusiastisch, aber freundlich bejubelte Premiere erlebte – und dabei von einigen kleinen Regenschauern weniger Störung litt als vom Rascheln vieler Pelerinen, die pünktlich zum Pianissimo des Mondchores ausgepackt wurden: Paolo Carignani legte mit den tadellosen Wiener Symphonikern und den bei manchen Einsätzen etwas wackelnden Chören aus Prag und Bregenz gerade auf die impressionistischen Valeurs der Partitur besonderen Wert, auch wenn das über die Tonanlage nicht immer voll zur Geltung kommen konnte.

Wobei neu bei dieser „Turandot“ nicht ganz das richtige Wort ist. Denn zum Einstand ihrer Bregenz-Intendanz setzte Elisabeth Sobotka auf ein im Wesentlichen schon bekanntes, nur spektakulär aufgezäumtes Ross. Im Februar 2013 schon hat nämlich Marco Arturo Marelli die letzte, unvollendet hinterlassene letzte Oper Puccinis für Stockholm erarbeitet. Im Jänner 2014 ging Marellis Produktion nach Graz, wo Sobotka damals Intendantin war – und im nächsten April bringt auch die Wiener Staatsoper „Turandot“ in Marellis Regie heraus: Recycling in Zeiten schrumpfender Kulturbudgets.

Eine Terrakotta-Armee marschiert

Nun kann niemand verlangen, dass sich die Sicht eines Regisseurs auf ein Stück in so kurzer Zeit radikal wandelt. Und das so notwendige Entwickeln droht in der Kunst ohnehin zugunsten schnellen Konsums verdrängt zu werden. Aber: Dass Marellis Interpretation im Kern nicht für die Seebühne entwickelt worden ist, sieht man ihr an. Gewiss, nirgendwo sonst kann sich eine monumentale chinesische Mauer wie ein Drachenleib seitwärts aus dem See schlängeln oder eine Terrakotta-Armee aus der Höhe des Bühnenhintergrundes frontal hinab in ein nasses Grab marschieren. Doch bald stellt sich heraus, dass der Regisseur die Chancen verblüffend wenig nutzt, die er sich als Bühnenbildner selbst bietet. Das meiste spielt sich nämlich brav auf der zentralen Spielfläche ab, die ein drehbarer, schräg abgeschnittener Zylinderstumpf dominiert. In dessen Seite walten als Archivare des Grauens die Minister, bei denen sich im Kostüm Mandarin- und Mondrian-Elemente mischen: Andrè Schuen als Ping ragt mit noblem Bariton aus ihnen hervor. Und der hochgeklappte Deckel, unter dem Manuel von Senden als charaktervoll tönender Kaiser im Rollstuhl erscheint, zeigt Videos mit Schriftzeichen sowie dem maskenhaften Gesicht Turandots oder ihrer Ahnin, in deren Namen sie ihren Freiern tödliche Rätsel stellt. Die Mauer spielt kaum eine Rolle. Nicht im roten Pavillon ganz oben tritt die Prinzessin erstmals auf, sondern justament auf dem Wasser, in einem Lampionboot – weshalb die Menge, symbolhaft widersinnig, ein, zwei Stockwerke hinunter um Gnade flehen muss. Ob da eine plakative, aber gut umgesetzte Lösung nicht doch besser gewesen wäre?

Anderswo scheut Marelli Klischees durchaus nicht: Aufmärsche mit schwingenden Fahnen und Bändern, Nationalzirkusakrobatik, Feuerjongleure und Kampfsportgetümmel hätten auch als Eröffnung Olympischer Spiele durchgehen können.

Zudem lässt Marelli bei den bewussten Brechungen Konsequenz vermissen. Dass der schon in Schweden eingesetzte, anfangs recht unbekümmert zu Werke schreitende Calaf Riccardo Massi als Puccini-Double gedacht war, verraten Anzug und Bart schon früh, ja, bereits in einem Mini-Prolog wird zart jene fernöstliche Spieldose hörbar, deren Melodien ihn zu seinen monumentalen Chinoiserien inspiriert haben. Im dritten Akt, nach einem respektabel absolvierten „Nessun dorma“, geht Calafs Werben um Turandot dann ins Ringen des Komponisten über: In einem einfachen Zimmer mit Bett und Klavier bemüht er sich um eine glaubwürdige Wandlung der Prinzessin und einen geeigneten Schluss. Doch belässt es Marelli beim konventionellen „glücklichen“ Ende, das Franco Alfanos Ergänzung der Partitur suggeriert: Dieser Puccini/Calaf darf weiterleben. Und auch am Tod der Liù, den Puccini ja selbst gewollt hat, ist er hier nicht schuld, da er in Fesseln liegt: Guanqun Yu lässt als opferbereite Sklavin jedenfalls die zartesten, bewegendsten Töne des Abends hören.

Die bemüht eingezogene Metaebene bleibt aber ungenützt, und die reinen Schauwerte dominieren, darunter zuletzt auch noch unmotivierte Wasserspiele: Edel wirkt das Zugpferd nicht, die bloße Kraft siegt über alle Ansätze zu Charakter. Das gilt sängerisch vor allem auch für Mlada Khudoley, die schon in Graz mit dabei war, eine russische Turandot, wie sie im Buche steht: belastbar, aber mit metallisch-herbem Timbre, eher blechern als „von Eis umgürtet“.

Was von alledem dann wohl in Wien (in ganz anderer Besetzung) zu erleben ist? Konfuzius sagt: „Einen Fehler machen und sich nicht bessern, erst das heißt fehlen.“

Im Fernsehen: ORF2 überträgt „Turandot“ heute, Freitag, ab 21.15Uhr live und mit Backstage-Szenen. Auf 3Sat ist zeitgleich eine klassische Liveübertragung zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2015)

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